Aufgelesen
  Derzeitige kirchliche Befindlichkeit

Zur Zeit fällt es einem sehr schwer, in unserer Kirche Glaubensfreude zu gewinnen und weiterzugeben. Da muss man schon in den 0sten unserer Republik fahren. Anfangs Juli war ich zum gelungenen Studienkurs „Mit Christen und Nichtchristen das Leben feiern“ mit meinem Freund und Schüler, Weihbischof Dr. Reinhard Hauke (Erfurt), in Kloster Helfta, wo wir dabei auch mit zwei ungetauften Journalisten/in aus Dresden ein geistliches Aha-Erlebnis hatten. Solchen suchenden Menschen darf Kirche auf keinen Fall Glaubenssätze und Moralrezepte um die Ohren hauen, sondern sie muss ihnen die faszinierende Botschaft Jesu wie einen Mantel hinhalten, in den sie hineinschlüpfen können.

Doch gewinnt man den Eindruck, dass in letzter Zeit wieder in unserer Kirche dogmatische Definitionen und entsprechende Verhaltensregeln eingeschärft werden. Zum Papier der Glaubenskongregation „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ bestand keinerlei Anlass, und Fragen wurden meines Wissens auch nicht gestellt. Es wird nur Altbekanntes wiederholt. Oder wollte man die evangelischen Mitchristen bewusst verletzen und verärgern und Katholiken aus einer bestimmten Ecke in einen „dogmatischen Schlummer“ (Jon Sobrino) versetzen? Ich hoffe doch nicht, dass daraufhin im neu erarbeiteten „Gotteslob“ wieder das Lied aus den vorkonziliaren Gesangbüchern auftaucht „Wir sind im wahren Christentum, oh Gott, wir danken dir“, das man damals im unökumenischen Brustton der Überzeugung in die Kirchenräume hinein schmetterte. Im Hinblick auf die Ekklesiologie muss deshalb noch weitaus mehr deutlich dargelegt werden, dass das Vatikanum II den Begriff „existit“ gestrichen und dafür „subsistit“ verwendet hat. Wenn man das Verb „subsistere“ aber etymologisch näher untersucht und analysiert, kommt man zu dem Ergebnis, dass die wahre Kirche Christi in der römisch katholischen Kirche angelegt bzw. grundgelegt ist (= subsistit). Es liegt an ihr, ob und wie sie sich dann wirklich zur wahren Kirche Christi entwickelt hat bzw. entwickelt. Von daher gilt es zu beachten, „dass Tragödien entstanden sind aus der Überzeugung, im Besitz der einzig gültigen Wahrheit zu sein. Wir müssen mit dem Begriff Wahrheit verantwortungsvoll umgehen und im Auge behalten, dass es die eine, allgemeingültige Wahrheit nicht gibt“ (Wladislaw Bartoszewski). Denn nur einer ist die Wahrheit, Jesus Christus (vgl. Joh 14, 6). Somit kann man trotz aller noch vorhandener ekklesiologischer Differenzen sagen, dass die Kirchen der Reformation „Kirchen eigener Art“ (Kardinal Walter Kasper) sind. Allerdings sind letztere Kirchen nicht ohne Schuld, dass es zu solch einem unseligen Papier gekommen ist. Denn sowohl im gottesdienstlichen Bereich, auch in Bezug auf die immer noch nicht mögliche Abendmahlsgemeinschaft, wie auch in ekklesiologischen Fragen könnten wir einander noch weitaus näher kommen, wenn sich z.B. die Lutherische Kirche in ihrem liturgischen Tun mehr an ihrer eigenen Bekenntnisschrift, nämlich der „Confessio Augustana“ von 153O, orientieren und sie beherzigen würde. Und dies hätte zur Konsequenz, dass nur ordinierte Pfarrerinnen oder Pfarrer dem Abendmahl vorstehen, dass der Sakramentsgottesdienst am Sonntag die Regel ist und dass mit den Gaben, über die einmal der Einsetzungsbericht gesprochen wurde, würdevoll umgegangen wird. Diesbezüglich sprechen die verschiedenen Konfessionsbilder des 16. und 17. Jahrhunderts eine deutliche Sprache. Hinzu kommt für mich die Frage, warum man z. B. im Dom zu Merseburg um das Jahr 1600 links neben den Hochaltar in die Chorwand noch ein Sakramentshaus eingebaut hat, obgleich 1561 dort bereits die Reformation eingeführt wurde? Sicherlich wurde dieses Sakramentshaus nicht dazu eingerichtet, um eine Lutherbibel zu deponieren! All das vermag aufzuzeigen, was gerade im deutschen Luthertum durch die Aufklärungszeit alles verloren gegangen ist. Wir dürfen also jetzt auf keinen Fall ökumenisch resignieren. Als Sohn aus einer konfessionsverbindenden Familie wurde mir von klein auf bewusst: wir können die Ökumene nicht machen, wir können nur unseren Teil davon leben.

Ein weiterer Anlass zu einer gewissen Trauer ist die vielfach angekündigt gewesene Veröffentlichung des Motu Proprio „Summorum Pontificum“ zur Wiedereinführung der tridentinischen Messe (nach dem Ordo von Papst Johannes XXIII. im Jahr 1962) als außerordentliche Form der römischen Messfeier. Ich persönlich sehe das Ganze nicht so schwarz, bin aber gleichwohl traurig darüber. Schon 1976 habe ich als kleiner und unbedeutender Uni-Assistent in Würzburg die Meinung vertreten, ob es so klug war, dass Papst Paul VI. sozusagen mit einem Federstrich die tridentinische Messe kategorisch verboten hat. Mein damaliger Chef und Doktorvater, Prof. Dr. Georg Langgärtner (+), nahm mir dies ziemlich übel. Doch sagt eine alte Menschenweisheit, was verboten ist, das ist höchst reizvoll. Man hätte beide Formen ruhig nebeneinander herlaufen lassen können, dann hätte sich eindeutig in wenigen Jahren herausgestellt, welche Form die theologisch heutige ist. Als Priester musste ich noch zweieinhalb Jahre die tridentinische Messe feiern. Heute würde ich einen eventuellen Zwang dazu völlig ablehnen, weil hinter der Messe von 1570 eine klerikalistische Theologie steht, die mit der Theologie der Liturgiekonstitution von 1963 nicht kompatibel ist. Meiner Meinung nach wird es zu keiner "Reform der Liturgiereform" kommen. Wer tridentinisch feiern will, soll es tun, doch werden dies keine großen Zahlen werden. Denn dazu fehlen die Priester, die Latein wirklich können. Ich war über 30 Jahre in der universitären Priesterausbildung tätig und musste die traurige Erfahrung machen, dass die jungen Leute katastrophale Kenntnisse der alten Sprachen besitzen; und in letzter Zeit fehlt es nicht allein an der Quantität, sondern auch an der Qualität der Kandidaten. Wie wollen die einen lateinischen Liturgietext verstehen und richtig sprechen? Dann verkommt die Liturgie eben wieder zu einem verständnislosen Persolvieren. Ob das der Papst wohl will? Oder erfüllt er sich hier einen „Kindheitstraum“ des Joseph Ratzinger? Dass es soweit gekommen ist, daran sind aber auch viele Priester mit Schuld, für die eine ars celebrandi vielfach ein Fremdwort ist. Für mich ist es eben ein unsägliches Ärgernis, wenn vielfach von Priestern die Eucharistie einfach lieblos, unglaubwürdig weil unvorbereitet, ohne persönliche Zuwendung und geistliche Ausstrahlung, in kalter, formelhafter Routine und geschäftsmäßig abzelebriert wird und bei der Kommunion heutzutage massenhaft Leute abgespeist werden, die eigentlich gar nicht eucharistiefähig sind, da ihnen die Tiefe und Wesenhaftigkeit des eucharistischen Glaubens, also die entsprechende geistliche Einstellung, die Spiritualität, abgehen? Unseren Gemeinden muss wieder überzeugend klar gemacht werden, dass wir Mahl halten und uns keinen Schnellimbiss abholen! Es muss etwas getan werden gegen die neue Oberflächlichkeit und gegen eine „Eucharistie light“. Den vielfach erhobenen Vorwurf, der erneuerten Messe (der zukünftig ordentlichen Form) fehle es an geistlichem Tiefgang, weise ich aus eigener Erfahrung entschieden zurück. Die Messfeier des Vatikanum II besitzt sehr wohl eine mystische Tiefendimension, stellt sie doch u. a. die Hochform des christlichen Gottesdienstes dar. Gerade sie soll deshalb in höchstem Maß dazu beitragen, dass das Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christi und des eigentlichen Wesens der wahren Kirche wird. Somit bedarf es für eine engagierte, innerliche und glaubhafte Mitfeier der Eucharistie einer lebendigen und tiefen geistlichen Einstellung. Da in letzter Zeit gerade Prominente und Intellektuelle wie Martin Mosebach oder Hubert von Goisern immer wieder den Ruf nach der „alten Messe“ hinausposaunten, möchte ich sie fragen, ob sie denn regelmäßig den Gottesdienst mitfeiern und wann sie zum letzten Mal im Sonntagsgottesdienst waren. Die Frage darf man stellen, wie man in Rom auf solche Äußerungen hereinfallen kann. Doch sollte noch auf einen anderen Zusammenhang verwiesen werden, den Johannes Röser in „Christ in der Gegenwart“ (Nr. 29/07, S. 236) deutlich anspricht. „Wenn der Papst durch die Erlaubnis der tridentinischen Messe den weltweit vielleicht 500 traditionalistisch orientierten Geistlichen und einigen hunderttausend Gläubigen wie einem verlorenen Schaf nachgeht, so wäre es im gleichen Atemzug nur folgerichtig, auch Entscheidungen zugunsten jener Millionen von Gläubigen zu treffen, die sonntags mangels Priesters keine Möglichkeit haben, die österliche Eucharistie zu feiern. Was geschieht darüber hinaus für jene vielen tausend Priester, die am verpflichtenden Zölibat gescheitert sind, die aber trotzdem Priester auf Ewigkeit sind - nach der Ordnung Christi? Wir brauchen da nicht mehr tridentinische Liturgie - wir brauchen mehr Priester, gute intellektuell wie emotional bewährte jüngere - und auch ältere - Männer der Welt als Männer Gottes, die es durchaus gäbe, wenn es die Zölibatspflicht für Gemeindegeistliche in der lateinischen Teilkirche nicht mehr gäbe“. Dem ist wahrlich nichts hinzuzufügen.

Und ein letzter Grund zu Irritationen und Ärger war anfangs Juli die Bischofswahl in Chur. Sie hat einen getreuen Gefolgsmann des ominösen Bischofs Haas hervorgebracht. Jedenfalls müssen da in letzter Zeit im Hinter- und Untergrund unsaubere „Spielchen“ betrieben worden sein und üble Tricksereien sowie verschlagenes Taktieren erfolgt sein. Denn aus Rom war vorher anderes hoffnungsvoll zu vernehmen. Ein erneuter Kirchenkonflikt ist also in der Schweiz programmiert; die durch Bischof Grab befriedete Diözese Chur steht wieder in Gefahr.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Katholiken die Sorge umtreibt über die Bahn, auf der sich die Kirche befindet. Man scheint in viel zu hohem Maß sich auf regressive Muster zurückziehen zu wollen, um so den Winden und Stürmen einer säkularisierten Gesellschaft trotzen zu können. Das ist mir aber eindeutig die falsche Strategie! Je mehr Fehler nämlich Papst und römische Kurie machen und nicht eingestehen, desto schneller werden sie sich in der heutigen Zeit relativieren und an Autorität verlieren. Leider haben wir es über Jahrzehnte, von Ausnahmen abgesehen, bei einem „Grummeln“ belassen, als das Vatikanum II und sein Geist Stück für Stück, Nadelstich für Nadelstich desavouiert worden sind. Mich dünkt, unsere Kirche ist auf dem allerbesten Weg, ihre Zukunft zu vergessen ähnlich den unzähligen Zeitgenossen, die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben.

Quid faciendum? (zu deutsch: Was ist zu tun?) -

Sperare contra spem (zu deutsch: Hoffen wider alle Hoffnung)?

Karl Schlemmer