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Die Schwierigkeiten der Kirche mit den Menschenrechten und was die Kirche der Basis unternehmen kann in kirchlich-pastoraler Hinsicht Nach dem Konzil bis etwa Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war die theologische Debatte um Menschen- und Christenrechte, um ein kirchliches Grundgesetz, das die allen Christen gemeinsamen Rechte darlegen und ihnen eine Art Verfassungsrang geben sollte (LEF) sehr lebendig. Dann brach die Debatte praktisch ab. Weiter hingegen ging die Menschen- und Christenrechte-Arbeit in manchen Ländern, gebündelt z.B. in der Europäischen Konferenz für Menschenrechte in der Kirche, die dritte und m.W. wohl letzte 1992 in Chur. Aber auch hier blieben grössere Erfolge aus. Die Ursachen dürften nicht schwer zu benennen sein: Die hinter dem Konzil zurückgebliebene Kirchenrechtsreform von 1983, bei der glücklicherweise auf die Aufnahme eines seinen Sinn völlig verfehlenden Grundgesetzes unterblieb, die zunehmende und erstickende Dialogverweigerung zwischen Rom und den Ortskirchen und damit auch in den Teilkirchen selber, die gravierende Missachtung des II. Vatikanischen Konzils und seines Geistes. Was soll da die chancenlose Rede von Grund- und Menschenrechten in der Kirche? Aber ist die gleiche Kirche - wenn ich mich nicht täusche - durch ihr eigenes Handeln nicht gerade dabei, sich selber wieder von der Frage nach den Menschenrechten einholen zu lassen? Wie kein Papst zuvor hat Johannes Paul II. die Menschenrechte ins Zentrum seiner Botschaft an die Menschen und die Völkergemeinschaft gerückt, wobei richtigerweise nicht nur von den bürgerlichen und politischen Rechten die Rede ist, sondern ebenso klar von den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten. Man kann seine Neujahrsbotschaft von 1999 aus Anlass des 50. Jahrestages der allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen als Grundsatzerklärung der katholischen Kirche zu den Menschenrechten bezeichnen.[1] So umfassend und eindeutig hatte sich die Kirche noch nie zu diesen Grundrechten bekannt. Die Menschenrechte sollten zur Signatur des neuen Jahrtausends werden, in ihrer Achtung liege das Geheimnis des Friedens. Dass der Papst sich in seiner Politik gegenüber den Staaten an diese Leitlinie hielt, wird man aufs Ganze gesehen nicht bestreiten wollen. Seine Ablehnung des Irakkrieges trotz grossen Drucks der USA war kohärent und konsequent. Angesichts der in der Welt stetig wachsenden Bedeutung der Menschenrechte und des Völkerrechts wird sich die Kirche von dieser im Vergleich zu den vergangenen Jahrhunderten höchst vorteilhaften Position nicht mehr verabschieden können. Damit hat sich die Kirche aber - ob sie will oder nicht -unwiderruflich selber eingeholt. Nachdem sie sich von der ethischen und politischen Botschaft der Französischen Revolution und von den verschiedenen Traditionen der Menschenrechte nach langer Feindschaft endlich überzeugen liess und sich entschlossen hat, diese modernen Rechte und Freiheiten mit entschiedenem Einsatz in der heutigen Gesellschaft zu propagieren und zu verteidigen, wird es für sie auf die Dauer unmöglich sein, den kritischen Blick nicht auch auf sich selber zu werfen und so zu tun, als ob diese Kehrtwende sie selbst keineswegs betreffe. Sie muss auch für sich selbst die Konsequenzen aus dieser Haltungsänderung ziehen, will sie glaubwürdig bleiben: Das bisherige Unvermögen und die bis heute an den Tag gelegte Weigerung müssen überwunden werden. Sie kann je länger je weniger ihre Legitimität aus einer eigenen kirchlich religiösen Zuständigkeit jenseits des Menschenrechts-Paradigmas beziehen. Die Erklärung der Synode der Luzerner Landeskirche von 2004, die von mehreren kantonalen Kirchenparlamenten übernommen wurde, das "Luzerner Manifest" vom Oktober letzten Jahres und diese Tagsatzung hier zeigen das allenthalben zunehmende Wetterleuchten an. I. Die gravierendsten Glaubwürdigkeitslücken Ohne auf Vollständigkeit bedacht zu sein, will ich als Erstes kurz auf die wichtigsten Glaubwürdigkeitslücken hinweisen: 1. Laien - Christen zweiter Klasse: Vom biblischen Gedanken des Volkes Gottes her hat bekanntlich das II. Vatikanische Konzil wieder ins Licht gerückt, dass es nicht zwei Arten von Christen gibt, Kleriker und Laien, sondern dass das Gemeinsame grundlegender ist als das Unterscheidende. Neben dem besonderen gibt es das gemeinsame Priestertum und es gibt den Glaubenssinn aller Gläubigen (sensus fidelium), die Gabe der Wahrheitsfindung kommt auch ihnen zu, alle sind berufen die Heilsbotschaft den Menschen kund zu tun. Alle sind Subjekte und nicht nur Objekte der Seelsorge, alle dürfen und sollen die kirchliche Gemeinschaft gestalten. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung berufen. Das Apostolat der Laien ist nicht durch die Hierarchie vermittelt oder bloss Anteil an ihrem Apostolat, sondern es ist Teilnahme an der Sendung der Kirche selbst. Das ist die Würde der Laien. Überblickt man nun den CIC/1983 und die weiteren lehramtlichen Äusserungen so fällt folgende Paradoxie auf: "Obwohl die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils … aufgenommen ist, werden die entsprechenden Konsequenzen nicht gezogen, sondern im Gegenteil: Wenn es konkret wird, sind die Ausführungen über die jeweiligen Möglichkeiten, Rechte und Pflichten von Laien und Klerikern doch wieder mehr von dem traditionellen, vorkonziliären Bild des Klerikers geprägt, dem in allen kirchlichen Angelegenheiten eine notwendige und unersetzbare Rolle zukommt."[2] Hier ist im Sinne der Theologie des Konzils und im Sinne der Menschenrechte eine Kehrtwende von der kleruszentrierten zur laienorientierten Kirche notwendig. Die Laien sind nicht Christen zweiter Klasse, sondern Christen erster Klasse.Es gilt nicht nur die Menschenwürde zu achten, sondern auch die Würde der Laien. Deshalb sind drei Forderungen zu erheben: - Das amtliche Priestertum muss in Korrelation mit dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften gebracht werden, es muss die ganze Fülle und Vielfalt konkreter kirchlicher Dienste, Ämter und Lebensformen des allgemeinen Priestertums zur Darstellung kommen. Die gegenwärtige Haltung Roms, den pastoralen Notstand in den Gemeinden zu verschärfen, um in ihnen den Sinn für das Weihesakrament neu zu wecken, beinhaltet eine Art spirituelles Machbarkeitsprinzip. Dieses entspricht gewiss nicht der biblischen Charismenlehre, wo alle Gaben, die der Heilige Geist den Gemeinden schenkt, in den Dienst genommen werden sollen.[3] Die theologisch-rechtliche Unterscheidungen, etwa, dass Laien zwar im Amt mitarbeiten, aber nicht am Amt teilhaben, sind doch unglaubwürdig und nicht mehr zu vermitteln. - Den Laien muss in allen Rechtsbereichen mehr Beteiligung an den kirchlichen Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen zukommen: Anhörungs- und Zustimmungsrechte auf den verschiedenen Ebenen der Pastoralräte usw. - Aktive und kreative Mitbestimmung durch synodale Prozesse. Synoden, wie die Synode 72, müssen wieder möglich werden. Dabei ist ein Doppeltes erforderlich, einmal dass die oberste Kirchenleitung die Ergebnisse von Synode nur mehr ablehnen kann, wenn eine Verfälschung des Glaubensinhaltes und damit der Identität der Kirche vorliegt, zum andern, dass die Ortskirchenleitungen an die Durchführung der Beschlüsse gebunden sind.[4] 2. Der Platz der Frau in der Kirche: Wenn es eine zentrale Aussage der Tradition der Menschenrechte gibt, dann ist es die, dass jedem Menschen unabhängig von Rasse, Geschlechts usw. die gleiche Würde zukommt. Alle Erklärungen bis hin zur Internationalen Konvention über die Abschaffung aller Diskriminierungen gegenüber den Frauen von 1980 haben bekannt, dass sämtliche Diskriminierungen gegen diese radikale Gleichheit verstossen. Gewiss schliessen Menschenrechte nicht aus, dass es im Binnenbereich einer Religions- Gemeinschaft spezielle Eigenschaften gibt, die auch die Rechte und Pflichten des einzelnen Glaubenden aufgrund seiner Zugehörigkeit betreffen, z.B. die Taufe als Voraussetzung zur Kirchenmitgliedschaft, die Artikel des Glaubensbekenntnisses usw.. Aber alle Abweichungen vom Menschenrechtskodex müssen von der theologischen Qualität und Zwecksetzung der Kirche her legitimiert werden können. Diese theologische Qualität liegt m.E. bei der Verweigerung des Zugangs der Frauen zu den ordinierten Ämtern aber nicht vor. Auch wenn die päpstlichen Aussagen mit fast dogmatischer Unfehlbarkeit ausgestattet werden, sind ihre theologischen Argumente nicht schlüssig und vermögen nicht zu überzeugen. Ich brauche nur an die dritte These von Walter Kirchschläger in seinem Vortrag am "Nachfolgetreffen" zur Luzerner Erklärung vom 26.Oktober 2006 in Luzern zu erinnern: "Die Klarstellung in der Frage nach den Kriterien für den geweihten Dienst in der Kirche ist nicht die Antwort auf eine Mangelerscheinung, sondern sie entspricht der Sorge um theologische Gerechtigkeit'. Unter den möglichen benennbaren Defiziten hebe ich damit ein einziges, m. E. aber das entscheidende, heraus: Die Diskriminierung eines Geschlechts und eines überdies sakramentalen Lebensstandes ist eine theologische Ungerechtigkeit."[5] Es ist immer noch erstaunlich, wie die drei Bereiche, die Paul VI. dem Konzil entzogen hat, Geburtenregelung, Priesterzölibat und Weihe von Frauen, es alle mit Sexualität zu tun haben. Kein anderes Thema führt zu einer solchen Blockierung und Verkrampfung der kirchlichen Institutionen. Man kann nur nochmals den griechisch-melkitischen Patriarchen Maximos IV. zitieren, der am 23.Oktober 1964 im Konzil ausrief: "Gewisse offizielle Positionen… sind von veralteten Auffassungen abhängig und vielleicht auch von einer Psychose zölibatärer Menschen, denen dieser Lebenssektor fremd ist." Diese Kreise glauben nicht, dass die negative Haltung den Frauen gegenüber eine Diskriminierung darstellt. Sie glauben es nicht, weil sie es nicht zu sehen vermögen. 3. Der Verfahrenscodex der Kongregation für die Glaubenslehre - der ungenügende Rechtsschutz in der Kirche: Die Regeln und Kriterien, zu deren Einhaltung die Kirche die andern gesellschaftlichen und staatlichen Organisationen auffordert, vermag sie nicht auf sich anzuwenden, wie etwa das Verfahren der Glaubenskongregation hinlänglich beweist: Keine Trennung zwischen Anklage- und Urteilsinstanzen, der Angeklagte kann seinen Anwalt nicht selber bestimmen, er weiss nicht einmal, wer es ist, keine Akteneinsicht, der Angeklagte erhält erst Kenntnis vom Verfahren, nachdem bereits ein erstes Urteil gefällt worden ist, es gibt keine Berufung usw.. - Der Fall der Aufhebung des Diözesanrates durch Bischof Müller in Regensburg 2005 zeigt, wie verworren überhaupt die ganze kirchliche Gerichtsbarkeit auch heute noch ist, nachzulesen in der "Orientierung" unter dem Titel: "Roma locuta, causa infinita est."[6] Es besteht ein grosser Problemstau. Von Grundrechten kann in der Kirche ebenso wie im Staat nur gesprochen werden, wenn diese auch wirklich justitiabel und verfahrensmässig gesichert wie ausgestaltet sind. Denn Grundrechte müssen in der Gemeinschaft, in der sie gelten sollen, auch durchsetzbar sein. Dies alles zu ändern ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage, ob man endlich bereit ist, mit Machtstrukturen des ancien régime, die ganz gewiss nicht mit der Kultur der Menschenrechte zu vereinbaren sind, zu brechen. Nach dem Fall Sobrino verlangt Peter Hünermann, Ehrenpräsident derEuropäischen Gesellschaft für Katholische Theologie eine vollständige Neugestaltung der Glaubenskongregation, weil diese immer noch die Struktur einer frühneuzeitlichen Zensurbehörde trägt, wie es sie in allen europäischen Staaten gab.[7] Die Autorität wird in der Kirche weiterhin monarchisch, absolutistisch ausgeübt, ungeteilt, ohne Kontrolle, ohne Gegengewalt, ohne öffentliche Meinung. 4. Bischofsernennungen: Nur noch ganz kurz, weil ich als Churer-Diözesane wieder einmal von diesem Verfahren betroffen bin. Das Verfahren zieht in keiner Weise das betroffene Volk Gottes mit ein, wie es im Altertum der Fall war. Der Nuntius zieht im Geheimen die Fäden, der Dreier- Vorschlag aus Rom, über den das Domkapitel befinden kann, kann wieder so ausgestaltet sein wie das letzte Mal , so dass de facto nur der Rom genehme Mann gewählt werden kann, zudem ist die Zusammensetzung des wählenden Domkapitels wirklich kein Abbild der Gläubigen im Bistum Chur. Wie sehr weltweit mit Bischofsernennungen Kirchenpolitik gemacht wird, wissen Sie genauso wie ich. Diese Vorgehensweise nimmt die Würde der Laien, aber auch der Priester und Ordensleute in keiner Weise ernst. II. Der Dialog mit der Welt verpflichtet die Kirche auf die Menschenrechte Im 4. Kapitel des I. Teils der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" ist die Rede von der Weg- und der Schicksalsgemeinschaft von Kirche und Welt. Gleich zu Beginn heisst es: "Alles, was wir über die Würde der menschlichen Person, die menschliche Gemeinschaft und über den letzten Sinn des menschlichen Schaffens gesagt haben, bildet das Fundament für die Beziehung zwischen Kirche und Welt wie auch die Grundlage ihres gegenseitigen Dialogs." (Nr. 40) Mit andern Worten: Die Menschenrechte sind fundamental für die Weggemeinschaft von Kirche und Welt, sie kann sie nicht unbeachtet aussen vor lassen. Weiter wird in dem gleichen Kapitel betont, dass in diesem Miteinander die Kirche nicht nur die gebende, sondern auch die empfangende ist: "Da die Kirche eine sichtbare gesellschaftliche Struktur hat,…, sind für sie auch Möglichkeit und Tatsache einer Bereicherung durch die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens gegeben, nicht als ob in ihrer von Christus gegebenen Verfassung etwas fehle, sondern weil sie so tiefer erkannt, besser zur Erscheinung gebracht und zeitgemässer gestaltet werden kann." (Nr.44) Man müsste blind - um nicht zu sagen verstockt - sein, um nicht zu sehen, dass zu den herausragenden Entwicklungen in der Völkergemeinschaft in den letzten Jahrhunderten die Menschenrechte gehören, die zudem ohne jeden Zweifel in der der Kirche von Christus gegebenen Verfassung enthalten sind und diese durch die Lehre von den Menschenrechten tiefer erkannt und besser in Erscheinung gebracht würde. Trotz ihrer gegenteiligen Praxis ist sich eigentlich die Kirchenleitung dessen bewusst. In einem Brief an die Vollversammlung der UNO schrieb Paul VI. 1973: "Weil die Kirche auf die Rechte Gottes bedacht ist, kann sie die Rechte des nach dem Bilde und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen nicht ausser acht lassen. Sie fühlt sich verletzt, wenn die Menschenrechte - wie und wo auch immer- missachtet oder übertreten werden." Und er erklärt ausdrücklich " die Pflicht diese Rechte zu achten, ist umfassend".[8] Sein Aufruf ein Jahr später, dem die Römische Bischofssynode am 23. 10. 1974 einmütig zustimmte, richtet sich sowohl an die Kirche als auch an die ganze Welt. Insbesondere wird festgehalten, dass die ganze Kirche "in ihrem Verlangen, sich immer tiefer zum Herrn zu bekehren…ihren Dienst stets treuer dadurch versehen (wolle), dass in ihrem eigenen Bereich die Menschenrechte besser (ge)würdigt und anerkannt werden." Hier wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die unveräusserlichen, aus der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen sich ergebenden Rechte, auch von der Kirche und in ihrem Bereich zu achten sind. Deshalb ist es nur konsequent, wenn dieser Aufruf "eine ständige Selbstprüfung und Reinigung ihres eigenen Lebens, ihrer Gesetze, Institutionen und Planungen" verlangt. Und es wird bekräftigt, dass "jeder, der es wagt, zu den Menschen über Gerechtigkeit zu sprechen, selber in ihren Augen gerecht erscheinen muss".[9] Johannes Paul II. forderte 1979 in seiner Rede vor der UNO im Hinblick auf den Weltfrieden eine sorgfältige Prüfung und Analyse der Spannungen im Bereich der unveräusserlichen Menschenrechte: "Bei diesem Vorhaben muss sich jeder in eine völlig objektive Stellung bringen, sich von der Aufrichtigkeit führen lassen und von der Bereitschaft, die eigenen Vorurteile und Irrtümer anzuerkennen, ja sogar einverstanden sein, auf partikuläre Interessen auch politischer Art zu verzichten."[10] Einige dieser partikulären Interessen haben wir genannt. Wenn die Kirche die Menschenrechte nur nach aussen verteidigt, dann zeigt sich, dass sie diese nicht tief genug theologisch reflektiert hat. Menschenrechte sind von ihrem Begriff her universal und unteilbar. Ihr Anspruch besteht also auch dort, wo partikuläre Rechtsordnungen ihm ihre Anerkennung verweigern. Im Unterschied zu gewöhnlichen Rechtsnormen unterliegen Menschenrechte keiner zeitlichen, räumlichen und gruppenspezifischen Beschränkung. Die Kirche könnte sich nur dispensiert glauben, "wenn sie sich gemäss der Lehre von der Societas perfecta im Verständnis des 19. Jahrhunderts als eine in allen Lebensbereichen und -äusserungen völlig eigenständige Gesellschaft neben dem Staat und abgesondert von der übrigen Kultur begriffe. Diese Sicht ist (auch) theologisch unhaltbar geworden, weil sie dem Selbstverständnis von ‚Kirche in der Welt', wie es im Vatikanum II ausgiebig erörtert wurde, von Grund auf widerspricht…Dies schliesst nicht aus ( wie bereits gesagt), dass die (kirchen)rechtliche Ordnung des Binnenbereichs spezifische Eigenarten hat, die auch die Rechte und Pflichten des einzelnen Glaubenden aufgrund seiner Kirchenzugehörigkeit betreffen. Entscheidend ist hierbei jedoch, dass Abweichungen von der theologischen Qualität und Zwecksetzung der Kirche her legitimiert werden können."[11] Weil wir in der Schweiz sind, sei noch auf die These von E. Corecco, des früheren Bischofs von Lugano, verwiesen. Mit der Berufung darauf, dass die Rechte in der Kirche erst durch die Taufe entstehen, würden die Christenrechte nicht der Kirche wesensmässig vorangehen (wie die Menschenrechte dem Staat), sondern sie würden von der Kirche und durch die Kirche verliehen. Es handle sich um von Gott gegebene Rechte, die keine subjektiven Rechte seien, sondern Gaben Gottes. Die Christenrechte seien daher also etwas wesentlich anderes als die Menschenrechte im Staat. Hans Heimerl, em. Professor für Kirchenrecht in Graz, vermutet hinter dieser Ansicht einen gewissen Kollektivismus von rechts. "Es widerspricht schon einmal der katholischen Soziallehre (des Solidarismus), dass die Gemeinschaft vor und über der Person stehe. Auch in der Kirche sind die einzelnen Menschen für Gott und für sich selbst, das Einzelwohl ist nicht auf das Gemeinwohl hingeordnet….Die Sakramente sind Zeichen der Gnade Gottes, nicht der Gnade der Kirche… Die Christenrechte sind vielmehr der Hierarchie vorgegeben und wollen einen subjektiven Freiheitsraum für den einzelnen gewährleisten."[12] Die Rechte sind der kirchlichen Verfügung entzogen. Sie sind moralisch begründete Rechtsprinzipien, die diese Autorität selbst verpflichten und ihre Verfügungsgewalt begrenzen. Kurz: Grundlegende Menschenrechte sind ipso facto auch Christenrechte - gratia non tollit naturam. Der Christ hört ja durch seine neue Existenz in der Taufe nicht auf, Mensch zu sein und damit Träger von Menschenrechten. Menschenrechte gehören in ihrem ethischen Gehalt zum Proprium des christlichen Glaubens. Dazu noch eine abschliessende Bemerkung: eine strukturell oder religiös begründete Verweigerung der Menschenrechte auf einem Gebiet kann nicht folgenlos für andere Gebiete und Teilbereiche bleiben. Innerkirchliche Verletzungen der Menschenrechte (Lehrverfahren, Bischofsernennungen) führten beispielsweise in Lateinamerika faktisch zu einer Stärkung der menschenverachtenden Machteliten. III. Was können wir tun? Wie wir wissen und schon oft erfahren mussten, ist die Weltkirche ein komplexes und schwerfälliges Gebilde mit einem gewaltigen Reformstau und einem ungebrochenen Bestreben die bestehende Institution tel quel aufrechtzuerhalten und die Macht zu wahren. Das Subsidiaritätsprinzip wird lauthals verkündet, ohne es aber auch auf sich zu beziehen. Gerade die Durchsetzung der Menschenrechte fordert den jeweiligen Machtträgern vielfach Einschränkung und Verzicht ab. Deshalb kann nur eine anhaltende, langwierige und international vorgetragene Aktion die kirchlichen Gepflogenheiten und das institutionelle Vorgehen der römischen Kirche auf lange Sicht verändern. Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, das Gewicht der Hindernisse zu unterschätzen. Bevor ich auf das eine oder andere hinweisen will, was wir tun könnten - dazu werden auf dieser Tagsatzung gewiss viele Ideen entwickelt -, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir - die Hilfe des schöpferischen Geistes Gottes vorausgesetzt - auf einen grossen Verbündeten zählen können, nämlich die ständig wachsende Bedeutung des Völkerrechts und die weltweite Arbeit für die Durchsetzung der Menschenrechte. Auch wenn es natürlich immer wieder Rückschläge gibt wie etwa im Falle der Folterpraxis, wird das Völkerrecht zugunsten der Menschen stetig ausgebaut: Es gibt neu die Möglichkeit der humanitären Intervention, die internationale Strafgerichtsbarkeit, eine UNO-Kommission arbeitet an einer Gerichtsbarkeit, die Staaten zur Rechenschaft zieht, die Menschen sog. verschwinden liessen oder lassen, weiter soll die Rechtssprechung nicht mehr nur Täter-orientiert, sondern auch Opfer- orientiert werden usw. Da die Erfahrung, dass Menschrechtsverletzungen in einem Land unmittelbar auch Auswirkungen auf die ganze Völkergemeinschaft haben, wurden die Menschenrechte ins Völkerrecht aufgenommen. Auf diesem Weg wurde neben den souveränen Staaten auch die menschliche Person als Subjekt des Völkerrechts anerkannt. Die Würde des Menschen hat heute konstitutionelle Bedeutung für die internationale Rechtsgemeinschaft erlangt. Dieses weltweit zunehmende Menschenrechtsbewusstsein und das Vorantreiben ihrer Verwirklchung wird seine Wirkung auf die Kirche nicht verfehlen. Ein Beispiel: Wenn wir in den westlichen Gesellschaften darauf dringen müssen und dies auch durchzusetzen haben, dass die muslimischen Frauen, die bei uns leben, nicht strukturell von ihren Männern und Institutionen missachtet und misshandelt werden, so schärft das gewiss auch die Wahrnehmung und das moralische Bewusstsein im Blick auf die Zurücksetzung der Frauen in unserer Kirche. Denn Menschenrechte sind unteilbar, universell, bedingen einander und hängen miteinander zusammen. So ergibt sich als erste wichtige Forderung, dass wir die Anstrengungen unterstützen, die den Menschenrechten universelle Geltung verschaffen wollen. Die kirchlichen Gruppierungen sollten sich vernetzen mit anderen, säkularen in der Zivilgesellschaft. Dies wird nicht ohne Rückwirkung auf die Kirche bleiben. Zweite Forderung: Bei der Kirchenleitung und bei den Gläubigen ist ein der Problematik angemessenes Problembewusstsein zu geschaffen. Darum ist auch für die innerkirchliche Aktion internationale Vernetzung unabdingbar, wie bei den europäischen Konferenzen für Menschenrechte in den Kirchen. Deshalb würde ich vorschlagen, an dieser Tagsatzung mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppen eine überzeugende Tabelle von "Menschenrechte in der Kirche" (Christenrechte) zu erstellen und diese danach im Internet zu verbreiten samt der dazu gehörenden Dialogplattform. So könnten neu weltweite Vernetzungen entstehen und die Handlungsmöglichkeiten erweitert werden Drittens will ich noch für unsere spezielle Schweizer Situation einen Vorschlag einbringen: Die Bischöfe sind bekanntlich nicht damit einverstanden, dass staatskirchenrechtliche Gremien wie kantonale Synoden zu innerkirchlichen Fragen Stellung beziehen, weil dies nicht zu ihren Aufgaben gehöre. Das leuchtet zunächst ein. Andererseits sind dieselben Gremien direkt mit der Pastoral befasst, wenn sie Gelder für pastorale Projekte sprechen oder diese ablehnen. Denn die Synodalen können ja nicht einfach zu jedem Antrag nicken, der ihnen vorgelegt wird, denn sie haben ihre Entscheide seriös zu verantworten, um " das Gelder sprechen" nicht einfach zu einer Alibiübung verkommen zu lassen. Die Synodalen bestimmen also in innerkirchlichen Dingen mit und haben so Rechte, die ihnen der CIC noch verweigert. Das Problem ist lange nicht zu lösen, als die Laien Christen zweiter Klasse bleiben. Deshalb habe ich an der Paulus-Akademie in Zürich folgenden Vorschlag gemacht: Nach offiziell beendeter staatskirchenrechtlicher Sitzung könnten sich die Synodalen - ev. an einem anderen Ort - als Gruppe aktiver Christen eines Kantons versammeln, um innerkirchliche Fragen synodal (also nicht mit demokratischen Abstimmungen, sondern in gemeinsamer Consensfindung) zu besprechen und danach ihre Meinung der Öffentlichkeit und den Kirchenleitungen kundzutun. Dieser Vorschlag wurde von der Zürcher-Synode aufgenommen: Nach geschlossener Sitzung im Zürcher Ratshaus gingen - selbstverständlich auf freiwilliger Basis - die Synodalen ins C66 und berieten zusammen mit Weihbischof Vollmar innerkirchliche Fragen. Zum meinem und des Synodenpräsidenten Erstaunen kamen die Synodalen praktisch vollzählig. Noch fanden erst zwei solcher Sitzungen statt, so dass noch keine Stellungnahmen veröffentlicht werden konnten. Wäre dies nicht auch eine Möglichkeit für andere Synoden? Ich sehe nicht, wie ein solches Vorgehen, das die Laien mehr zu ihrem Recht kommen lässt, nicht akzeptabel sein sollte. Ich schliesse mit einem abgewandelten Wort des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy. Er sagte: "Wir haben die Rechte des Menschen nicht aus der Gunst des Staates, sondern unmittelbar aus der Hand Gottes". Wir können sagen: "Wir haben die Christenrechte nicht aus der Gunst der Kirche, sondern unmittelbar aus der Hand Gottes". Josef Bruhin SJ [1] Vgl. Stefan Herbst, Menschenrechte - das Geheimnis des wahren Friedens, in: Orientierung (1999) 183 -187, 194 -198. [2] Sabine Demel, Christen zweiter Klasse?, in: StdZ 218 (2000) 555 - 567, 563. [3] Vgl. Udo Friedrich Schmelzle, Charismen teilen in überschaubaren Räumen. Woran orientieren sich die diözesanen Umstrukturierungsmassnahmen, in: HK 61 (2007) 175-179, 178. [4] Vgl. Sabine Demel, a.a.O. 564ff. [5] Walter Kirchschläger, Ohne Einschränkung durch Geschlecht und Lebensstand. Zur biblischen Grundlegung kirchlicher Dienste, in: Orientierung 71 (2007) 31-36, 35. [6] Vgl. Sabine Demel, Roma locuta, causa infinita est!, in: Orientierung 71 (2007) 90-93. [7] Vgl. Peter Hünermann, Moderne Qualitätssicherung?, in: HK 61 (2007) 184-188. [8] Acta Apostolicae Sedis 65 (1973) 674f. [9] HK 28 (1974) 624f. [10] HK 33 (1979) 554-561, 557f. [11] LThK 19983 Bd.7 Art. Menschenrechte 120 - 129, 126. [12] Hans Heimerl, Menschenrechte und Christenrechte, in: Theol.-prakt. Quartalschrift 139 (1991) 20-29, 25. |