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Gemeinden ohne Pfarrer Hermann Häring, in Kirche IN 04/2008 Was tut eine lebendige, nach innen und außen aktive Gemeinde, die ihren sonntäglichen Gottesdienst feiern möchte, deren Pfarrer aber mit weiteren Pfarreien heillos überlastet ist, oder eine, die überhaupt keinen Pfarrer mehr hat? In europäischen Ländern kennen wir dieses Elend ebenso wie in Lateinamerika und in manchen asiatischen Ländern. In einer Broschüre, die an alle Pfarreien des Landes ging, haben niederländische Dominikaner im Juli 2007 das Problem aufgegriffen - und verärgerten damit die Bischöfe und den Vatikan. Die Lage wird offen geschildert. Etwa ein Drittel der sonntäglichen Gottesdienste in den Niederlanden sind priesterlose Kommunionfeiern, dies mit steigender Tendenz. Priester aus Afrika oder Indien können das Problem nicht lösen. Nicht alle Gemeinden sind darüber unglücklich, denn ohne Priester lässt sich die Liturgie freier gestalten und Gemeindemitglieder können mehr Verantwortung übernehmen. Aber Erosionserscheinungen werden sichtbar. Manche sehen zwischen Eucharistiefeier und Wortgottesdienst mit Kommunionfeier keinen Unterschied mehr, andere reden neutral vom "sonntäglichen Gottesdienst" und verschleiern selbst gegenüber Gottesdienstbesuchern das Problem. Und was geschieht etwa, wenn die zuvor konsekrierten Hostien nicht reichen? Mit Phantasie und ganz pragmatisch lässt sich auch eine solche Situation bewältigen.: Kurz, die Lage wird zunehmend undurchsichtiger. Von einem Eiertanz gegenüber den Bischöfen sprechen manche Betroffene oder von einer Katakombensituation, in der man die wirklichen Zustände nicht benennen darf. Die schlichte Kernfrage lautet: Mit welchem Recht nimmt uns die Hierarchie die Möglichkeit, dass wir am Sonntag ganz normal die Eucharistie feiern? Den Schwarzen Peter kann man dieses Mal nicht nach unten weiterreichen, denn die traditionelle Seelsorgestruktur blutet von oben her aus. Schuld tragen eindeutig die Bischöfe und Rom. Man kann dem Papier der Dominikaner keinen Aktionismus vorwerfen, denn ausgehend vom 2. Vatikanischen Konzil entwirft es in drei theologischen Schritten das Bild von einer geschwisterlichen Kirche, von der Eucharistie als einer Feier der Gemeinschaft und von einer Gemeindeleitung, die mit dem unerträglichen Klerikalismus nichts mehr gemein hat. Dann wird ein Programm zur Bestellung von Gemeindeleiterinnen entwickelt, die im vollen Sinn des Wortes Eucharistie feiern können. Das Papier fährt fort: "Dabei macht es keinen Unterschied, ob es Männer oder Frauen, Homos oder Heteros, Verheiratete oder Unverheiratete sind. Entscheidend ist eine Glaubenshaltung, die ansteckend wirkt." Natürlich waren die Bischöfe not amused über die Tatsache, dass man Missstände offen anspricht und eine Lösung vorschlägt. Nachdem sie seit Jahrzehnten Gespräche über diese Fragen verweigerten, fühlen sie sich jetzt hintergangen, weil das Papier allen niederländischen Gemeinden zugeschickt wurde. Initiative der Gemeinden Den größten Ärger verursacht aber der dreistufige Aktionsvorschlag zur Bereinigung der Probleme: Auswahl, Vorschlag und Ordination von Kandidatinnen.
Umso erstaunlicher ist es, dass sie sich zu diesem Vorschlag bislang nicht äußerten. Vielmehr stürzten sich Rom, die Bischöfe und die Kritiker im eigenen Land nur auf einen einzigen Satz, der diesen Aktionsaufruf abschließt. Er lautet: "Sollte ein Bischof diese Weihe oder Ordination mit Argumenten verweigern, die mit dem Wesen der Eucharistie nichts zu tun haben, dann dürfen die Pfarreien darauf vertrauen, dass sie dennoch wirklich und wahrhaftig Eucharistie feiern, wenn sie unter Gebet Brot und Wein teilen." Dieser Satz erregt die Gemüter und bewährte Taktiken werden zu dessen Abkehr angewendet: Man blendet Anlass und Ziel des Papiers aus. Kein Bischof schlägt zunächst an die eigene Brust oder bedauert wenigstens seine bisherige Phantasie- und Erfolglosigkeit. Kein Wort wird darüber gesagt, dass die Pfarreien nichts Unbilliges verlangen, sondern das Opfer einer katastrophalen Priesterpolitik sind. Und niemand will anerkennen, dass dieser Vorschlag den Bischöfen friedfertige, geradezu goldene Brücken baut. Man ignoriert auch die zurückhaltende Formulierung des angegriffenen Satzes; der vorsichtig formuliert, im Konfliktfall dürften die Gemeinden "darauf vertrauen...". Nirgendwo wird schließlich gefordert, dass im Konfliktfall ein Gemeindemitglied einfach die Stelle des Zelebranten einnimmt. Und warum darf eine Gemeinde als Gemeinschaft - dem Auftrag Jesu entsprechend - nicht unter Gebet Brot und Wein miteinander teilen? Einer genaueren Beurteilung wert wäre zudem der Vorschlag, dass die "Einsetzungsworte" von der gesamten Gemeinde gesprochen werden. Auch könnte ein kluger und theologisch kompetenter Bischof das Papier zum Anlass nehmen, aus neuer Perspektive Fragen des Sakramentes (Taufe, Eucharistie, Vergebung, Krankensalbung) neu als Handeln der gesamten Gemeinde zu besprechen. Kommt es zum Schisma? Aber nein, Kardinal Simonis von Utrecht schaltete römische Behörden ein, bevor er selbst auch nur mit einem Wort reagierte. Unter offensichtlichem Druck der Glaubenskongregation zog der Generalobere der Dominikaner die Angelegenheit an sich und versteckte sich hinter einem Gutachten, auf dem jetzt alle Begründungslast liegt. Die niederländischen Dominikaner aber wurden, wie es in ihrer Sprache so schön heißt, "gemaulkorbt". Wie klug hatten sie also gehandelt, indem sie das Dokument beizeiten veröffentlichten. So kam wenigstens eine öffentliche Diskussion in Gang. Dagegen hätte man das interne Gutachten des Pariser Theologen H. Legrand besser nicht veröffentlicht, denn es entlarvt die gereizte Stimmung der Offiziellen, bezeugt deren Verachtung von "Laien" und enthüllt, kurz gesagt, das Diskussionsniveau der Nomenklatura. Der Kampfruf lautet "Schisma", ohne dass man die Hierarchen als Erstverursacher einer beschworenen Spaltung benennt. Das Papier verstoße gegen die Lehre der Kirche, heißt es schlicht, und es ignoriere das angestammte Recht der Bischöfe in liturgischen Fragen. Legrands taktische Argumente lauten: Vergiftung des Gesprächsklimas und Verzögerung von aussichtsreichen Reformansätzen. Er fragt nicht, wer da das Klima vergiftet hat und warum es seit Jahrzehnten - trotz guten Willens "von unten" - zu keinen Gesprächen kam. Dass der Gutachter Legrand selbst noch auf seine exzellente theologische Kompetenz verweist und die niederländischen Verfasser des Papiers zu theologischen Nullen erklärt, zeigt den neuen Geist der Anmaßung, der sich in letzter Zeit in der katholischen Kirche wieder breit macht. Was geschieht jetzt? Wer die Niederlande kennt, weiß nur zu gut, dass engagierte Katholiken sich keine Maulkörbe mehr verpassen lassen; die öffentliche Diskussion ist schon längst angelaufen. Sie wird in engagierten Gruppen, in Gemeinden und im Internet geführt (www.rk-kerkplein.org). Bittere Erinnerungen werden wach, so etwa an die Beschlüsse des Niederländischen Pastoralkonzils zur Aufhebung des Zölibats (1966-70), worauf Rom nie reagiert hat; an die "besondere Synode", zu der Johannes Paul II. 1980 die Niederländischen Bischöfe nach Rom zitierte, um sie zur Ordnung zu rufen; an die zahllosen Irritationen, den der bischöfliche Kampf gegen Feminismus und Homosexuelle, gegen progressive Gruppen und eigenständige Priester, gegen den begnadeten Dichter Huub Oosterhuis und den großen Theologen Edward Schillebeeckx auslöste. Erinnerungen schließlich an den ständigen Druck, dem die niederländische Theologie insgesamt ausgesetzt war, und der 2005/06 schließlich zur (versuchten) Aufhebung sämtlicher theologischer Fakultäten führte. Immer wieder haben sich Roms Aggressionen an dem Feindbild Holland entzündet. Umso erstaunlicher ist die Gelassenheit, die im Land selbst einzukehren scheint. Das hat seinen guten Grund. An Roms Strategien hat man sich schon lange gewöhnt, und wer hinter die Kulissen schaut, weiß auch: Viele Gemeinden verstehen es, ihren eigenen, im Glauben verantworteten Weg zu gehen. Von den Drohgebärden der Bischöfe lassen sie sich nicht mehr stören. Wenn die augenblickliche Auseinandersetzung etwas bringt, dann ein gutes Gewissen bei vielen, die sich ihrer Sache bislang noch unsicher waren. Jetzt kann auch dem Letzten klar werden, wer die missliche, für Katholiken untragbare Situation zu verantworten hat. Gerade weil die Dominikaner in die Diskussion nicht mehr eingreifen dürfen, wird diese Aufgabe von anderen übernommen. So findet man in den Niederlanden - von unten gesehen - viele Anzeichen einer innerlich erneuerten und selbständig handelnden Kirche. Wenn die Bischöfe darin den Beginn eines Schismas sehen wollen, ist das deren Problem. Können die Bischöfe aber nicht mit Sanktionen gegen rebellische Gemeinden vorgehen? Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Gemeinde einem ihr aufoktroyierten Priester die Kirchenschlüssel verweigert hat. Man weiß sich mittlerweile zu helfen. Dr. Hermann Häring, promoviert und habilitiert in Tübingen, war seit 1980 Professor für Dogmatische Theologie in Nijmegen, von 1999 bis 2005 Professor für Wissenschaftstheorie und Theologie, Nijmegen. |