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Ich habe die Führung Gottes gespürt Interview der Kirchenzeitung "Tiroler Sonntag" mit Bischof Reinhold Stecher anlässlich seines 85. Geburtstag. Tiroler Sonntag: Herr Bischof, Sie feiern in wenigenTagen Ihren 85. Geburtstag. Wie geht es Ihnen? Bischof Stecher: Es ist reine Gnade, dass ich ein schönes und erfülltes Alter erleben darf. Ich bin gesundheitlich einigermaßen beisammen. Daher kann ich immer noch als Seelsorger wirken – wenn auch in bescheidenerem Ausmaß. Tiroler Sonntag: In welchen Bereichen der Seelsorge sind Sie heute vor allem tätig? Bischof Stecher: Seit ich im Ruhestand bin, bin ich vor allem in der Exerzitienarbeit tätig. Ich habe Priester von Norddeutschland bis in die Schweiz und vom Elsass bis ins Burgenland seelsorglich begleitet. Das waren insgesamt mehr als 1.200 Priester, ebensoviele Ordensschwestern und Laien. Das Herausfordernde und Schöne daran ist: Man begegnet den Problemen der Zeit und der Kirche auf einer sehr persönlichen Ebene – wie Menschen die Kirche erleben, was sie an Sehnsüchten bringen und was an Belastungen. Tiroler Sonntag: Wie erleben Sie Priester, die oft jahrzehntelang in der Seelsorge tätig waren? Bischof Stecher: Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich von der älteren Generation der Seelsorger, was ihre innere Einstellung betrifft, sehr positiv beeindruckt bin – vor allem von der Treue, mit der sie ihren Dienst tun. Im Laufe der Exerzitien wird immer ein Ausspracheabend gewünscht. Für mich sind diese Abende sehr spannend – zu erleben, was die Seelsorger zutiefst bewegt. Tiroler Sonntag: Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich als von Gott sehr verwöhnt erleben. Dabei haben Sie in ihrem Leben auch sehr viel Leid erfahren: Ihr Vater ist gestorben, als Sie noch ein Kind waren, usw. Trotzdem haben Sie sich ihr gesamtes Leben lang eine sehr positive Grundstimmung bewahrt. Bischof Stecher: Ich glaube, das verdanke ich zuerst der Mentalität meiner Eltern. Meine Mutter war durch all die schwierigen Belastungen der Zeit hindurch eigentlich immer eine sehr positiv denkende Frau – und zwar aus dem Glauben heraus. Da mag es schon eine Anlage zu einer gewissen Fröhlichkeit und Gelöstheit gegeben haben. Im Tiefsten hat diese positive Sicht aber sicher der Glaube gebracht. Dieser Glaube hat mich durch sehr schlimme Zeiten getragen, die ich rückblickend in keiner Weise verklären möchten. Meine Jugend war im Alter zwischen 17 und 24 Jahren wirklich nur eingespannt zwischen Schrecken des Krieges, Not, Tod und Gefängnis. Das Schöne an diesem Glauben zu dieser Zeit war: Ich habe durch alle schrecklichen Erfahrungen hindurch immer wieder die Führung Gottes gespürt. Eine Erfahrung, die ich mit vielen anderen Menschen meiner Generation teile. Es gibt heute ja sehr viele negative Affekte, die zur Schau getragen werden und alles Gute verdunkeln. Wir Menschen brauchen den Hintergrund eines sinnerfüllten Daseins. Der Mensch hofft von Kindheit an. Deswegen glaube ich – je älter ich werde, desto dominanter wird das für mich –, dass wir Christen mit allen Möglichkeiten, die wir haben, ein bisschen Helligkeit in die Welt tragen müssen. Tiroler Sonntag: Kennen sie in ihrem Leben Situationen, in denen Sie so sehr in Bedrängnis gekommen sind, dass Sie das Licht nicht mehr gesehen haben? Bischof Stecher: Ja, solche Situationen hat es gegeben. Ich denke an den Abend – ich war damals 19 Jahre alt –, als man mir im Gestapogefängnis verkündete, dass ich am nächsten Tag ins Konzentrationslager überstellt werde. Ich habe gewusst, was das KZ ist, und dass das normalerweise eine Reise ohne Wiederkehr ist. Vor drei Wochen bin ich zum ersten Mal auf das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau gekommen und habe den heute dort lebenden Karmelitinnen Exerzitien gegeben. Und ich hab’ mich erinnert an viele meiner Bekannten, die dort zugrunde gegangen sind. Wenn mir an dem Abend, als ich im Gefängnis der Gestapo saß, jemand gesagt hätte „in 65 Jahren wirst du in Dachau an der Stelle, wo die SS ihre Kasernen hatte, Exerzitien geben,“ hätte ich ihm nicht geglaubt. Nach solchen Lebenserfahrungen denke ich mir: Es gibt eine Führung Gottes, eine Führung durch alle Wolken hindurch, die manchmal sicher den Himmel verdecken. Tiroler Sonntag: Ihr Leben umfasst fast das gesamte vergangene Jahrhundert. Welche Erfahrungen in der Kirche haben Sie besonders geprägt? Bischof Stecher: Zuerst steht da sicher die Erfahrung einer aufbrechenden Kirche. Begonnen hat diese Erfahrung unmittelbar nach dem Krieg mit dem Theologiestudium an der Universität Innsbruck mit so prägenden Professoren wie Pater Karl Rahner oder Pater Josef Jungmann. In diesen Priestern ist uns Studenten eine Spiritualität begegnet, die kirchentreu, selbstkritisch und offen für das Morgen war. Die zweite prägende Erfahrung war das Zweite Vatikanische Konzil. Die Bedeutung dieses Konzils konnte ich an meinem Vorgänger Bischof Paulus Rusch ablesen. Mich bewegte immer, wie sehr das Konzil diesen nüchternen und zurückhaltenden Menschen verändert hatte. An der Veränderung seines Wesens wurde für mich deutlich, dass das Konzil neue Geleise gelegt hatte. Tiroler Sonntag: Wenn man heute am Sonntag in die Messe geht, fällt auf: Da sind nur wenige Kinder und Jugendliche. Dies führt unwillkürlich zur Frage: Wie schaut es in 20 Jahren mit der Kirche aus? Bischof Stecher: Ich war viele Jahrzehnte in der Jugendseelsorge tätig. Aber ich kann das, was wir damals gemacht haben, nicht gut mit der heutigen Situation vergleichen. Ich bin ein Vierteljahrhundert von der Jugendseelsorge und vom Religionsunterricht weg. Mir fällt aber auf, dass etwa im Ministrantenbereich oder bei der Katholischen Jungschar sehr viel passiert. Als echtes Problem sehe ich die ständige Überalterung der Seelsorger. Sie bringt notwendigerweise einen gewissen Abbau bei der jungen Generation mit sich. Es wäre wichtig, dass die Seelsorgergeneration nicht im Großvater- und Urgroßvateralter bleibt, sondern altersmäßig den Bereich des älteren Kameraden bzw. der Elterngeneration umfasst. Ich halte die Überalterung der Kirche in diesem Bereich für ein echtes Problem. Auch deshalb bin ich überzeugt – aus biblischen, pastoralen und kirchengeschichtlichen Gründen –, dass wir eine Änderung der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt brauchen. Wir haben eindeutige Fundamente in der Hl. Schrift. Wir haben eindeutige Fundamente im Verhalten Jesu selbst. Wir haben die Worte des Apostel Paulus. Wir haben die Praxis der Urkirche. Wir haben die Praxis der Ostkirche. Und es ist evident, dass seit einem Menschenalter bei uns die zölibatären Berufe zurückgehen. Das mag an verschiedenen Gründen der Zeit liegen. Aber es ist einfach so. Ich glaube, dass Gott zu uns durch sein Wort spricht, aber auch durch die Situation, in die wir hineingestellt werden. Und deswegen glaube ich, dass sich hier etwas ändern muss. Nur sage ich, es muss mit der Weltkirche geschehen und es kann nicht im Wildwuchs passieren, sondern in großen Ordnungen. Es bedarf keiner großen Rechenkünste, um sich auszurechnen, wie bei uns in zehn Jahren die Situation in der Seelsorge sein wird. Es bedeutet, dass wir uns von der sakramentalen und persönlichen Seelsorge immer mehr verabschieden werden müssen. Als Priester kann ich etwa eine nachgehende Kranken- und Altenseelsorge nur dann pflegen, wenn mein Seelsorgsgebiet eine überschaubare Größe hat. Ich weiß von vielen Priestern, die darunter leiden, dass sie ihren Aufgaben nicht mehr so nachgehen können, wie sie es aufgrund ihres Priesterbildes gerne möchten. Tiroler Sonntag: Zum Seligen Pfarrer Otto Neururer pflegen Sie eine ganz persönliche Beziehung. Was fasziniert Sie so an diesem Mann? Bischof Stecher: Ich habe Pfarrer Otto Neururer persönlich gekannt. Und mich hat immer beeindruckt, dass er ein ganz einfacher Priester war. An ihm war nichts Besonderes. Er war intelligent, aber ein genialer Religionslehrer war er nicht. Er war ein Tiroler Pfarrer, wie es eigentlich viele gibt. Und Pfarrer Neururer war ein rein dienender Mann. Der Anstoß zu seiner Seligsprechung ist von einem Berg-bauern ausgegangen. Kurz nach meiner Bischofsweihe ist dieser zu mir gekommen und hat gesagt: „Herr Bischof, ich bin im KZ Buchenwald auf der Pritsche neben Pfarrer Neururer gelegen. Und ich war dabei, als sie Pfarrer Neururer in den Todesbunker abgeführt haben. Jetzt muss ich ihnen etwas sagen: Wenn der Otto kein Heiliger ist, gibt’s keinen!“ Das Schöne an der Seligsprechung war, dass mit ihr dieses einfache, schlichte Geschenk des Glaubens, wenn ich so sagen darf, auf den Thron erhoben wurde. Ich bin überzeugt, dass Pfarrer Otto Neururer als geheimer Patron der Diözese unsere Diözese nicht verlassen wird. Und ich darf sagen: Ich habe dank seiner Hilfe sehr viele Gebetserhörungen erfahren. Tiroler Sonntag: Was wünschen Sie der Kirche? Bischof Stecher: Ich wünsche der Kirche, dass sie sich umflutet weiß von einem sich verschenkenden Gott, der sich in Christus zu unserem Bruder macht. Ich wünsche der Kirche, dass sie die wunderbare Botschaft von diesem sich verschenkenden Gott, der das Geheimnis der Geheimnisse ist, in glaubwürdiger Form und in der Sprache unserer Zeit den Menschen nahe bringt. Das Zweite Vatikanum hat hingewiesen auf die „Hierarchie der Wahrheiten“. Damit ist gemeint, dass es innerhalb der Glaubensaussagen eine Rangordnung gibt. So etwa hat der Glaube daran, dass sich Gott in Jesus Christus an uns Menschen verschenkt, ein anderes Gewicht als ein Moralproblem zur Kondomverwendung. Der Glaube an den sich in Christus verschenkenden Gott ist mir sehr wichtig geworden – beim Predigen, beim Schreiben und beim Malen. Beim Malen fasziniert mich immer wieder das Licht in der Landschaft. Es ist für mich ein Symbol unserer tiefsten Aufgabe, in das Dunkel dieser Welt das Licht zu bringen, damit der Mensch in einem Urvertrauen leben kann. Tiroler Sonntag: Kann dieser Blick auf das Licht die Art,Probleme zu lösen, verändern? Bischof Stecher: Ich weiß, der Blick auf das Licht, das uns in Jesus geschenkt ist, hebt die Probleme nicht auf, die vor uns liegen. Aber wissen Sie, in meinem Leben wurde das Dunkel immer wieder aufgehellt durch die Führungen Gottes. Und so glaube ich, dass der Heilige Geist uns und die Kirche nicht verlassen wird. Deshalb habe ich keine Angst um die Zukunft der Kirche, wenn wir einigermaßen glaubwürdig versuchen nach dem zu leben, was uns in Christus aufgetragen ist. Tiroler Sonntag: Was erwarten Sie für Ihr Leben? Bischof Stecher: Ich erlebe mein Leben wie ein Flugzeug. Die Landeklappen sind ausgefahren. Ich bin bereit zum Landen. Je näher ich diesem Flughafen komme, umso wesentlicher steht Christus vor mir Interview: Gilbert Rosenkranz, 11.12.2006 |