Abendmahlgemeinschaft jetzt - nicht morgen

von Wolfgang Sabel

“Herrenmahl ist ökumenisch oder nicht Herrenmahl, sondern Sektenfeier...” Diese provozierenden Worte Ernst Käsemanns, vorgetragen auf dem Evangelischen Kirchentag zu Nürnberg 1979, gehen unter die Haut und schrecken uns aus unserer ökumenischen Gleichgültigkeit auf. Sie sind eine Herausforderung an alle ökumenisch denkenden Christen und fordern uns unerbittlich auf, die weitere ökumenische Entwicklung nicht mehr den Kirchenleitungen allein zu überlassen. Denn diese praktizieren aus Angst, angestammte Machtpositionen abgeben zu müssen, offensichtlich eine ökumenischen Verzögerungstaktik. Das Gespenst der Unterwerfungsangst verführt sie immer wieder zu weiteren neuen Forderungen nach noch mehr Klarheit, nach noch weiteren Gesprächen, Kommissionen, und Konferenzen. Man pflegt einen “blumenreichen Verbalökumenismus”, macht sich gegenseitig Komplimente über die großartigen Fortschritte auf dem Weg zur Einheit, aber Konsequenzen für die Wiederherstellung der Gemeinschaft der Kirchen werden nicht gezogen.

Aber “...Herrenmahl ist ökumenisch oder nicht mehr Herrenmahl, sondern Sektenfeier.” Käsemann nennt auch den Grund für diese Behauptung: “weil der Gekreuzigte alle an seinen Tisch ruft, für die er starb .... Wer Gäste des Gekreuzigten nicht bei sich duldet, duldet den Gekreuzigten nicht mehr in seiner Mitte. Der ist nicht mehr Teil des Leibes Christi auf Erden, sondern vertritt eine geschlossene Gesellschaft und eine religiöse Interessengemeinschaft«.

Der evangelische Theologe wird noch deutlicher in der Beschreibung dieses kirchlichen Skandals: “...Niemand vermag zu bestreiten, daß überall in der Christenheit genau das geschieht, was Paulus als Verachtung von Leib und Blut Christi brandmarkt und mit zeitlichem und ewigem Gericht bedroht. Faktisch wird überall und unablässig die Einladung des Christus an seinen Tisch und vor sein Angesicht zu kommen von Christen, Theologen, Kirchenleitungen, Konfessionen widerrufen und statt dessen die Verweigerung der Abendmahlgemeinschaft praktiziert und verteidigt. Dafür gibt es keine Rechtfertigung oder Entschuldigung. Hier wird Gottes Name entheiligt, sein Reich gehindert, sein Wille ins Gegenteil verkehrt und alles Reden von der Einheit der Kirche wird hier als frommes Geschwätz entlarvt. Man will nicht einig sein. Man will es nur dann, wenn die anderen sich unserer Ideologie unterwerfen”.

Zugegeben: Nicht alle theologischen Streitfragen im Zusammenhang mit dem Abendmahl sind erledigt und die noch bestehenden Probleme können nicht einfach beiseite geschoben werden. Die Theologen werden sich darüber noch Jahrzehnte den Kopf zerbrechen. Aber ist dies ein Grund, die Kirchenspaltung immer noch aufrechtzuerhalten? “Alle noch bestehenden theologischen Unterschiede im Abendmahlverständnis zwischen Katholiken und Protestanten rechtfertigen die Kirchenspaltung nicht mehr.” Durch eine intensive ökumenische Arbeit der verschiedensten Kommissionen ist der ökumenisch erreichte Konsens zwischen den Konfessionen so breit und tief, daß eine Abendmahlgemeinschaft jetzt und nicht morgen gerechtfertigt ist. Eines müßte auch dem konservativsten Theologen mittlerweile klar geworden sein: Die ökumenische Kirche wird keine uniforme Einheitskirche sein, sondern “versöhnte Verschiedenheit". Die Kirchen werden Kirchen bleiben mit ihren eigenen Traditionen und doch gemeinsam eine Kirche werden, indem sie sich gegenseitig als legitime Ausprägungen des Evangeliums anerkennen. Wir müssen nicht warten, bis auch der letzte katholische oder evangelische Theologe seine theologischen »Hemmungen« überwunden und seine theologischen Probleme gelöst hat.

Ein immer wieder vorgebrachtes Argument gegen das gemeinsame Abendmahl ist die noch nicht gelöste Amtsfrage. Sukzession oder Ordination? Glauben wir denn wirklich, daß nach der theologischen Lösung dieses Problems irgendwann am Nimmerleinstag an der Realität der Eucharistie sich irgend etwas ändert? Was sich vor 2000 Jahren im Abendmahlsaal zu Jerusalem ereignete, das ereignet sich exakt genauso jetzt und in Zukunft am katholischen und evangelischen Altar, unabhängig von der jeweiligen theologischen Definition. “

... Maßgebend für die gegenseitige Anerkennung der Ämter ist nicht die formale apostolische Sukzession der Amtsträger, sondern das Bleiben der Kirche im Glauben der Apostel - die inhaltliche apostolische Tradition.” (Brosseder/Link)

Professor Brosseder, kath. Theologe an der Universität Köln schreibt an anderer Stelle: “...Eine ununterbrochene Kette von Handauflegungen von den Aposteln über die Bischöfe bis in unsere Tage hat es nicht gegeben und kann für die beiden ersten Jahrhunderte nicht nachgewiesen werden. Die Apostolizität der Kirche hängt nicht an einer Kette von Handauflegungen, sondern daran, daß die Gemeinden und Kirchen in apostolischem Glauben verharren. Die seit dem 3. Jahrhundert existierenden Bischofslisten drücken diesen Sachverhalt aus, sie begründen aber nicht die Apostolizität der Kirche. Hinzukommt, daß in der Reformationszeit zahlreiche Bischöfe überhaupt nicht ordiniert waren, so daß die Vorstellung von einer ununterbrochenen Kette von Handauflegungen nicht nur für die kirchliche Wirklichkeit der alten Kirche, sondern auch für die neuzeitliche kirchliche Wirklichkeit eine reine dogmatische Wunschvorstellung ist, die bisher jede Annäherung in der Amtsfrage verhindert.” Brosseder fährt fort: “Es sollte selbstverständlich sein, daß die Kirche sich eines ehrlichen und redlichen Umganges mit geschichtlichen Fakten befleißigt. Sowohl die Papstfrage wie die Amtsfrage wären dann kein ökumenisches Problem mehr.”

Was die Papstfrage angeht, so hat der jetzige Papst im Mai 95 in seiner Enzyklika “ut unum sint” die Verantwortlichen der Kirchen zu einem “brüderlichen, geduldigen Dialog” eingeladen, um eine Form der Primatsausübung zu finden, die sich “einer neuen Situation öffnet” und ökumenisch anerkannt werden könnte. Dies sind neue Aspekte, die darauf hindeuten, daß auf katholischer Seite “der Primat des Papstes wesentlich differenzierter gesehen wird” als bisher. Immer mehr setzt sich auch in Rom die Einsicht durch, dass das Papsttum nach den heutigen theologischen Erkenntnissen in seiner jetzigen Form durch das Neue Testament nicht mehr unmittelbar begründbar ist. Die Anwendung der neutestamentlichen Petrusworte sind “vielfach weithin über das Erbe des Anfangs hinausgewuchert”. (Kardinal Ratzinger)

Wir Laien sollten in der Ortskirche selbstbewußter auftreten, nicht immer nach oben schauen und fragen, was dürfen wir, was dürfen wir nicht, sondern ökumenisch handeln. Wir sind nicht nur die einzelnen Bausteine der Gesamtkirche, sondern sind die Kirche. Die entscheidenden Schritten in der Ökumene werden nicht von oben verordnet, sondern wachsen von der Basis. Der Sensus fidei des Volkes Gottes, den wir verkörpern, gibt uns die Vollmacht und die Richtung. Kardinal Ratzinger hat diesen Sachverhalt sehr deutlich unterstrichen: “Wenn Ortskirche nicht bloß unterste Abschattung von Gesamtkirche, sondern unmittelbare und reale Verwirklichung von Kirche selbst ist, dann ist Ortsökumene nicht bloß ausführendes Organ von Spitzenökumene, sondern originäre Form des Ökumenischen und ein selbständiger Ausgangspunkt theologischer Erkenntnisse”. Diese Erkenntnisse sollten wir mutig umsetzen und uns endlich gemeinsam am Tisch des Herrn in “versöhnter Verschiedenheit” treffen. Eines sollte uns dabei immer bewußt sein: nicht der Papst nicht der Bischof, nicht der Pfarrer, sondern Christus selbst bittet uns zu seinem Gastmahl.