Aufgelesen

Der Bischof von Fulda lädt laisierte Priester ein

Als ehemaliger römisch-katholischer Priester staunt man schon ein wenig, wenn auf einem Brief im Kasten ein – immer noch – vertrautes bischöfliches Wappen prangt. Das Staunen verstärkt sich, wenn der Umschlag die Nachricht enthält: Bischof Heinz Josef Algermissen, Weihbischof Johannes Kapp und der Personalreferent des Bistum, Gerhard Hanke, laden zum 17.09.05 alle ehemaligen Priester der Diözese Fulda zu einem Treffen ins Fuldaer Bonifatiushaus ein. Das Staunen wird nicht geringer, wenn man erfährt, dass diese Einladung laut beigefügter Kopie bereits von Erzbischof Johannes Dyba für das Jahr 2000 – kurz vor seinem plötzlichen Tod – geplant gewesen sei. Jetzt, da der neue Bischof eine Weile im Amt und der 1250te Todestag des hl. Bonifatius gefeiert ist, solle die Einladung verwirklicht werden. Eine Einladung der kirchlichen Obrigkeit an „abgefallene Priester“ – nach einer seit Jahrzehnten oder – in größeren Zeiträumen gedacht – seit Jahrhunderten geübten „damnatio memoriae“ – das ist schon ein Grund zum fröhlichen Staunen.
Gewiss: die Einladung hatte einen gravierenden Fehler: die Frauen waren vergessen worden. „Selbstverständlich sind auch sie herzlich willkommen“, hieß es auf Anfragen. Etliche Frauen akzeptierten das verständnisvoll und kamen mit, andere nicht, vielleicht weil ihnen die empfangenen Verletzungen allzu lebhaft in Erinnerung waren.
Als erster Akt des Treffens ereignete sich eine unter den Ehemaligen und ihren Frauen ausbrechende spontane Begrüßungsorgie. Nicht alle kannten sich, von einigen wusste man nur vom Hörensagen. Manche hatten sich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Herzlich waren auch die Begrüßungsworte, die Weihbischof i.R. Hannes Kapp – manchen „Ehemaligen“ als Mitstudierender persönlich bekannt – an die Versammlung richtete. Er erläuterte, dass von den 49 laisierten (bzw. suspendierten) Priestern des Bistums 29 z. T. von weit her gekommen waren, und hieß noch einmal alle anwesenden Frauen willkommen. Einige der Ehemaligen habe man trotz intensiver Recherchen nicht ausfindig machen können, andere hätten bedauert, aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen nicht kommen zu können, einige seien bereits verstorben. Alles, was er sagte – auch die dabei zu Tage tretende Wiedersehensfreude -, war von großer Glaubwürdigkeit. So machte auch seine Bitte um Vergebung für die Verletzungen durch die seinerzeit erfolgten amtlichen Reaktionen tiefen Eindruck. Es entstand so etwas wie eine „geschwisterliche“ Freude, deren Atmosphäre auch die sich anschließende Vorstellungsrunde kennzeichnete.

Die Berichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ließen – neben grundlegend Übereinstimmenden – eine Vielfalt von Motiven erahnen, die zum Schritt aus dem Priesterstand führten. An erster Stelle stand die Absicht, das Verhältnis zu der geliebten Frau nicht im heimlichen Abseits zu lassen. Diesem Schritt gingen meist kritische Erfahrungen mit kirchlichen Strukturen oder ein Wandel des Glaubensverständnisses voraus. Bei dem einen schien ein Drängen nach beruflichen Möglichkeiten im Vordergrund zu stehen, dem sich keine Entfaltung bot, andere litten unter den Frustationen im nachkonziliaren Leben der Kirche.
Unterschiedlich schwierig waren auch die Wege zum Neuanfang. Es gab keine lauten Lamentationen, aber zwischen den Worten trat da und dort zu Tage, was es bedeutete, mit Frau und Kind, eine Ein-Zimmer-Wohnung teilend, ein Zweitstudium zu absolvieren, mit wenig Geld, mit Konflikten in der Verwandtschaft und dem Umstand, mehr oder weniger im Abseits der kirchlichen Lebensgemeinschaft zu stehen. Besonders deutlich wurde das, als ein älterer Teilnehmer die Widerstände und Demütigungen andeutete, die ihm seinerzeit als erstem verheirateten Priester im Bereich der DDR zu schaffen machten.
Was die beruflichen „Karrieren“ der Einzelnen betrifft, so dominierten die sozialkaritativen Berufe – vom Krankenpfleger bis zum leitenden Mitarbeiter einer Wohlfahrtsorganisation – und der Lehrerberuf, sei es als Religionslehrer oder als Lehrer an Gymnasien. Einer hatte sich als Priester der Altkatholischen Kirche angeschlossen, zwei waren als Pfarrer von Evangelischen Kirchen übernommen worden, andere in einen Verwaltungsdienst. Geprägt war schließlich das Leben aller durch Ehe und Kinder, was wegen der Kürze der Zeit leider nur andeutungsweise zur Sprache kam. Zurückhaltend waren im Allgemeinen die Ehefrauen mit ihren Beiträgen. Käme es noch einmal zu einem ähnlichen Treffen, sollten ihre Erfahrungen mit ihren „Priestermännern und –familien“ im Vordergrund stehen sowie ihre eigenen beruflichen Möglichkeiten.

So verschieden sich jedenfalls die Lebenswege der Einzelnen darstellten: eins schien die meisten nach wie vor zu bewegen: die kritische, mit verschiedengradigen Traumata verknüpfte innere Verbundenheit zur Kirche. Als sich die Runde – nach dem geselligen Mittagsmahl – dem nun auch anwesenden Diözesanbischof in Kürze vorstellte, zog er das Fazit: es seien wohl nicht die Schlechtesten, die die Kirche aus ihrem Dienst verloren habe.

Beeindruckt zeigte sich Bischof Algermissen auch durch die Fragen und Anregungen, um die er die Teilnehmer und Teilnehmerinnen bat. Manches kam zur Sprache: so dankte ein jüngerer Teilnehmer, erst vor Kurzem aus dem Amt ausgeschieden, für die finanzielle Ermöglichung seiner beruflichen Neuorientierung. Ein anderer wies auf die Möglichkeiten zur intensiven Seelsorge, die ihm im neuen Beruf begegnet seien. Unterschiedliche Auffassungen zeigten sich in der Einschätzung des Zölibats, zu dem sich die Priesterkandidaten nach Ansicht des Bischofs vor ihrer Weihe durch ein bewusstes Ja verpflichtet hätten, oder in seiner Aussage, er würde niemanden im Priesteramt belassen, von dessen Zusammenleben mit einer Frau er Kenntnis hätte. Immerhin stellte der Bischof abschließend fest, dass vieles von dem, was an diesem Tag zur Sprache gekommen sei, eigentlich auf die Agenda der Bischofskonferenz gehöre.

Als zum Abschluss der Begegnung die Anwesenden mit kraftvollen Stimmen die Psalmen der Vesper sangen, konnte die Zuversicht entstehen, Gott höre auch das Lob von Laisierten, Suspendierten und Exkommunizierten.

Karlheinz Hünten