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Was ist eine Kirche? Wie das aktuelle Vatikan-Papier zu einer "Ökumene der Profile" beiträgt Auch eine Woche nach seiner Veröffentlichung ebbt die Kritik am Vatikan-Papier zum Verständnis der Kirche nicht ab. Viele Protestanten fühlen sich brüskiert, aber auch ökumenisch orientierte Katholiken ärgern sich, dass den protestantischen Kirchen erneut das Kirche-Sein abgesprochen wurde. Unfreiwillig hilft das römische Dekret den Protestanten, sich darauf zu besinnen, was die Gemeinde Jesu Christi trägt. In der Apostelgeschichte des Lukas wird von der anfänglichen Harmonie in der Gemeinde gesprochen: "Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet", wird in Kapitel 2, Vers 42 berichtet. "Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam" (Apg 4,32). Angesichts des aktuellen Konflikts zwischen katholischen und evangelischen Theologen über die wahre Kirche erscheint der biblische Bericht beinahe als paradiesisches Urbild. Erst recht das Verheißungswort Jesu: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen". Eine einfachere, eine klarere Definition von Kirche gibt es nicht, unter Christen bedürfte dieses eine Wort eigentlich keiner weiteren Erläuterung. Doch fast 2000 Jahre Kirchengeschichte liegen schwer auf dem biblischen Wort. "Jesus verkündigte das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche", klagte einst der französische katholische Theologe Alfred Loisy (1857-1940). Die beißende Kritik kommt einem wieder in den Sinn, wenn man die aktuelle Stellungnahme der römischen Glaubenskongregation "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche" liest. Dort heißt es - wie schon einmal im Lehrschreiben Dominus Iesus im Jahr 2000 formuliert - nur in der katholischen Kirche bestehe die von Jesus Christus gegründete Kirche fort, die "aus der Reformation hervorgegangenen Gemeinschaften" seien keine Kirchen. Viele Protestanten fühlen sich brüskiert, aber auch ökumenisch orientierte Katholiken ärgern sich über das Vatikan-Papier. Denn der Glaube an Christus, die Taufe, die Bibel, die Mitarbeit am Reich Gottes und das gemeinsame Gebet einen doch Christen aller Konfessionen. Reicht das nicht? Weitere Fragen schließen sich an: Was unterscheidet eigentlich Katholiken und Protestanten in ihrem Verständnis von Kirche? Warum tun sich vatikanische Theologen so schwer mit der Ökumene? Können Protestanten die katholische Kirche akzeptieren? Und grundsätzlich: Hat Jesus überhaupt eine Kirche gegründet, wie in dem Vatikan-Papier behauptet wird? Die Antworten darauf sind in der frühen Geschichte der christlichen Kirche zu finden. Die ungestörte Harmonie, wie sie in der Apostelgeschichte berichtet wird, war in der Urgemeinde nicht von langer Dauer. Durch die erfolgreiche Mission bekam die junge Kirche eine ungeheuere Dynamik, Menschen mit unterschiedlichem kulturellem, religiösem oder sozialem Hintergrund wurden integriert. Diese bunte Gruppe der Christen verstand sich aber auch dann noch als Gemeinschaft, als die Gemeinde in einzelne Gruppen mit jeweils unterschiedlichen theologischen Richtungen zerfiel. Paulus band die verschiedenen theologischen Strömungen mit seinem berühmten Bild vom Leib Christi mit seinen Gliedern und Christus als Haupt zusammen (1. Kor. 12,12f). Die Kollekten "seiner" Gemeinden für die Gemeinde in Jerusalem zeigen, dass die Urchristenheit bei aller Selbstständigkeit der Einzelgemeinden stets das Bewusstsein ihrer Einheit bewahrt hat. Aus diesem Bewusstsein wurden selbst schroffe Gegensätze wie der zwischen Juden- und Heidenchristen überwunden, zwischen paulinischen und petrinischen Gemeinden. Von Anfang an haben sich territoriale Kirchen gebildet, die keiner einheitlichen Leitung unterstanden, schon gar nicht der Leitung des Bischofs von Rom. Die "Gemeinde Jesu Christi" war und ist zunächst die Gesamtheit derer, die Jesus als den Christus - und damit als ihren Erlöser und Herrn bekennen (Mt 16,16f, 1.Kor 1,2). Die Christen brachen das Brot und trafen sich zum Gottesdienst, die Taufe markierte die Aufnahme in diese Gemeinschaft. Warum soll es heute anders sein? Wo dies stattfindet, verwirklicht sich Kirche - aus biblischer Sicht. Die Reformatoren sahen deshalb die Kirche da verwirklicht, wo das Evangelium auf rechte Weise gepredigt und die Sakramente auf rechte Weise verwaltet werden, wie es das Augsburger Bekenntnis aus dem Jahr 1530 lehrt. Beschwichtigungen können den Ärger nicht dämpfen Aus römisch-katholischer Sicht ist es jedoch umgekehrt. Es braucht die Institution Kirche, damit dies alles in rechter Weise stattfinden kann, inklusive geweihter Priester, einer heiligen Hierarchie und dem unfehlbaren Papst an der Spitze. Dem sakramentalen Gebäude kommt dabei selbst eine Heilswirksamkeit zu, die Kirche wird zur Heilsanstalt, die Priester und Bischöfe zu Heilsmittlern. Evangelischen Christen liegt dieses Bild der Kirche fern, die Reformatoren lehnten es mit gutem Grund scharf ab. Aber ist es evangelischen Christen heute wenigstens möglich, diese Sicht der Kirche als "katholischen Typus" in versöhnter Verschiedenheit zu akzeptieren? Nach evangelischem Verständnis seien alle Kirchen, auch die römisch-katholische, Teil der einen Kirche Jesu Christi und damit "Teilkirchen", betont der Augsburger Regionalbischof Ernst Öffner. Er wirft allerdings dem Vatikan vor, mit seinem Wahrheitsanspruch andere Kirchen zu zensieren. Die Lehre von der Kirche gehört nicht ohne Grund zu den schwierigeren Fragen des ökumenischen Dialogs. Nach ökumenischen Erfolgen in den vergangenen vier Jahrzehnten liegt dieser letzte schwere Brocken immer noch auf dem Weg. Nun scheint dieser Weg noch schwieriger zu werden. Das Vatikan-Dokument brüskiere die Ökumene, heißt es in einer Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die in Rom vorgelegten Thesen seien eine "vertane Chance", erklärte deren Ratsvorsitzender Wolfgang Huber: "Von Fahrlässigkeit kann niemand mehr sprechen; es handelt sich um Vorsatz." Belastend an der jetzigen Situation ist: Der Vatikan scheint kein Interesse an einem Fortschritt in der Frage der Stellung der Kirche zu haben, wenn er seinem Gesprächspartner fortwährend verwehrt, sich auf Augenhöhe zu bewegen. Daran wird selbst die Beteuerung, Ökumene gehöre weiterhin zu den Prioritäten der katholischen Kirche, nichts ändern. Auch die Beschwichtigungen des ökumenefreundlich gesinnten Kardinals Karl Lehmann konnten den Ärger der Protestanten nicht dämpfen. Das Papier lasse grundlegend Raum, die anderen Kirchen nicht nur moralisch, sondern theologisch als Kirchen zu achten, sagt Lehmann. Als "Dämpfer für die Ökumene" bezeichnete die hannoversche Bischöfin Margot Käßmann das Vatikan-Papier. Es sei ein "Trauerspiel", das "ökumenische Pflänzchen so austrocknen zu lassen". Käßmann liegt wahrscheinlich richtig, wenn sie feststellt, dass die Ökumene getroffen wurde, weniger die Protestanten. Ökumeniker im katholischen Klerus werden es nun schwerer haben. Das Papier brüskiert vor allem den Präsidenten des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper, der in jüngster Zeit von verschiedenen "Typen von Kirche" sprach. Kasper bittet nun darum, "nicht allzu kleinkariert um Zweit- und Drittrangiges streiten". Wichtiger sei es, vorrangig daran zu denken, was die Menschen heute wie zu allen Zeiten dringend brauchen, nämlich Gott und die Gemeinschaft mit ihm. Protestanten und Katholiken seien "nicht Gegner, nicht Konkurrenten, nicht Fremde". Was sind sie aber dann? Eine positive Formulierung kommt auch Kasper in diesen Tagen nicht über die Lippen. Die Feststellung, dass die Kirche Christi nur in der katholischen Kirche voll verwirklicht sei, biete "keinen Anlass, für Triumphgeschrei oder Überheblichkeitsgefühle", warnt der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller. Es klingt, als ob der Leiter der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz an den Sportsgeist seiner Truppe appelliert, den unterlegenen Gegner nach einem Kantersieg nicht länger zu demütigen. Müller behauptet fest: "Weil Christus nur eine einzige Kirche gegründet hat, kann es auch nur eine Kirche geben." Woran es der evangelischen Kirche fehlt? Immer wieder wird von katholischen Dogmatikern bei den protestantischen Kirchen die fehlende "apostolische Sukzession im Weihesakrament" bemängelt. Mit Sukzession ist die angeblich ununterbrochene Aufeinanderfolge und durch Handauflegung vererbte Amtsvollmacht der Bischöfe von den biblischen Aposteln bis heute gemeint. Nach katholischem Verständnis ist diese Kette bei den Protestanten unterbrochen. Ohne sakramentales Priestertum gebe es jedoch keine "vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums", so das Vatikan-Papier. Die evangelischen Theologen sind sich nicht einig, wie sie auf diesen Einwand reagieren sollen. Konservative Lutheraner sehen auf katholischer Seite in der Verknüpfung des Abendmahls mit dem Weihepriestertum und dem Opfercharakter der Messe ein unbiblisches Eucharistieverständnis. Zurückgewiesen wird die ständig wiederholte Behauptung, die Reformation habe das "eigentliche Mysterium der Eucharistie" nicht bewahrt. Ökumenisch orientierte Lutheraner, wie etwa der Münchner Theologieprofessor Gunther Wenz, versuchen dem Einwand zu begegnen. Die Kirchen der Reformation seien keine Neugründungen aus dem 16. Jahrhundert, sondern bezögen sich wie die katholische Kirche auf die Ursprünge des Christentums, betont Wenz. Auch die evangelische Kirche stehe in der "apostolischen Tradition". Wie die römisch-katholische Kirche kenne die evangelische Kirche das besondere geistliche Amt, in das die Pfarrer berufen werden müssen. Das größte Hindernis für eine weitere Annäherung der Kirchen ist Wenz zufolge die unterschiedliche Bewertung des Bischofsamtes. In der römisch-katholischen Kirche habe der Bischof die alleinige Kompetenz zur Auslegung der Schrift. Dazu gehöre auch der Anspruch der Unfehlbarkeit des Papstes, des "Bischofs von Rom". Über alle diese Differenzen verbinde Katholiken und Protestanten das gemeinsame Sakrament der Taufe. Verliert der Papst durch das Vatikan-Papier an Autorität? Das Verbindende scheint an der Kirchenbasis durch das Vatikan-Papier nicht gestört, sondern eher noch befördert zu werden, denn bei vielen evangelischen Amtsträgern gehen in diesen Tagen Solidaritätsadressen katholischer Amtsbrüder ein. "Ich bin sehr dankbar für die Reaktionen von katholischen Theologen, die mich erreicht haben", sagt etwa der Bayreuther Regionalbischof Wilfried Beyhl. Er spürt darin den Wunsch, dass sich die katholische und die evangelische Kirche auch weiterhin als Schwesterkirchen "auf Augenhöhe" begegnen sollen. Beyhl beobachtet auch bei katholischen Christen Unverständnis und Befremden. Und er befürchtet, das Papier könne zu einem Autoritätsverlust des Papstes führen. Ökumeneexperten raten nun der evangelischen Kirche, ihr reformatorisches Profil in die Diskussion einzubringen. Einen Verzicht auf dieses Profil wird die römisch-katholische Kirche nicht erwarten, sie hat ihr eigenes Profil gerade in diesen Wochen denkbar scharf hervorgehoben. Das Vatikan-Papier kann in diesem Sinn der Ökumene dienen, denn nun liegt auf der Hand, dass eine Einheitskirche nach katholischem Verständnis nicht das Ziel sei. Es geht um die Rückbesinnung auf das, was die Gemeinschaft mit Christus ausmacht. Dies kann in der jetzigen Konstellation womöglich nur von unten geschehen - auf der Basis der Gemeinden. Der amtierende Papst grenzt sich ab, weil er weiß, dass sich auf seinem sakramentalen und hierarchischen Kirchenverständnis die Macht seiner Institution gründet. Die Gemeinde Jesu Christi ist aber etwas anderes. Benedikt XVI. sollte sich ein wunderbares Wort aus seinem aktuellen Buch "Jesus von Nazareth" vergegenwärtigen: "Das Wichtigste ist die innere Freundschaft mit Jesus, auf die doch alles ankommt." Helmut Frank |