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Die Kirche muss den Dialog offen und mutig führen Er kann sich in der katholischen Kirche verheiratete Priester und großzügigere Lösungen nach gescheiterten Ehen und bei der Empfängnisverhütung vorstellen - Helmut Krätzl, Weihbischof in Wien. Weihbischof Helmut Krätzl im Gespräch mit Redakteuren der "Wiener Zeitung". Wiener Zeitung: Herr Weihbischof, warum werden in Europa so wenige Männer Priester? Helmut Krätzl: Das hat viele Gründe. Erstens ist die Zahl der Kinder geringer geworden. Früher sind Priester meist aus kinderreichen Familien gekommen, und die gibt es heute nahezu nicht mehr. Zweitens ist das Image der Kirche und auch des Priesteramtes in der Öffentlichkeit gesunken. Drittens ist in der jetzigen Generation eine Bindungsangst vorhanden, sich lebenslänglich zu verpflichten - bei Priester- und Ordensberufen, aber auch bei Ehebeziehungen. An der Theologischen Fakultät in Wien gibt es tausend Studenten, vorwiegend Mädchen, aber auch hunderte Burschen. Eine Befragung hat unterschiedliche Gründe ergeben, warum sie sich nicht weihen lassen. Ein Grund ist der Zölibat, der zweite ist Unsicherheit, wie sich die Kirche weiterentwickelt, und ein weiterer Grund ist, dass die Kirche in manchen Fragen Positionen hat, die für die Menschen oft nicht leicht nachvollziehbar sind. Halten Sie die Zugangsbedingungen für das Priesteramt für reformbedürftig? Ich glaube, dass die Zugangsbedingungen schon deswegen überlegt werden müssen, weil wir sonst in Gefahr kommen, auf Sakramente verzichten zu müssen. Auch bei uns gibt es schon Pfarren, wo nicht jeden Sonntag die Messe gefeiert werden kann. Das ist ein spirituelles Manko. Der verstorbene Papst hat in seinen Enzykliken sogar von der Verpflichtung gesprochen, den Leuten jeden Sonntag den Zugang zur Messe zu ermöglichen. Die römisch-katholische Kirche kennt zwei Formen von Voraussetzungen. Im lateinischen Zweig und Codex nur die unverheirateten Priester, während im Codex für die Orientalen, der erst 1990 erschienen ist, steht, dass die Tradition, auch verheiratete Männer zum Priester zu weihen, aufrecht erhalten bleiben soll. Dieses Gesetz ist vom selben Papst erlassen worden. Daher ist es das Wahrscheinlichste, dass man diesen Weg auch für die lateinische Kirche eröffnet. In Wien helfen bereits griechisch-unierte Priester in Pfarren, in denen starker Priestermangel herrscht, aus. Die Gläubigen nehmen es durchaus an, dass auch ein verheirateter Priester mit ihnen Eucharistie feiert. Sie können sich also verheiratete Priester vorstellen? Ja, sogenannte Viri probati, wie das seit vielen Jahren von vielen Teilen der Weltkirche angemahnt wird. Die im Glauben und in der Ehe bewährt sind und dann auch zum Priester geweiht werden können. Die heutige Lösung, dass immer mehr kleine Gemeinden zusammengelegt werden oder den Leuten gesagt wird, sie sollten in große Gemeinden zur Messe gehen, halte ich soziologisch, aber auch liturgisch für falsch. Wenn wir in der Liturgie nach dem Konzil die tätige Teilnahme an der Eucharistie wünschen, dann muss ich sie dort feiern, wo die Leute wohnen. Ich kann sie nicht jeden Sonntag auf eine Wallfahrt in die nächste Gemeinde schicken. Welchen Zeithorizont können Sie sich da vorstellen? Ich bin kein Prophet, wahrscheinlich muss der Leidensdruck da noch größer werden. Wobei diese Zwischenlösung, dass Laien oder Diakone an den Sonntagen, wo keine Eucharistie ist, einen Wortgottesdienst feiern, auch eine gute Entwicklung ist. So kommt die Gemeinde nämlich darauf, dass sie selbst zuständig ist, sich um das Wort Gottes zu versammeln. In Wien werden 63 Prozent der Ehen geschieden. Verstehen Sie das Anliegen, dass wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen wollen? Das Anliegen ist ganz alt, und die, die mich besser kennen, wissen, dass ich viel darüber geschrieben und gemahnt habe, dieser pastoralen Not entsprechend Lösungen zu bringen. Es war ja seinerzeit der junge Dogmatiker Joseph Ratzinger, der als einer der Ersten gemeint hat, dass man Geschiedene zu den Sakramenten zulassen könnte, wenn nach der Trennung die Dinge der ersten Ehe soweit wie möglich gut gemacht worden sind, wenn in der zweiten Verbindung durch Treue zu Partner und Kind neue Verpflichtungen entstanden sind, wenn der religiöse Wunsch besteht und kein öffentliches Ärgernis droht. Auch Johannes Paul II. spricht 1980 in "Familiaris consortio" von Verpflichtungen in der zweiten Verbindung, die gar nicht mehr gelöst werden können. Doch der Zusatz, sie dürften in dieser zweiten Verbindung nur zur Kommunion gehen, wenn sie enthaltsam leben, geht wohl an der Lebenswirklichkeit der Leute vorbei. Ich glaube, das sollte im Einzelfall besprochen werden. Natürlich hat die Kirche Angst, dass so der Grundsatz der Unauflösbarkeit der Ehe in Frage gestellt wird. Das wäre furchtbar. Diese Angst verstehe ich, aber sie darf nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Die leiden darunter und haben den Eindruck, sie haben keine Lösungsmöglichkeit für die Zukunft. So wird ein Gottesbild tradiert, das ihnen neue Anfänge verwehrt. Ich halte das für sehr gefährlich. Man hört nun von Überlegungen, auch offiziell eine pastorale Lösung zu finden. Gibt es andere Punkte, wo die Kirche vielleicht an der Lebenswirklichkeit vorbei lehrt? Wahrscheinlich könnte man das auch für die Frage der Empfängnisverhütung in der Ehe sagen. Ich halte es für wichtig, dass man den Satz des Konzils, der erstaunlich mutig war - von der verantworteten Elternschaft und dass die Eltern die Zahl der Kinder vor Gott zu verantworten haben -, sehr ernst nimmt. Allerdings hat es damals gleich geheißen "mit Rücksicht auf das Lehramt der Kirche", aber ich glaube, dass das Lehramt diese Verantwortung der Eltern nicht zu sehr einengen darf. Sie haben zum Konzil das Buch "Im Sprung gehemmt" verfasst. Zu welchem Sprung hat das Konzil angesetzt, wie wurde er gehemmt und kann man diesen Sprung wieder aufnehmen? Man müsste der jüngeren Generation einmal zeigen, wie die Kirche vor dem Konzil war. Zunächst ist der Sprung enorm gewesen. Wenn ich nur an die Erneuerung der Liturgie denke, die Ökumene, die Religionsfreiheit, die Frage der Öffnung zum Judentum mit der Aufarbeitung einer so leidvollen Geschichte. Auch die Ehemoral, das Wiederentdecken des gemeinsamen Priestertums aus Taufe und Firmung. Das Kirchenbild wird nicht nur hierarchisch gesehen, sondern als Volk Gottes. Das hat ja Konsequenzen bis zu den Gremien und zur Mitverantwortung der Laien - das ist ein Sprung, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Auf der anderen Seite glaube ich, dass manches gebremst worden ist. Ich bin überzeugt davon, dass die Liturgiereform nicht zu Ende ist, sondern dass noch etliches aussteht. Eine Liturgie, die die heutige Jugend anspricht, die ihrer Sprache und ihren Symbolen entspricht. In der Ökumene sind wir zum Teil stecken geblieben. In der Theologie sind wir uns viel näher gekommen als im Kirchenrecht. Auch in der Ehelehre: Ich glaube, wie angedeutet, die Frage der verantworteten Elternschaft müsste über "Humanae vitae" hinaus weitergedacht werden. Der Zentralismus wächst leider wieder, die Kirche wollte in der Communio-Ekklesiologie und der daraus folgenden Kollegialität und der Betonung, dass die Weltkirche in und aus den Ortskirchen besteht, eine viel stärke Dezentralisierung. Wobei der Zentralismus nicht immer von oben hinunter wächst, sondern auch von unten hinauf. Dann nämlich, wenn Bischöfe und auch Bischofskonferenzen die eigene Verantwortung zu wenig wahrnehmen und allzu bald in heiklen Fragen nach römischen Weisungen verlangen. Die große Erwartung nach dem Konzil, dass die Kirche sich jetzt geöffnet hat und alle mit dieser Kirche einverstanden sein müssten, war natürlich eine Utopie, eine Übertreibung, die dann ins Gegenteil umgeschlagen ist: Die große Zahl der Kirchenaustritte und Ehescheidungen, der Priestermangel - das hat natürlich manche dazu verleitet, zu sagen: Das Konzil ist schuld, vor dem Konzil war es anders. Es ist töricht, das zu glauben. In der Zwischenzeit hat sich die Gesellschaft völlig verändert. Sie haben Papst Benedikt XVI. zu Beginn Überraschungen zugetraut. Wie sehen Sie sein bisheriges Wirken? Ich bin über sehr vieles sehr erfreut. Es freut mich sehr, dass er es bis jetzt in allen Ansprachen völlig vermieden hat zu moralisieren. Als zweites gefällt mir sehr gut, dass seine Predigten mit der Heiligen Schrift sehr vorsichtig umgehen. Er selbst hat in einem Kommentar seinerzeit geschrieben, die Theologie muss jetzt bei der Heiligen Schrift anfangen und nicht die Glaubenssätze durch die Heilige Schrift nur bestätigen lassen, wie es in der früheren Dogmatik gewesen ist. In der Ökumene, vor allem im Hinblick auf die Ostkirche, setzt er neue Schritte. Interessant ist, dass er in seiner intellektuellen Art offensichtlich die Fernstehenden noch mehr anspricht als das unmittelbare Kernpublikum. Er hat von Anfang an vermieden, seinen Vorgänger zu kopieren. Er hat einen ganz neuen Zugang zu den Menschen gefunden, der erstaunlich ist. Und das macht mir viele Hoffnungen. Wie sehen Sie seine umstrittene Rede von Regensburg? Wenn man das im Ganzen liest, ist seine Aussageabsicht deutlicher. Das war eine Vorlesung, die er mit einer großen inneren Leidenschaft am Ort seiner früheren Lehrtätigkeit gehalten hat. Da hat er offenbar geglaubt, dass die Aussagen mehr im Zusammenhang gesehen werden und nicht ein Satz herausgegriffen wird. Und der Grundtenor dieser Rede, das Allerwichtigste, war, dass er den Zusammenhang von Glaube und Vernunft angesprochen und der Verbindung von Religion und Gewalt eine Absage erteilt hat. Unter Kardinal König hatte die Kirche in Österreich politisches Gewicht. Hat sie es noch? Wenn man Kirche immer nur mit Aussagen der Bischöfe gleichsetzt, dann ist es vielleicht gering. Aber Kirche ist mehr, und zum Beispiel hat sich die Caritas mit Franz Küberl für Gesamtösterreich und Michael Landau in Wien an der Spitze in den Fragen der Ausländer und der Armut immer sehr deutlich gemeldet. Für viele Leute macht die Kirche gerade das noch akzeptabel, weil sie für die Schwachen eintritt und sich nicht sozusagen in ihre geheiligten Räume zurückzieht. Ist es für Sie negativ, wenn Gott nicht in der Verfassung steht? Es kommt auf die Motivation an und wie die Verfassung letztlich aussieht. Der Gottesname in der Präambel allein gibt ja noch keine Garantie, dass die Inhalte auch dementsprechend sind. Man muss auch zwischen österreichischer und europäischer Verfassung unterscheiden. Auf europäischer Ebene war interessant, dass es fast zu einer Kampagne gegen die Religion gekommen ist. Das ist tragisch. Wer kann leugnen, dass die Kultur Europas auf jüdische, christliche, ja sogar islamische Quellen zurückgeht? Auf der anderen Seite gab es die aus der Geschichte nicht unberechtigte Angst, dass im Namen Gottes anderen Dinge aufoktroyiert werden und es fragwürdig ist, ob das ein gütiger, gerechter, barmherziger, versöhnender, friedfertiger Gott mitverantworten könnte. Ich glaube, die ganze Debatte fordert alle Religionen heraus, in ihrer Verkündigung und vor allem auch in ihrer Praxis deutlich zu machen, welches Gottesbild sie vertreten. Wie sehen Sie als langjähriger Schulbischof das Spannungsfeld Religions- und Ethikunterricht? Ich glaube, der Religionsunterricht in einer staatlichen Schule hat ja nicht die Aufgabe, brave Kirchenmitglieder zu erziehen, sondern jungen Menschen dazu zu verhelfen, ihre eigene Situation zu artikulieren, ihre Probleme zu sehen und aus der Schrift, der Tradition der Kirche und der Glaubenserfahrung Antworten anzubieten. Die Jugendlichen müssen sich dann selbst einen Standpunkt bilden. Wir sind der Meinung, dass der Religionsunterricht das einzige Fach ist, in dem der Mensch direkt zur Sprache kommt. Wenn viele junge Menschen einen solchen Unterricht nicht mehr haben, weil sie sich abgemeldet haben, dann muss es ein anderes Fach geben, in dem Fragen des Menschen in seiner persönlichen Verantwortung zur Sprache kommen. Das wäre der Ethikunterricht. Darum bin ich dafür, wie es in Deutschland seit Jahren der Fall ist, dass es parallel zum Religionsunterricht einen Ethikunterricht gibt, der für alle verpflichtend ist, die nicht in den Religionsunterricht gehen. Wie haben Sie das Verhältnis zu ihren jeweiligen Chefs erlebt? Unter Kardinal König bin ich groß geworden. Er hat großes Vertrauen in mich gesetzt. Ihm habe ich sehr viel zu verdanken, auch was ich an seiner Seite gelernt habe. Und was ich ihm hoch anrechne und was auch in meinem Buch (Anm.: "Geschenkte Zeit", Tyrolia Verlag, 2006 ) vorkommt: Wie er in der Pension noch einmal ungeheuer gereift ist. Ich muss Groer und Schönborn gegenüber sagen, sie haben mich beide immer frei arbeiten lassen. Ich hatte immer Angst, in die Fußstapfen Königs treten zu müssen. Mein Schicksal als Weihbischof hat mir sehr viele Möglichkeiten geboten - zum Kontakt mit den Leuten, zu Publikationen - ich hoffe, ich habe diese genützt. Sie sind jetzt im Alter, wo Bischöfe üblicherweise in den Ruhestand treten. Welche Pläne haben Sie für die Zeit danach? Ich habe in Rom meine Demission eingereicht, habe aber noch keine Antwort. Wenn die kommt, bin ich offiziell nicht mehr Mitglied der Bischofskonferenz. Was die Arbeit in der Diözese anlangt, wird Kardinal Schönborn mir als "Aushelfer" noch manche Aufgaben übertragen. Mir wurde zum Beispiel schon der 13. Bezirk zum Visitieren zugeteilt. Der Kontakt zu den Menschen bleibt Ihnen das Wichtigste? Freilich! Was ist Ihre größte Sorge? Dass die Kirche in dieser wichtigen Zeit versagt, die Gesellschaft mitzugestalten und den Menschen in einer pluralen Gesellschaft einen sicheren Weg zu weisen. Ich habe die Sorge, dass die Kirche diesen Dialog mit der Gesellschaft zu wenig mutig und offen führt. Zur Person: *Helmut Krätzl, am 23. Oktober 1931 in Wien geboren, begeisterter Ministrant in der Pfarre St. Ulrich (7. Bezirk), wollte "schon von ganz klein auf" Priester werden. Er wurde 1954 zum Priester geweiht und kam als Kaplan nach Baden. Den damaligen dortigen Pfarrer, den späteren Prälaten Josef Musger, nennt Krätzl als sein großes priesterliches Vorbild. Ab 1956 stand Krätzl mit wachsender Verantwortung dem "Jahrhundertkardinal" Franz König zur Seite: anfangs als Zeremoniär, später als Ordinariatskanzler (1969 bis 1980), zuletzt als Weihbischof (ab 1977) und Generalvikar (1981 bis 1985). Er erwarb zwei Doktorate (1959 in Wien in Theologie, 1964 an der Gregoriana in Rom in Kirchenrecht). Als Stenograf erlebte er das Zweite Vatikanische Konzil mit, für dessen Umsetzung und Vertiefung er seither unermüdlich in Reden und Schriften eintrat. Krätzl machte als Pfarrer in Laa an der Thaya (1964 bis 1969) auch Erfahrungen mit dem praktischen Gemeindeleben. Nach der Annahme des Rücktritts von Kardinal König 1985 leitete er bis zum Amtsantritt von Hans Hermann Groër im September 1986 als Diözesanadministrator die Erzdiözese Wien. In der Bischofskonferenz war Krätzl 20 Jahre "Schulbischof" und sehr engagiert in Ökumenefragen, derzeit ist er dort für Erwachsenenbildung, das Katholische Bibelwerk und das Seminar für Kirchliche Berufe zuständig. In fast 30 Jahren hat er nahezu 30.000 Jugendlichen das Sakrament der Firmung gespendet, eine seiner Lieblingsaufgaben. Er bittet die Firmlinge immer vorher, ihm Briefe zu schreiben: "Das hat mir geholfen, in den Firmpredigten aktuell zu sein und trotz meines Alters den Stil der Jugendlichen mitzubekommen." Krätzl kocht sich am Wochenende oft selbst, seine Leibspeise ist Rindfleisch mit Semmelkren. Der Liebhaber der Werke von Bach, Händel und Schubert mag besonders den Pianisten Alfred Brendel und den Sänger Thomas Quasthoff. Als Autor schätzt er den Münsterer Fundamentaltheologen Jürgen Werbick sehr.* Freitag, 15. Dezember 2006 Heiner Boberski und Hans Kronspieß |