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 oder

EINANDER RICHTIG VERSTEHEN IST SCHWER

Eine symbolträchtige Geschichte von Bernd Trenkle

Rom. Im Mittelalter. Der Papst möchte die Juden aus Rom vertreiben. Die Situation eskaliert. Ein Bürgerkrieg droht. Schließlich bietet der Papst eine öffentliche Debatte mit einem Vertreter der Juden an: Gewinnen die Juden die öffentliche Debatte, dürfen sie bleiben. Gewinnt der Papst, so müssen sie gehen.

Keiner der Rabbiner ist bereit, sich der Diskussion zu stellen, da es alle für ein dummes Zeug halten, in eine Diskussion einzutreten, in der der Papst gleichzeitig Teilnehmer und Schiedsrichter ist. Schließlich meldet sich der Synagogendiener und bietet an, mit dem Papst zu diskutieren. Die Rabbiner sind anfangs nicht einverstanden, da es sich eigentlich nicht geziemt, dass der Synagogendiener eine so wichtige Sache vertritt und mit dem Papst diskutiert. Da aber sonst niemand gegen den Papst unter diesen Bedingungen antreten will, stimmen sie schließlich zu.

Der Tag der Debatte ist da. Nur: Der Papst ist sich seiner Sache auch nicht mehr so ganz sicher. Er hat Zweifel, ob er in jedem Fall gegen die talmud-geschulten Juden mit ihrer Rhetorik und Fähigkeit, Paradoxe zu benützen, öffentlich bestehen kann. Da er die Spielregeln bestimmt, legt er fest, dass ausschließlich nonverbal diskutiert wird.

Die Debatte beginnt: Der Papst ballt die Faust und weist mit erhobenem Zeigefinger energisch in Richtung Himmel. Der Synagogendiener zeigt genauso energisch auf die Erde. Der Papst reagiert sofort und zeigt wieder mit dem Zeigefinger zum Himmel. Der Synagogendiener erhebt die rechte Hand und zeigt mit entschiedener Gestik drei Finger. Der Papst kommt ins Stocken. Aber nach kurzem Zögern greift er in seinen Mantel und zeigt einen wunderschön runden roten Apfel. Ohne Zögern greift der Synagogendiener in seinen Mantel und zieht etwas umständlich eine Tüte hervor. Er öffnet sie und zeigt ein jüdisches Fladenbrot. Der Papst senkt den Kopf und sagt: „Sie haben gewonnen.“

Der Papst zieht sich mit den erschütterten Kardinälen zurück. „Tut mir leid“, sagt er, „der Mann war extrem schlagfertig. Das war ein Meister des Debattierens. Ich hatte keine Chance.“ Die Kardinäle fragen, was denn vorgefallen sei, denn keiner hat verstanden, was eigentlich ablief. Der Papst analysiert den Ablauf: „Das war doch offensichtlich. Ich habe mit dem Zeigefinger zum Himmel gezeigt und damit gesagt: ‚Es gibt nur einen Gott.’ Mein jüdischer Kollege hat gekontert, indem er auf den Boden zeigte: ‚Es gibt auch einen Teufel in der Hölle.’ Und was soll ich sagen. Das ist ja schließlich unser eigener katholischer Glaube. Dann habe ich gesagt: ‚Gott ist jedoch mächtiger.’ Und der jüdische Kollege hat mit drei erhobenen Fingern geantwortet: ‚Aber nur weil es der dreieinige Gott ist.’ Und was soll ich da sagen? Das ist doch schließlich unser eigener Glaube. Dann wollte ich ihn reinlegen und zeigte ihm einen Apfel als Symbol für diese Irrlehre, dass die Erde eine Kugel sei. Und was macht er? Er zeigt mir ein Fladenbrot und sagt damit, dass die Erde in Wirklichkeit eine Scheibe ist. Ja, und da hatte ich verloren.“

Aber auch die Rabbiner waren verdutzt und ratlos über den Ablauf der Debatte und vor allem, mit welch zauberhafter Geschwindigkeit der Synagogendiener das Blatt zu seinen Gunsten wenden konnte. Sie befragten ihn, wie er das gemacht hatte. Der sagte: „Meiner Meinung nach war das Ganze eine Farce. Zuerst zeigt mir der Papst seine Faust mit erhobenem Finger und drohte: ‚Ihr fliegt raus aus Rom!’ Da zeigte ich ihm aber, dass wir auf jeden Fall bleiben. Dann zeigte er noch mal seine Faust mit erhobenem Finger und sagte: ‚Ihr fliegt trotzdem raus!’ Da sagte ich ihm: ‚Das kannst du noch drei Mal sagen und wir bleiben trotzdem da.’ Und was macht er dann? Er greift plötzlich in seinen Mantel und zeigt mir seine Vesper. Dann habe ich ihm meine Vesper gezeigt.“