Aufgelesen
  "Der Zölibat ist ein sehr fragwürdiges Auswahlkriterium für Priester"
Sein Priesteramt legte er nieder, die Direktion des Bildungszentrums Lassalle-Haus gibt er ab: Jesuitenpater Lukas Niederberger leidet an der Kirche und liebt eine Frau

NZZ am Sonntag: Sie haben den Karriereknick frei gewählt. Weshalb?
Lukas Niederberger: Ich stellte mir die typische Midlife-Frage: War das jetzt alles? Innerhalb der Kirche Schweiz sehe ich zwar wenig, was interessanter wäre, als das Lassalle-Haus zu leiten. Aber eine Veränderung ist so oder so angestanden.
Haben Sie die Kirche nur noch negativ erfahren?
Die offizielle Kirche erlebe ich als sklerotisch. Ich hatte immer mehr Mühe, sie nach aussen hin zu rechtfertigen. Gegen innen hingegen - in der persönlichen Begleitung von Menschen - erlebte ich sie stets als etwas sehr Positives und Lebendiges.
Sie sind in eine Frau verliebt. Seit wann?br Seit einem Jahr. Und ich habe keine Lust, ein Doppelleben zu führen, wie es manche Priester tun, die im Amt bleiben wollen. Hatten Sie schon immer Mühe mit dem Zölibat?
Sexualität ist der vitalste Teil des Menschen. Den zu integrieren ins Leben, ist für jeden Menschen ein zentrales Thema - ob Single oder verheiratet. Andererseits habe ich strukturell Mühe mit dem Zölibat: Er ist ein sehr fragwürdiges Auswahlkriterium für Priester. Eingeführt wurde er vor 800 Jahren, vor allem aus pragmatischen Gründen. Die Latifundien der Grossgrundbesitzerin Kirche sollten nicht unter Nachkommen aufgeteilt und zersplittert werden. Weil Priestersein Beziehungspflege par excellence ist und heute die meisten Priester allein wohnen, ist der Zölibat auch diesbezüglich wenig sinnvoll.
Ist Ihr Austritt aus dem Orden jetzt die Entscheidung zwischen dem Orden und einer Frau?
Ich sehe es als eine ganzheitliche Neuausrichtung. Die Liebe zu meiner Freundin ist der ausschlaggebende Faktor. Ich öffne mich aber auch beruflich für Neues, was immer es ist.
Kommt der Ordensaustritt einer Scheidung gleich?
Ja. Der Jesuitenorden war wie eine Familie. Ich pflege tiefe Freundschaften - in der Schweiz und international. Natürlich bleiben die guten Freunde gute Freunde.
Beim Ordenseintritt 1985 gelobten Sie Armut. Nun folgt der Schritt in eine ungewisse berufliche Zukunft. Haben Sie Angst vor materieller Not?
Orden sind rechtlich von der zweiten Säule dispensiert. Theoretisch würde ich als 43-Jähriger Bad Schönbrunn also mit null Franken Pensionsgeld verlassen. Ich habe auch keinerlei Vermögen. Da werden Gespräche mit der Leitung der Gemeinschaft stattfinden müssen.
Fallen Sie nicht in ein Loch, wenn Sie Ihr Priesteramt und Ihren Direktorenposten abgeben?
Ich hoffe, die Krise bleibt mir erspart. Als Leistungsmensch und Arbeitstier werde ich aber sehr schnell wieder eine herausfordernde Aufgabe brauchen. Ich bin zuversichtlich, was die Jobsuche betrifft.
Wo soll es beruflich weitergehen?
Ich werde immer im Dienst der Menschen und der Welt bleiben, ob im Bildungsbereich, mit Bücherschreiben, als Ritualbegleiter bei Paarsegnungen und Beerdigungen oder mit einer Anstellung in einem Hilfswerk oder einer Stiftung.
In leitender Funktion?
Zumindest möchte ich meine Fach- und Führungskompetenz kreativ einbringen können. Der Vatikan fährt unter Papst Benedikt XVI. einen konservativen Kurs. Vitus Huonder, der neue Bischof von Chur, liegt ganz auf dieser Linie. So lehnt er zum Beispiel die Frauenordination ab.
Zu Recht?
Die konservative Rhetorik würgt sämtliche Diskussionen ab. Und die theologischen Argumente gegen die Frauenordination überzeugen wenig. Es wäre in unserer modernen Welt das Normalste, wenn Frauen in der Kirche Verantwortung und Führungsaufgaben übernähmen - selbst im Vatikan. Schon heute gestalten Frauen in der katholischen Kirche wunderbare Gottesdienste.
Bischof Vitus Huonder will aber gerade Laienpredigern das Predigen während einer Messe verbieten. Nur Wortgottesdienste sollen sie noch feiern dürfen.
Damit schiesst er nicht nur vor den Bug der Laien - der Frauen und Männer. Sondern auch Priester kommen, angesichts des herrschenden Priestermangels, in grosse Not.
Hat die Kirche überhaupt die Kraft, sich zu erneuern?
Die grossen Veränderungen kommen wohl nicht freiwillig, sondern erst, wenn der Druck in der Hierarchie - bei den Priestern - zu gross wird. Mit den Seelsorgeverbänden ist ein Priester heute für vier oder fünf Pfarreien zuständig. Die Priester entwickeln sich zu Minibischöfen, die kaum mehr Kontakt zu den Gläubigen haben, sondern nur noch von einer Pfarrei zur anderen düsen. Viele Priester erlebe ich deswegen als demotiviert.
Sind Reformen von unten möglich?
Die meisten kritischen Stimmen sind ausgetreten - frustriert und ernüchtert schon durch den letzten Papst. Wirklich visionäre, fortschrittliche Kräfte gibt es fast keine mehr in der Kirche.
Papst Benedikt zementierte jüngst den Exklusivanspruch der katholischen Kirche und sprach den Reformierten das Kirchesein ab.
Papst Benedikt ist der orthodoxen Theologie stärker verbunden als dem lebendigen Zusammenleben mit Reformierten. Sein Papier war ja nicht sein erster Schlag gegen die Reformierten. Zusammen mit seinem Vorgänger verbot er den Reformierten bereits vor Jahren die Teilnahme an der Kommunionsfeier.
Der Papst liess jüngst auch die lateinische Messe in Pfarreien wieder zu: Ist das ein weiterer Rechtsrutsch?
Rechtskonservative Stimmen im Umkreis von Erzbischof Lefebvre haben in Rom eine gute Lobby. Das Feiern in verschiedenen Riten finde ich nicht so schlimm. Bedenklich ist eher, dass in den alten Messetexten viele judenfeindliche Passagen enthalten sind.
Bleibt nun, nach Ihrem Austritt, der Glaube trotzdem Teil Ihres Lebens?
Bestimmt! Die ignatianische Spiritualität sucht die Nähe von Himmel und Erde im ganz normalen Alltag zu leben: Gott finden in allen Dingen. Beschaulich und kontemplativ sein mitten in der Aktion. Mystik und Politik gehen Hand in Hand. Zudem ist die Liebe zwischen zwei Menschen der konkreteste Ausdruck davon, wie Gott uns liebt und wie wir Gott lieben können. Wer nicht völlige Hingabe in der partnerschaftlichen Liebe leben kann, versteht auch eine gewisse Dimension der Hingabe an Gott nicht. Wenn die Mystikerin Theresia von Avila von der Christus-Vereinigung berichtet, spürt man die enge Verbindung von Erotik und Mystik, die den Glauben wesentlich bereichert.

Interview: Daniela Schwegler
Austritt nach 22 Jahren Jesuitenpater Lukas Niederberger, 43, trat 1985 in den Orden ein. Im Bildungszentrum Lassalle-Haus Bad Schönbrunn oberhalb von Zug wirkt er seit zwölf Jahren, seit 2001 als dessen Direktor. Nun tritt er aus dem Orden aus. Von seinen priesterlichen Funktionen ist er bereits dispensiert worden. Im Lassalle-Haus wird er vorerst als Geschäftsführer und Kursleiter weiterwirken. Die Direktion übernimmt ab 1. August der bisherige Bildungsleiter Christian Rutishauser, der den interreligiösen Dialog in der Tradition des Hauses weiterführt.

"Es wäre das Normalste, wenn Frauen in der Kirche Führungsaufgaben übernähmen - selbst im Vatikan."