Das Steinchen
von Benno Kaiser
Ich fand es im Briefkasten unter der üblichen Werbung, in leuchtendem Orange und auf edlem Hochglanzpapier: das Septemberheft von Der Fels – Katholisches Wort in die Zeit.
Der etwas sperrige Akkusativ signalisiert unmissverständlich: Hier kommt sie, die Wahrheit, zeitlos, ewig, katholisch eben, wie im Impressum wiederholt erwähnt, und sie kommt aus Bayern, näherhin aus der Diözese Augsburg. Auch das Gründungsdatum – 1970 – macht deutlich: Hier erfolgt eine klare Korrektur der Irrtümer des Vaticanums II (Zitat aus dem Bericht eines Initiative Treffens: “Nach dem konziliaren Bildersturm, der die Pfarrkirche optisch in eine Leichenhalle verwandelt hatte, restaurierte die Gemeinde vor zehn Jahren das Gotteshaus und machte es wieder zu einer Sakralstätte.” )
Den weitaus größten Teil der Titelseite nimmt die Abbildung einer überdimensionalen Engelsgestalt ein, schwertschwingend und eine Waage haltend, in bzw. an deren Schalen einmal zwei betende und also wohl gute Menschen zu erkennen sind – die Waage neigt sich auf ihrer Seite – zum anderen zwei Monsterwesen a la Hieronymus Bosch: die “Droh-Botschaft” ist offensichtlich, obwohl wir noch lange nicht November haben. “Erzengel Michael als Seelenwäger” lese ich im Innern; das LThK erwähnt Darstellungen dieser Art seit dem 12. Jahrhundert – Mittelalter also. Bei Origenes (2./3.Jhdt), so heißt es weiter im Lexikon, ist er noch “Fürbitter für die Menschen bei Gott” und bei Gregor v. Tours (6.Jhdt) “geleitet er ihre Seelen in den Himmel” – irgendwie ist er mir in seinen früheren Tätigkeitsmerkmalen sympathischer. Fast automatisch mein Gedanke: Besteht ein Zusammenhang zwischen dieser Negativ-Karriere des Erzengels und der parallel verlaufenden Entartung der Kirche zum Instrument römisch-päpstlicher Machtpolitik? Schade, so muss man schmerzlich feststellen, dass der Kampf des Erzengels mit Luzifer auch nur Legende ist – der Sieger könnte sich endlich des Stellvertreterproblems annehmen.
Im Vorwort des verantwortlichen Redakteurs, eines Prof. Dr., werden die Themen nicht nur genannt, sondern gleich in den richtigen Rahmen gestellt. Natürlich dominiert die “Schein-Debatte” das gesamte Heft, und dabei werden die Fronten klar: hier der Papst mit seinem weltweit hohem Ansehen und der schlechten Presse hierzulande, und dann sofort Dyba, immer wieder Dyba, jeweils mit Foto als “unerschrockener Kämpfer”, als Autor Bücher signierend, im bischöflichen Ornat predigend, und wiederholt Laun und schließlich Küng, nein, nicht Johannes, sondern Klaus, der Opus-Dei-Vertraute, die Priesterbruderschaft St. Petrus, Christa Mewes, deren Vorträge sowie die des Redakteurs auf Kassette bestellt werden können, die “Diener Jesu und Mariens” usw., usw. – auf der anderen, der bösen Seite natürlich mehrfach Lehman, der Täuscher und – unter Hinweis auf Mt 7,3f – der Heuchler, die Bischofskonferenz, die auf Treibsand gebaut hat, deren Sekretär Hammerschmidt, das ZdK, der Vorstand der Frauengemeinschaft, der BDKJ ...
Aber: Die Reihe der Beiträge wird eröffnet mit einer “Nachbetrachtung” zum Fest Mariä Himmelfahrt. Da werden offensichtlich Prioritäten gesetzt, und dann ist man auch nicht mehr verwundert, dass es ohnehin recht marianisch zugeht in den sog. Initiativkreisen, angefangen bei der Forderung nach einer Weihe des Bistums Berlin an Maria bis zu Marienwallfahrten nach Russland sowie Rosenkranz- und Sühneandachten – “Totus tuus” eben, und den Papst wird es freuen ; gewiss auch unsern Oberhirten: Augsburg, das wäre ein Bistum für ihn, aber dies renitente Köln ...
Dass die Nachbetrachtung frei bleibt von jeglichem Anflug einer historisch-kritischen Forschung, muss wohl nicht eigens erwähnt werden. Zwar gelangt die Autorin gegen Ende des Artikels immerhin zu der Feststellung, dass von Maria “nur ein paar knappe Sätze überliefert” sind, weiß aber ganz genau, “dass es für Maria keineswegs einfach war, in ihrer Situation ein Kind auszutragen...”. Mehr noch: “Sie hätte den Schein bekommen, mit oder ohne Zusatz. Sie hat das Problem gemeinsam mit Gott und Josef gelöst – und uns dadurch den Himmel geöffnet.” Wer ein überzeugendes Beispiel sucht, wie schnell fromme Leerformeln zur Groteske entarten können, hier wird er fündig.
Als nächstes kann sich der Leser (nochmals) ausführlich mit Dybas Interview in der “Welt” befassen und (nochmals) seine schlicht umwerfende Begründung für sein Verhalten nachlesen: “Ich werde in mehr oder weniger kurzer Zeit vor Gott in der Ewigkeit stehen.” – Warum, Herr Dyba, ziehen Sie aus dieser doch so richtigen Erkenntnis nicht auch die richtige Konsequenz und sich selbst zurück, etwa in eines der kommoden Klöster, zu Reue und Buße. Ihre Medienpräsens ist da gewiss der falsche Weg!
Übergehen wir die weiteren Beiträge zur Konfliktberatung, denn in ihnen erfährt man ohnehin nur eins: Dyba hat Recht! – und die Erde ist eine Scheibe, so möchte man hinzufügen.
Bemerkenswert, weil in diesen Tagen hochaktuell, ist der Artikel über die “Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre” mit dem Titel “Unterschriftsreif?” Der Autor ist ein Pfarrer, der sich laut Vorspann “ mit Fragen der Ökumene intensiv auseinandergesetzt” hat. Und da man inzwischen das Blatt schon etwas kennt, vermutet man richtig, dass die Antwort nur “Nein” heißen kann, denn der Text enthalte “weiter die Aussagen, die nach katholischer Lehre bedenklich oder gar – wie die Glaubenskongregation zu Recht feststellte – »für Katholiken nicht annehmbar« sind.”
Weiter geht es mit dem Artikel “Erstmals Menschen geklont”, der sich auf ein in Fachkreisen als dubios bezeichnetes Experiment bezieht, um dann mit Nachdruck festzustellen, dass auch das Klonen keine Möglichkeit für kinderlose Paare darstelle, da ja nur das Erbgut eines Partners vorliege. Zu dem “Unheil, das diese verwerflichen Experimente direkt anrichten”, gehört auch, dass “durch diese Technik lesbische Paare Kinder haben könnten”.
War dieser Beitrag eher medizinisch-wissenschaftlich orientiert, so kann der Leser im nächsten sich
wieder verstärkt seinen Emotionen widmen, denn die Geschichte über die Gründung der Aktionsgemeinschaft Kyrillos und Methodios gerät zum Rührstück: Ein Fünfzigjähriger wird nach dreimaliger Operation wegen Darmkrebs mit einer sechsmonatigen Lebenserwartung konfrontiert, erinnert sich an die religiösen Aktivitäten seiner Jugendzeit, erneuert die Kontakte (zum russisch-katholisch ostkirchlichen Zentrum ‚Leben mit Gott‘ in Brüssel) und wird – trotz schwerer Krankheit und Todesnähe – mit einer Spendenaktion namens “Pro Russia” beauftragt, ausgerechnet in Köln, wo er, wie zu erwarten, prompt auf die mächtige Konkurrenz des dortigen Generalvikars trifft, was zum abrupten Ende seiner Spendenaktion führt. “Gesteigerte Einnahme von Psychopharmaka” ist die unmittelbare Folge, bis er zum “altbewährten Hausmittel” seiner Mutter greift: “das tägliche Rosenkranzgebet.” Wie in Erzählungen dieser Art üblich, zeigt eine Nachuntersuchung den gerade noch Todgeweihten als Geheilten, der zudem noch – Wunder Nr. 2 – eine anonyme Spende über DM 20.000, - erhält, die nun – finsteren Machenschaften zur Folge – der Auftraggeber besagter Spendenaktion partout nicht haben will, so dass der Ärmste sich gezwungen sieht, zwecks Verwaltung der Spende die Aktionsgemeinschaft K&M zu gründen, die zwischenzeitlich jährlich etwa ein halbe Million Mark (für Katholiken in Russland!) aufwendet. Der Erfolg lässt dem Gründer nur eine Deutungsmöglichkeit: “Dieses Werk ist augenscheinlich Gottes Werk” – ein weiteres Opus Dei also – und während man noch geneigt ist, milde zu lächeln angesichts derartiger menschlicher Überheblichkeit, liest man, dass diese guten Christen Tatsachen schaffen “durch den Bau von Kirchen und Klöstern für die unierte Kirche in Gebieten, wo vor dem 2. Weltkrieg keine Unierten waren”, und erschrickt angesichts der in aller Selbstverständlichkeit vorgetragenen zynischen Äußerung: “Bis jetzt hat Rom diese Gründungen noch immer nachträglich legalisiert.” Zwischenzeitlich wurde in einigen Diözesen vor dieser Gemeinschaft gewarnt – man kann sich der Warnung nur anschließen.Die Reihe der (ausführlichen) Beiträge beendet ein fast dreiseitiger Artikel mit dem Titel “Nivellierung des priesterlichen Dienstes”, gleichsam als Paukenschlag im Konzert der Rückwendung, der Beschwörung des Gestern, der guten alten Zeit. Da gab es doch die positive – weil römische – “Laieninstruktion” mit ihrer Aufzählung der durch die Beteiligung der Laien aufgetretenen skandalösen Missstände in der Liturgie und das unverständliche Theater, das “bestimmte Kreise des deutschen Katholizismus aufführten”, die Spannung angesichts der zu erwartenden Reaktion der deutschen Bischöfe – und dann folgte der Eklat: Nicht die Abstellung der angeprangerten Missstände, nein, eine Darlegung laikaler Dienste, die heute schon möglich sind, das war der Inhalt der “Rahmenordnung”!
Es folgt eine ermüdende Auflistung dessen, was der Laie ‚darf‘ und kopfschüttelnd nimmt man wahr, was es so alles an Liturgischem (noch) gibt: Horen der Tagzeitenliturgie, Segnung des Johannesweins, Wettersegen, Kräutersegen am Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel ... Und wiederholt wird hervorgehoben: “auch Frauen” dürften dies tun! Ich erspare den Lesern die Kommentare zu liturgischen Gewändern und zu richtigen oder falschen Positionen im Altarraum, denn alles in allem wird klar: Hier wird das überlieferte Liturgieverständnis “veruntreut”, und so wächst unter Laien ein “liturgisches Anspruchsdenken”, entsteht “Wildwuchs innerhalb der Liturgie”, wird “der Anspruch ganzer Frauengemeinschaften auf das Frauenpriestertum nicht verstummen”, wird “priesterlicher Dienst erschwert”, der “Auszug Gläubiger aus unseren Kirchen beschleunigt” und der “Sinn für die von Christus zuerst und vorrangig den Priestern übertragene Liturgie noch mehr verdunkelt.”
Es ist müßig, die kleineren Beiträge in den Sparten “Auf dem Prüfstand”, Zeit im Spektrum”, “Berichte aus den Initiativkreisen” und “Forum der Leser” vorzustellen; sie bestätigen die bisherigen Artikel derart unisono, dass man glaubt, Auftragsarbeiten vor sich zu haben.
Nach der Lektüre: tiefe Ratlosigkeit! Wie soll man umgehen mit Menschen, die so in der Kirche und so in der Vergangenheit leben? Deren Denkweise das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses ist, dessen Existenz sie so vehement in Abrede stellen! Nehmen wir sie einfach als ein Steinchen im Mosaik Kirche, sicher kein zentrales, aber eins, das vielleicht unsere Einstellung zur Intoleranz etwa eines Mullah-Regimes, einer Hindu-Sekte relativieren hilft. Und wie das Haus des Vaters, so hat auch das der Mutter Kirche gewiss viele Wohnungen, und da sollten auch sie Platz finden. Allerdings: Wer nur mit Steinen wirft, wer glaubt, “Unzucht klar als Unzucht” bezeichnen zu müssen und damit unterschiedslos “vorehelichen wie außerehelichen Verkehr” sowie “das »Ausleben« homosexueller Neigungen” meint, der wird es schwer haben, gut nachbarliche Beziehungen.