Aufgelesen
Restaurative Töne aus Rom und deutschen Bistümern.
Papst und Bischöfe drehen in der katholischen Kirche das Rad zurück


Papst Benedikt XVI. hat einer progressiv-liberalen Deutung des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Ansprache zum Jahreswechsel vor den Mitgliedern der Kurie, den Kardinälen, den Bischöfen und ihren Mitarbeitern den Kampf angesagt. Und verwahrte sich dagegen, dass die vorkonziliare Kirche herabgesetzt werde. Mit dem Schlagwort von der "Hermeneutik der Reform" begründet der Papst die Kontinuität der Kirche in der Vermittlung zwischen Tradition und Modernisierung. "Wahre Reform" sei das "Ineinander von Diskontinuität und Kontinuität auf verschiedenem Niveau". Es gehe also nicht um eine Angleichung der Kirche an die Welt, sondern sie sei durch die Bibel zum "Zeichen des Widerspruchs" verpflichtet.

Der langjährige Rom-Korrespondent Heinz-Joachim Fischer und das Politik-Redaktionsmitglied für Kirchenfragen Daniel Deckers der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) unternahmen parallel zu den Papstäußerungen in der Weihnachtszeit den Versuch, in ihren Beiträgen Papst Benedikt XVI. als den einzig wahren Interpreten des Zweiten Vatikanischen Konzils darzustellen. Fischer schreibt dem Papst anlässlich seiner Jahresansprache sogar "eine authentische Interpretation des Konzils" zu, als sei die Interpretation durch andere nicht authentisch.

Zur Erinnerung: Das Zweiten Vatikanische Konzil der römisch-katholischen Kirche ging im Herbst 1965 nach dreijähriger Dauer zu Ende. Von Papst Johannes XXIII. initiiert, wurde es von Paul VI. beendet. Es begründet die Öffnung der Kirche für die moderne Welt. Die Kirche konnte sich auch der Vormundschaft einer rückwärts gewandten Theologie und Kirchenpolitik verabschieden. Erstmalig würde das Grundrecht der Religionsfreiheit durch die Kirche anerkannt, die Jahrhunderte lang durch Päpste verdammt und als Irrlehre gebrandmarkt wurde. Die deutsche Sprache wurde in die Gottesdienste eingeführt; die Gläubigen wurden an der Liturgie beteiligt. Die Bibelforschung wurde als förderungswürdig bezeichnet und ihre Ergebnisse sollten die kirchliche Lehre erweitern. Der Zentralismus der römischen Kirche wurde relativiert und die eigenständige Verantwortung der regionalen Bischofskonferenzen gestärkt. Der Gegensatz von Klerus und Laienstand wurde aufgebrochen und beiden wurde ein kooperatives Verhältnis vorgegeben. Die Ökumene wurde fundiert durch die Anerkennung nichtchristlicher Religionen und die gleichberechtigte Würdigung der evangelischen Kirchen auf dem Weg zum Reich Gottes. Mit der Bitte um Vergebung gegenüber den Juden wegen des Versagens der Kirche im Kampf gegen Antijudaismus und Antisemitismus verband sich der historisch noch nie da gewesene Respekt vor der Ursprungsreligion des Christentums und der Religion Jesu. Heiligem und gerechtem Krieg wurde eine Absage erteilt, und die Eliten der Gesellschaften wurden aufgefordert, jenseits von Kommunismus, Kapitalismus und Konsumismus einen Weg des Ausgleichs zwischen Arbeit und Kapital zu schaffen.

Viele dieser Einsichten trafen auf den erbitterten Widerstand starker rechter und konservativer Kräfte innerhalb der Kurie und der Bischofskonferenzen. Nicht genug damit, dass in den letzten 40 Jahren alle neuen kirchlichen und theologischen Aufbrüche von Rom aus niedergeschlagen wurden. Seit 40 Jahren arbeiten die rückwärts gewandten Kräfte daran, die Uhr auf die vorkonziliare Zeit zurückzustellen und die Irrtümer des Zweiten Vatikanischen Konzils zu korrigieren. Für nicht wenige von ihnen ist das ganze Konzil ein einziger Irrtum.

Einmal mehr betätigt sich Ratzinger nun in seinem Amt als Restaurator und als Überwinder der uneingelösten Perspektiven des Zweiten Vatikanischen Konzils. Und erhält Geleitschutz durch eine Presse, der die Ansätze des Konzils immer schon zu weit gingen und der Aufbruch in der Theologie unheimlich war. Mit Rückenwind aus Rom zerschlägt der Regensburger Bischof Prof. Dr. Gerhard Ludwig Müller die Laiengremien seines Bistums und entzieht der Trierer Bischof Dr. Reinhard Marx dem katholischen Theologen Prof. Dr. Dr. Gotthold Hasenhüttl zum Jahresbeginn 2006 die kirchliche Lehrerlaubnis, nachdem er ihn bereits vom Priesteramt suspendiert hatte. Auslöser war die ökumenische Messfeier mit offener Kommunion für beide Konfessionen in Berlin, die Hasenhüttl am 29. Mai 2003 auf dem Kirchentag geleitet hatte. "Besonders unverständlich", so moniert die KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche", "sind die gegenüber Hasenhüttl verhängten Kirchenstrafen, nachdem vor den Augen der Weltöffentlichkeit der damalige Kardinaldekan Joseph Ratzinger beim Requiem für Papst Johannes Paul II. dem evangelischen Prior von Taizé, Roger Schutz, die Kommunion reichte und nachdem beim Requiem für den ermordeten Roger Schutz, das Kardinal Walter Kasper hielt, auch nichtkatholische Christen und Christinnen kommunizierten."

Das ist vorkonziliarer Feudalstil in der Kirche und im Kontext der rückwärts gewandten Interpretation des Konzils ein Rückfall in gegenreformatorische Zustände. An die Stelle innerkirchlicher Verständigung zwischen Klerikern und Laien über notwendige Reformschritte tritt das willkürliche Agieren von Amtsträgern, die sich über das Konzil und seine Anliegen hinwegsetzen. Und dabei noch die einzig legitime Interpretation des Konzils für sich beanspruchen. Der Kirchenkurs unter dem neuen Papst versöhnt nicht, leistet kein "Ineinander" von Tradition und Moderne, sondern spaltet und tritt das Engagement kritischer Katholiken mit Füßen.