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Anspruchsvolle Gottesdienste, kontemplative Seelsorger, neue Meditationsformen

"Nicht wenige Christen verlassen unsere Pfarrgemeinden oder sogar die Kirche, weil sie dort keinen Trost oder geistliche Unterweisung finden." Zu dieser Einschätzung kommt der Generalobere der Jesuiten, Peter-Hans Kolvenbach, in einem Brief an die Schriftleitung der Zeitschrift "Geist und Leben", die in diesen Tagen ihr 75. Jubiläum feiert. Für den Auszug aus den Pfarrgemeinden sei keineswegs nur religiöses Desinteresse oder eine allgemeine Geistlosigkeit verantwortlich. Im Gegenteil. Unter Christen gebe es heute eine enorme Offenheit, "ein spirituelles Leben zu führen, und zwar mitten in der Welt". Kolvenbach vermutet: "Die Menschen haben nicht aufgehört, irgendwie geistlich zu leben, doch dieses Leben findet weitgehend außerhalb der Kirche statt." Predigten und Gottesdienste befriedigen diesen Hunger nach Spiritualität aber nur dann, wenn sie "der geistlichen Wegsuche des heutigen Menschen gerecht werden". Dies ist eine Frage der Form, des Inhalts und des persönlichen wie gemeinschaftlichen Glaubenslebens. "Wenn wir heute von Spiritualität sprechen, sollte dies im Bewusstsein geschehen, dass es dabei um religiöse Haltungen geht, die überhaupt erst eine Grundlage schaffen, eine Perspektive der Hoffnung zu entwickeln." Der Glaube müsse von "kulturbedingten Belastungen" befreit werden, um wieder ein "Gespür für das Geheimnis Gottes" wecken zu können. Kolvenbach mahnt, die Gottesrede in der Verkündigung nicht zu verharmlosen. Das schließt die bittere Erfahrung der "dunklen Nacht", der "Abwesenheit Gottes" und des Zerbrechens alter Gottesbilder mit ein. "Erst wenn wir über unsere eigene Erfahrung und unser Gottesverhältnis Klarheit gewonnen haben, können wir Dinge sagen, die auch dem heutigen Agnostizismus sinnvoll erscheinen. Bei diesem Apostolat des Glaubens dürfen wir nicht die christliche Mystik übersehen, die immer die wort- und bildlose, alle menschliche Begrifflichkeit übersteigende Gotteserfahrung erwähnt." Die Gottesdienste sollten weniger wortlastig, sondern stärker meditativ geprägt sein, um dieser existentialistischen Glaubenserfahrung Raum zu geben. Kolvenbach wünscht, dass Seelsorger in erster Linie kontemplative Menschen sind und "Wege zur Erneuerung der christlichen Meditation aufzeigen, die nicht nur auf kleine Gruppen beschränkt bleibt". Es müsse darum gehen, "möglichst viele Menschen, die in der Kirche Verantwortung tragen, für eine kontemplative Spiritualität zu gewinnen." In den Orden, den Pfarrgemeinden und den Priesterseminaren sollten neue Formen der christlichen Gemeinschaft entwickelt und ausprobiert werden, die auch zu neuer Weltverantwortung und Weltbejahung des Christentums führen könnten.

Christ in der Gegenwart 306 (Nr. 38/02)