Das Kind und Gott
von Norbert Piechotta
Einst saß ein Kind in der Kirchenbank. Seine Großmutter war schwer krank und es sollte für sie beten - nach der Eltern Willen. Während es so saß und das Geschehen beobachtete, wünschte es sich, die Langeweile vermeidend, die Messdienerin vorne am Altar zu sein.
Und schon geschah´s.
Stolz verrichtete sie ihren Dienst und war mit Eifer bei der Sache. Doch bald merkte sie, dass die Küsterin eine viel wichtigere Aufgabe hatte. Und kaum hatte sie ihren Wunsch zu Ende gedacht, so war sie die Küsterin und unentbehrlich bei dem Herauslegen der sakralen Gewänder und Gerätschaften, dem Putzen und Reinlichmachen im und um das Haus Gottes. Doch schon bald sah sie ein, dass man Pfarrer sein musste, um noch mehr Gutes bewirken zu können.
Und schon geschah´s.
Als Pfarrer war man selbst im Jahre 2000 noch ein relativ angesehener Mann, sogar schon eine Person von Wichtigkeit. Während des Gottesdienstes stand man nach der angeblichen Überlieferung an Gottes Stelle vor den Menschen; beim Pfarrgemeinderat hatte man immer das letzte Wort. Doch schon bald reichte das nicht mehr. Als Bischof hätte man doch noch viel mehr Einflussmöglichkeiten!
Und schon geschah´s.
Wie fein konnte der neue Bischof jetzt mit Millionen hantieren, wie dienstfällig waren seine Mitarbeiter. Wo er auch hinkam - überall neigte man sich und rühmte seine Mitmenschlichkeit, die gar nicht so die übliche eines Bischofs sei. Doch er war nur einer unter Tausenden und als Kardinal für die Kirche viel wichtiger. Nur gewünscht -
Und schon geschah´s.
Das Purpur des Rot war ursprünglich das Zeichen der Macht. Erst viel später wurde es in Märtyrerblut umgedeutet. Natürlich wollte der neue Kardinal zweites durch sein Leben für und in der Kirche deutlich werden lassen. Voll des Lobes war man allerorten über die Umsicht des neuen “Rotkäppchens”, seine Freundlichkeit, seine befähigte Führung irgendeiner Kongregation im Zentrum der Macht mit dem direkten Zugang zu seiner Heiligkeit. Wie wäre es ... .
Und schon geschah´s.
Als Diener der Diener Gottes zwar nur, aber als Stellvertreter Gottes konnte das Kind nun als neuer charismatischer Papst herrschen. Und sein Bemühen fand die allergrößte Anerkennung weltweit. Unermütlich suchte er als guter Hirte seine Schafe auf. Nur wenn´s nötig war, zog er das eine oder andere an seinen Hammelbeinen. Insbesondere die Unter-Hirten, die nicht so in der Tradition lebten wie er selber, die eigenes Denken und ein eigenes Gewissen besaßen. Seltsamer Weise gab es immer noch einige wenige, die das Absolute seines wichtigen und schweren Amtes nicht anerkennen wollten. Man müsste Gott sein, um ... .
Und schon geschah´s.
Gott, der/die/das Unsagbare, ist allen Menschen und allen Lebewesen zu allen Zeiten bei-ständig und natürlich zuständig für die Myriaden von Planeten, Sonnensystemen und Galaxien zu allen unendlichen Zeiten. Immer und überall hörte, hört gerade und wird er hören Freud und Leid von allen Lebewesen, die er geschaffen hatte, die er gerade schafft und in künftigen Äonen noch schaffen wird. Und so geschah es, dass er in den unzähligen und unendlichen Raum-Zeit-Kontinuen das Klagen einer alten Großmutter vernahm und sich einen Moment ablenken ließ, da er voll des Mitgefühls war. Er wünschte, er wäre ein Kind und könnte seiner Kreatur in den Beschwernissen des alternden Lebens beistehen.
Und so geschah es.
Das Kind verließ die Kirchenbank und begann seinen Gottesdienst - bei der Großmutter, denn ER war da.