Aufgelesen |
Wer Frauen allein lässt, gefährdet das Kind Schwangere sehen oft keinen Ausweg aus ihrem Konflikt. Aber die Amtskirche wäscht ihre Hände in Unschuld Wieder einmal wird ein heißes Thema hochgekocht: die Schwangerschaftskonfliktberatung. Kurz vor dem Papstbesuch in Deutschland hat die Bischofskonferenz einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst: Kirchliche Angestellte dürfen bei Donum Vitae nicht mitwirken. Die Beratungsstellen dieses Privatvereins katholischer Laien dürfen nicht im selben Gebäude untergebracht werden wie kirchliche Beratungsstellen. Tragischerweise handelt es sich bei der Debatte um den Beratungsschein nach einer Schwangerschaftskonfliktberatung um ein großes Missverständnis. Zwei Probleme werden vermischt, die bei genauem Hinsehen nichts miteinander zu tun haben. Die eine Frage lautet: Wie ist der Schwangerschaftsabbruch ethisch zu bewerten? Die andere Frage heißt: Wie ist ungeborenes Leben wirksam – darum geht es – zu schützen? Die offizielle katholische Position zur ersten Frage ist klar: Die Tötung ungeborenen Lebens soll nach Gottes Willen nicht sein. Darum will die katholische Kirche mit Abbrüchen nichts zu tun haben. Menschliches Leben ist unantastbar, in besonderer Weise ungeborenes Leben. In dieser Einstellung sind sich Kirchen und Gesellschaft weitgehend einig. Auch die betroffenen Schwangeren stimmen dieser Auffassung überwiegend zu. Eine Frau in der Schwangerschaftskonfliktberatung sagte einmal: »Meine Nachbarin habe ich für ihren Abbruch innerlich verurteilt. Jetzt, wo ich in der gleichen Lage bin, weiß ich nicht, was ich tun soll.« Eindeutige Stellungnahmen zum Schwangerschaftsabbruch allein helfen den betroffenen Frauen nämlich nicht. Eine klare ethische Position ist eine Sache, wirksamer Schutz des ungeborenen Lebens eine völlig andere. Es mag ärgerlich sein, dies anzuerkennen. Aber die Tatsachen sprechen eine unzweideutige Sprache: Es gibt kaum ein Gesetz, das so wirkungslos war und ist wie das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Erst die Entkriminalisierung der Abtreibung hat die Gesamtzahl der Abbrüche in den vergangenen Jahrzehnten sinken lassen. Dazu hat ein zunehmend akzeptiertes Angebot an Schwangerschaftskonfliktberatungen beigetragen, in recht begrenztem Umfang auch private und öffentliche Hilfsmaßnahmen. Nachweislich ist in allen vergleichbaren Ländern mit liberaler Handhabung des Problems die Anzahl der Abbrüche stark zurückgegangen. In Ländern mit Abtreibungsverbot dagegen sind die Zahlen nach wie vor hoch. Die entscheidende Frage, der sich Bischofskonferenz und Vatikan heute stellen müssen, lautet: Hilft der Ausstieg aus der gesetzlichen Beratung bei dem Bemühen, Leben zu bewahren, oder schadet er? Kann ein Nein zur Beratung ungeborenes Leben wirksam schützen? Rettet es auch nur ein Leben, wenn die Kirche ihre fachlich qualifizierte Beratung verbietet und wie Pilatus die Hände in Unschuld wäscht? Wer Brände bekämpfen will, schafft nicht die Feuerwehr ab. Das Gleiche gilt für den Schwangerschaftskonflikt. Ein Rückzug aus der Beratung nimmt den Betroffenen die Gelegenheit, ihren Entschluss noch einmal zu überdenken. Konflikte lösen sich im Gespräch, nicht im Verweigern des Gesprächs. Ziel der Beratung ist es, Frauen oder Paare darin zu unterstützen, dass sie verantwortlich entscheiden können. Frauen im Schwangerschaftskonflikt stehen häufig unter Schock. Sie sind in Panik: Ihr Lebenskonzept wird über den Haufen geworfen. Sie stehen unter Druck: Zeit- und Entscheidungsdruck, Druck durch den Partner, Druck durch die Angehörigen, Druck durch den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes, Druck durch Gesellschaft und Kirche. Die Frau ist häufig allein, fühlt sich einsam, ist hin und her gerissen: Wofür sie sich auch entscheidet, sie entscheidet stets auch gegen sich, gegen einen Teil von sich selbst, muss Abschied nehmen von Lebensmöglichkeiten. Wer unter Schock steht, Panik oder Druck empfindet, kann nicht gut in Ruhe abwägen und entscheiden, sondern reagiert meist erst einmal dagegen: gegen die unerwartete Schwangerschaft oder gegen alle, die versuchen, der Frau etwas ein- oder auszureden. Beratung bietet einen Raum, in dem die Frau zu sich selbst kommen, Ruhe finden, ihre eigenen Kräfte spüren und vielleicht sogar anfangen kann zu überlegen, ob sie nicht doch Kraft findet, dieses ungewollte Kind anzunehmen. Im persönlichen Gespräch begegnet ihr ein Mensch, der Verständnis zeigt, nicht be- oder verurteilt, nicht Partei ist. In der Beratung kann über Hilfsmöglichkeiten gesprochen, es können Informationen gegeben werden, die beruhigend wirken. Wie der Schwangerschaftskonflikt erlebt und verstanden wird, hängt wesentlich davon ab, von welchem Standpunkt aus man den Konflikt betrachtet. Zwei Sichtweisen lassen sich unterscheiden. Für den Beobachter, der außerhalb des Schwangerschaftskonflikts steht, erscheint der Konflikt als einer zwischen Kind und Frau. Von außen gesehen stehen Lebensrecht der Frau und Lebensrecht des Ungeborenen einander gegenüber. Diese Betrachtungsweise allerdings blendet das innere Erleben der betroffenen Frau völlig aus. Für die Schwangere stellt sich die Situation grundsätzlich anders dar. Sie trägt das keimende Leben in sich. Da ist es widersinnig, den Konflikt als einen zwischen Kind und Frau zu beschreiben. Für die Frau steht ein Teil ihrer Person gegen einen anderen Teil ihrer Person. Wie spannungsvoll und schmerzlich diese innere Auseinandersetzung sein kann, ist für Außenstehende – Männer sind in diesem Fall stets Außenstehende – kaum nachzuempfinden. Die Schwangere ist hin- und hergerissen. Wie auch immer sie sich entscheidet, welche Lebensmöglichkeit sie ergreift – sie entscheidet stets auch gegen sich selbst, gegen einen Teil ihrer Person, ihres Lebens und ihrer Sehnsüchte. Niemand setzt sich so existenziell mit dem Schwangerschaftskonflikt auseinander wie die betroffenen Frauen. Niemand denkt so sehr an das ungeborene Kind wie sie. Die Sichtweise von außerhalb verleitet oft dazu, Einfluss nehmen zu wollen. In bester Absicht wird versucht, die Schwangere zu bewegen oder zu überreden, sich doch für das Kind zu entscheiden. Ein solches Bemühen wird dem inneren Erleben der Frau nicht gerecht. Indem man für eine Seite Partei ergreift, bezieht man zwangsläufig zugleich Stellung gegen die Schwangere – gegen einen wesentlichen Teil ihrer Person und ihres Lebens. Diese Parteinahme erlebt die Frau als Angriff auf sich. Sie fühlt sich in ihrem Erleben abgewertet. Zugleich wird in diesem Eingriff von außen das Entscheidungsproblem verkürzt. Das wiederum verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Frau. Wer sich angegriffen und ungerecht behandelt fühlt, wehrt oder verschließt sich. Einflussnahme und Druck produzieren daher eine Situation, in der die Schwangere ihre Kräfte im Kampf gegen Angriffe und Übergriffe mobilisiert, statt sie zum Abwägen zu nutzen, ob sie sich nicht doch für das Ungeborene entscheiden kann. Bedeutet Einflussnahme doch, dass die Schwangere nicht ernst genommen wird. Auf der einen Seite soll sie gegebenenfalls jahrelang Verantwortung für ein Kind tragen – auf der anderen Seite wird ihr abgesprochen, die Verantwortung für diese Entscheidung übernehmen zu können. Werdendes Leben kann nur mit der Frau, nicht gegen sie geschützt werden. Die Spannung, die ein Schwangerschaftskonflikt schafft, ist schier unerträglich. Lebensrecht steht gegen Lebensrecht. Umwelt, Familie oder Gesellschaft ertragen die Spannung meist nicht. Sie verkürzen das Problem, indem sie nur eine Seite des Konflikts gelten lassen. Die Schwangere kann das Problem so einfach nicht lösen. Sie muss die Spannung aushalten. Auch die Beraterin oder der Berater setzt sich dieser Spannung aus und lässt die Frau auf diese Weise spüren: Du bist nicht allein in dieser Krise. Verständnis und Vertrauen, wie sie Schwangeren in der Beratung begegnen, ermöglichen in den meisten Gesprächen, dass die Frau ihrerseits Vertrauen fasst und sich öffnen kann. So kommt es in vielen Fällen dazu, den schmerzlichen Weg des Abwägens noch einmal zu gehen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass ein neuer Entschluss gefasst werden kann. Fachlich kompetente Schwangerschaftskonfliktberatung ist ein wirksames Mittel, Leben zu schützen. Wenig Tätigkeiten sind so genuin Aufgabe der christlichen Kirchen, wie Menschen in seelischer Not oder einer existenziellen Krise beizustehen. Selbstgerechtigkeit ist fehl am Platz. Das zeigt uns ein Beratungsgespräch, das Jesus mit einer Frau geführt hat (Johannes-Evangelium, Kapitel 8). Es sei in aktualisierter Form nacherzählt: Kirchenführer bringen eine Frau zu Jesus: »Meister, diese Frau hat abgetrieben. Was meinst du dazu, der du ein Gesandter dessen bist, der das Leben liebt?« Jesus aber bückt sich und malt im Sand. Die Kirchenführer jedoch lassen nicht locker. »Leben ist Gottes Gabe, es ist unantastbar. Sie hat ungeborenes Leben getötet. Da kannst du doch nicht schweigen!« Da schaut Jesus ihnen ins Gesicht: »Wer von euch, als Person oder als Kirche, noch nie das Lebensrecht anderer verletzt hat, noch nie Kreuzzüge befürwortete und Waffen segnete; wer noch nie eine Frau und ihre Rechte missachtete, wer noch nie Frauen bevormundet oder Unschuldige als Hexen verbrannt hat, der werfe den ersten Stein.« Jesus sagt nicht, dass die Kirche mit ihren Mahnungen Unrecht hat. Das Einzige, was er tut, ist: Er stellt eine Verwechslung richtig. Er weist den Kirchenführern den Platz zu, der ihnen zukommt. Die Kirche hat nicht an Gottes Stelle zu richten, sondern sie steht – wie alle Menschen und alles Menschliche – vor Gottes Gericht. Allein mit der Frau, wendet er sich ihr zu: »Auch ich verurteile dich nicht. Geh, lebe hinfort so, dass du ohne Schuldgefühl zu Gott aufblicken kannst und dich selbst wertschätzt.« Martin Koschorke Der Autor steht in der Aus- und Fortbildung für Personen in der Schwangerschaftskonfliktberatung und hat zu diesem Thema ein Handbuch und weitere Titel veröffentlicht |