Das hell-lichte Dunkel
des unnennbaren Gottes
Willi Mitzkewitz
Wer ist nicht mit folgendem Gottesbild groß geworden: Gott, der Allmächtige und Allgütige, regiert und lenkt die Welt und die Menschheit, nichts entgeht ihm? Er weiß von je her, was der einzelne und die Menschheit insgesamt unternimmt. Wir sind mit einer Gotteslehre aufgewachsen, in der Gott klar umrissen und eingeordnet war. Er stellte kein Geheimnis dar. Man gab ihm die guten Eigenschaften des Menschen, nur potenzierte man sie ins Unendliche, so daß man einen großmächtigen „König“ als Gott hatte. Er war ein Teil unserer Welt, der bürgerlichen Welt. Mit ihm konnte man gut leben, wenn man alle moralischen Gebote einhielt. Indem er Teil unserer Welt wurde, konnte man sich seiner bedienen wie einen Helfer in der Not, der immer zur Verfügung stand, wenn man ihn brauchte. Ab und zu mußte man ihn mit einigen Gebeten und „Öpferchen“ zufrieden stellen. Man darf sich nicht wundern, daß Er uns abhanden kam. Denn wer ordnet sich einem solchen Gott noch „unter“? Zumal in den Katastrophen und schwersten Verbrechen unserer Zeit dieser Allmächtige und allgütige Gott „total“ versagte. Hört er den Schrei des gequälten Menschen nicht, ist er unempfindlich gegen das unermeßliche Leid in dieser Menschenwelt?
Etwas muß mit unserem Gottesbild nicht stimmen. Könnte es nicht sein, daß wir uns einen Götzen geschaffen haben, der mit dem absoluten Geheimnis, das wir Gott nennen, nichts zu tun hat? Müssen wir nicht einfach anerkennen, daß wir uns dem Geheimnis „Gott“ nur nähern, aber nicht sagen können, wer er ist?
Schon im 6. Jahrhundert n. Chr. hat Dionysios Areopagita, ein syrischer Mönch, festgestellt, daß unser Denken und unsere Sprache nicht in der Lage sind, das göttliche Geheimnis zu erfassen und zu beschreiben. Man kann nur sagen, wer Gott nicht ist, und erst aus dieser Verneinung kann eine Ahnung vermittelt werden von dem Unnennbaren. Gott wohnt in „unzugänglichem Licht“. Unser Reden erreicht den nicht, um den es geht, wir bleiben unendlich hinter dem göttlichen Geheimnis zurück. Gott ist „über alles hinaus“. Die Geheimnisse Gottes „sind mehr als Licht, sie werden nur im Dunkel des geheimnisvoll-mystischen Schweigens offenbar“.
Was der menschliche Geist denkt, kleidet er in Begriffe. Begriffe aber sind definierbar, bestimmbar, abgrenzbar. Um zu erkennen, müssen wir eingrenzen. Dionysios aber meint, Gott ist größer, er läßt sich nicht in Begriffen definieren. Denn er ist jenseits der menschlichen Begriffe. Begriffe sind Schöpfungen des Menschen und sagen etwas vom Menschen aus, aber nicht vom absoluten Geheimnis. Welche menschliche Sprache könnte Ihn beschreiben, denn jedes Wort ist begrenzt, jedes Verstehen braucht einen Begriff. Welches menschliche Wort kann Ihn umfassen? Die Antwort des Dionysios lautet: Die einzige Sprache, die keine Grenze hat, in der das Unendliche noch einen Platz hat, ist das Schweigen. Nicht das düstere Schweigen, sondern ein Schweigen, das Sprache ist: Ehrfürchtiges Schweigen, betendes Schweigen, verehrendes Schweigen.
Es ist nicht Ablehnung oder Resignation, die Dionysios zu dieser Aussage geführt hat, sondern die ungeheure Ehrfurcht vor dem unfaßbaren und unbeschreibbaren absoluten Geheimnis. Er ist kein Feind der Sprache und er weiß um die Bedeutung der Symbole und Zeichen. „Aber all das sind ‚heilsame Schleier’, die uns gewährt werden, damit wir wenigstens eine Richtung gezeigt bekommen, die unserer Fassungskraft angemessen ist.“ Nur in Bildern kann der Ungestaltete und Ungeformte unserer Sinnenhaftigkeit nahekommen.
„Es ist nicht möglich, das Eine, des Unerkennbare, das alle Begriffe Überschreitende, das Gute selbst, was es auch immer ist, zu benennen oder in Gedanken zu fassen.“
Gott steht jenseits aller Bejahungen und aller Verneinungen. Es gibt nur eine vermittelte Gotteserkenntnis. Dabei spielt die Inkarnation Gottes eine große Rolle im Denken Dionysios. Im Mysterium des Gottmenschen, in seiner Erniedrigung, in seinem Leiden, Sterben und seiner Auferweckung ist dieser unnennbare Gott uns ganz gegenwärtig. „Jetzt aber müssen wir noch, der aus unserer Welt genommenen Symbole und Bilder bedienen. Soweit dies eben möglich ist, mit Hilfe dieser Symbole zur einfachen, einförmigen Wahrheit der geistigen Urbilder auf die uns gemäße Weise erheben, und uns ganz, so sehr wir vermögen, auf das überwesentliche Licht hinrichten.“
Dionysios versucht sich auch dem Geheimnis Gottes in seiner Dreipersonalität zu nähern und wagt folgende Aussage, die für viele Ohren häretisch klingen. „Deswegen ist die Gottheit, die über alles hinaus ist und die von uns als „eins“ und zugleich als „drei“ gepriesen wird, weder eins noch drei in einem uns – oder irgendeinem anderen daseienden Wesen – erkennbaren Sinn. Sondern nur damit wir die völlige Einheit und zugleich das (innergöttliche) Hervorbringen (der göttlichen Personen) wahrhaft preisen können, benennen wir das, was über jeden Namen erhaben ist, mit den Gottesnamen „Einheit“ und „Trinität“, bezeichnen wir also, was über das Sein hinaus ist, durch Vergleich mit den daseienden Dingen.“
Zum Abschluß ein Wort unseres großen theologischen Lehrers, Karl Rahner: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“