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Prof. Dr. Helen Schüngel-Straumann „Welch wunderbares Loblied – Junia, hervorragend unter den Aposteln“ aus kfd-Heft‚ Frau u. Mutter“ Nr. 7/8/89 „Das letzte Kapitel des Römerbriefes nennt in der Grußliste Junia, eine Frau, die hier von Paulus selbst als ‚Apostel’ (apostolos), ja sogar als ‚hervorragend unter den Aposteln’ bezeichnet wird (Röm. 16,7). Mit ihr zusammen wird auch ein Mann hervorgehoben, Andronikus – so vermutet werden darf, es handele sich bei den beiden um ein christliches Ehepaar wie bei Priska und Aquila, das in der Missionsarbeit neben Paulus gewirkt hat. Da die entsprechenden Wörter im Plural stehen (Einheitsübersetzung: ‚Sie sind angesehene Apostel!’), sind die Aussagen in jedem Fall auf beide Personen zu beziehen. Immerhin geht aus den Grüßen des Paulus noch hervor, daß sie schon vor seiner Bekehrung Christen waren. Das heißt: wenn man die Bekehrung des Paulus in die Jahre 32-35 legt, muß das christliche Wirken dieser beiden Apostel bis an die Zeit Jesu heranreichen.“ Der Gruß´im Römerbrief enthält darüber hinaus die Nachricht, daß die beiden mit Paulus zusammen im Gefängnis waren und daß sie ‚zu meinem Volk’ gehörten. Somit waren auch sie Judenchristen, und wahrscheinlich gehörte Junia zu denen, die bei der Erscheinung des auferstandenen Jesus, wie sie in 1 Kor 15(vgl. besonders die Verse 6 und 7) von Paulus beschrieben wird, dabei waren. Denn zu den Kriterien des Aposteltitels gehört es, dem auferstandenen Jesus selbst begegnet zu sein, wie es auch Paulus von sich behauptet (vgl. 1 Kor 15,8). Daß die Gruppe der ‚Apostel’ und die Gruppe der ‚Zwölf’ ursprünglich zwei ganz verschiedene Größen waren, ist bekannt. Paulus zählt sich ja selbst zu den Aposteln, nie jedoch gehörte er dem Zwölferkreis an. Warum wird von dieser Apostolin Junia nicht häufiger gesprochen? Wo sind die Konsequenzen daraus, daß Paulus selbst im Römerbrief eine Apostolin grüßt, die schon länger als er wirkt und sogar besonders herausragt? Die Lösung ist einfach, aber beschämend: Seit dem späten Mittelalter wird der griechische Name Junia als Männername wiedergegeben. Auch noch die Einheitsübersetzung bringt Andronikus und Junias als zwei Männernamen – und zwar gegen die Einsicht genauer sprachlicher Untersuchungen und gegen die Tradition von dreizehn Jahrhunderten! Denn bis ins 14. Jahrhundert hinein gibt es keinen Beleg, daß ein Kommentator des Römerbriefes Junia nicht als Frauenname gelesen hätte (und der Römerbrief ist häufig und gern ausgelegt worden!). Der griechische Kirchenvater Chrysostomus (534 bis 407) sagt: ‚Ein Apostelzu sein, ist etwas Großes. Aber hervorragend unter den Aposteln – bedenke, welch wunderbares Loblied das ist. Sie waren hervorragend auf Grund ihrer Arbeit und ihrer rechtschaffenen Taten. Wie groß muß doch die Weisheit dieser Frau gewesen sein, daß sie für den Apostel würdig empfunden wurde.’ Aber auch schon Origines (185 bis 254) sowie der große Hieronymus (340/50 bis 420) und im Mittelalter Petrus Abaelard (1079 bis1142), um nur einige Theologen zu nennen, hatten nicht die geringsten Zweifel, daß es sich bei Juni um eine Frau handelt. Wer aus dem Neuen Testament ableiten will, daß Frauen nicht für alle kirchlichen Ämter geeignet sind, muß zumindest erklären, warum der längere Teil der Tradition im Fall der Apostolin Junia offenbar anders denkt. Wenn man sogar bewußt an einer falschen Übersetzung des biblischen Wortlauts festhält – wäre dann nicht von einer Verfälschung der Bibel zu sprechen? Viele Theologen – und nicht nur Frauen – sind heute nicht mehr bereit, solche einseitigen Interpretationen einfach auf sich beruhen zu lassen. Das Zeugnis des Neuen Testaments legt uns jedenfalls eine viel unbefangenere, breitere und weitere Sicht dieses Problems nahe.“ |