Den Glauben hinterfragen
Neue Zugänge zu Christologie und Abendmahl
Wolfgang Sabel
Gleichsam mit der Muttermilch wurden den meisten von uns Glaubensgrundsätze eingegeben, die eigentlich im Erwachsenenalter kritisch hinterfragt werden sollten. Der Großteil der Gläubigen ist an dieser wichtigen und fälligen Auseinandersetzung nicht interessiert, zum einen, weil es als ungehörig, respektlos und unerlaubt gilt, „Glaubenstatsachen“, die vorbehaltlos als Wahrheit angenommen werden müssen, anzuzweifeln, zum anderen, weil bei nicht wenigen Christen der Glaube zu einer alltäglichen Nebensächlichkeit geworden ist. Kirche reduziert sich auf die Inanspruchnahme bei Taufe, Heirat und Tod.
Eine kleine Gruppe von Gläubigen ist jedoch selbstbewußter geworden und nicht mehr so gehorsam, wie „die Kirche“ es sich wünscht. Die von ihr verlangte Autoritätsgläubigkeit wird nicht mehr akzeptiert. Aus unbedarften, unbedingt gehorsamen Laien sind theologisch kompetente Christen geworden, die in einer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem tradierten Glauben und im harten Ringen um ihr Gottesbild, sich bewußt geworden sind, in eigener Verantwortung ihr eigenes religiöses Leben zu gestalten. In einer Kirche als institutionalisierte Religion fühlen sie sich fremd.
Die historisch-kritische Bibelwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten ein Jesusbild erkundet, das den hellenistischen Christus fern aller „Göttlichkeit“ auf den jüdischen Menschen Jesus reduziert, auf einen Menschen mit leiblichem Vater und leiblicher Mutter, der als jüdischer Junge mit zahlreichen Geschwistern in einem kleinen Dorf aufwuchs und wie sein Vater als Bauarbeiter seinen Lebensunterhalt verdiente. Durch den Besuch der Synagoge und dem Hören und Lesen der Schrift erhielt er seine religiöse Bildung. Als Wanderprediger zog er mit einer kleinen Gefolgschaft durch das Land, geriet als Aufwiegler in die Hände der römischen Justiz und wurde wie viele andere vor ihm und nach ihm als Unruhestifter von den Römern am Kreuz hingerichtet.
Jesus war bis zum letzten Atemzug Jude geblieben. Sein Tun und sein Vermächtnis kann deshalb nur verstanden werden in der Rückbesinnung auf seine jüdischen Wurzeln. Dies gilt insbesondere bei der Deutung des „letzten“ Abendmahls, ein weiterer wichtiger Eckpunkt des christlichen Glaubensverständnisses und zugleich ein nicht notwendiges Ärgernis zwischen den zerstrittenen Konfessionen.
Das Abendmahl „steht nicht unvermittelt im Leben Jesu, sondern in einer Linie zahlreicher Tischgesellschaften, von denen die Evangelien berichten, als auch in einer Mahltradition, die im alten Israel und dem Judentum breit verwurzelt ist und zugleich über Israel hinaus mit den Kulturen und Religionen anderer Völker verbindet.“ (H. Halbfas, Die Bibel, S.392)
Wenn dieses denkwürdige gemeinsame Essen vor seiner Verhaftung in die jüdische Mahltradition einzuordnen und auch nur so zu verstehen ist, dann ist davon auszugehen, daß Jesus das Brot nicht in seinen Leib und den Wein nicht in sein Blut verwandeln wollte. Denn diese Vorstellung widerspricht dem orientalisch-jüdischen Bluttabu, dem Jesus unterworfen und verpflichtet war. Das Blut war „bei den Semiten so stark tabuisiert, daß niemand auf die Idee verfallen könnte, es handle sich im Kelch tatsächlich um „wirkliches“ (also „verwandeltes“) Blut. Also hat dort niemand Blut trinken wollen oder können, schon gar nicht beim Abendmahl, wo das Blut Jesu noch nicht einmal vergossen war.“ (Peter Trummer, S.133)
„Die ursprünglich jesuanische Deutung: Das ist mein Leib bezieht sich nicht auf das Brot, sondern auf die Anwesenden, oder noch genauer: auf deren Tun. Ihr gemeinsames Essen wird von Jesus als der symbolische Aufbau seines Leibes gedeutet. ... Die damit angesprochene Metapher „Leib Christi“ bezieht sich auf die Leibhaftigkeit der ihn bildenden Menschen“. (Peter Trummer, S 137)
J. Kremer, Prof. für neutestamentalische Exegese an der Universität Wien, weist darauf hin, daß die sogenannten „Einsetzungsworte“ uns originär nicht überliefert sind: „In den letzten Jahrhunderten wurden sie nicht selten als rein urkirchliche bzw. jüngere Bildungen (möglicherweise sogar ohne Bezug zum letzten Mahl Jesu) abgewertet. ... Angesichts des biblischen Befundes ist es kaum noch möglich, die ursprüngliche Fassung der Abendmahlsworte zu rekonstruieren. Mehrere Exegeten sehen mit guten Gründen im eschatologischen Ausblick von Mk 14,25 par. das einzige mit Sicherheit zu eruierende ureigene Wort Jesu beim letzten Mahl vor seinem Tod: Amen, ich sage euch, ich werde von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken, bis zu jenem Tag, wenn ich es neu trinken werde in der Königsherrschaft Gottes.“ (J.Kremer, Stimmen der Zeit, Heft 11, S. 777)
Die Eucharistie ist von den frühen christlichen Gemeinden auch keineswegs so verstanden worden, „im Brot Jesus oder Gott zu essen. ... die berichtete Geste und Ausdeutung Jesu beziehen sich aus ihrem ursprünglichen kulturellen und sprachlichen Zusammenhang gar nicht auf zu verwandelnde Objekte, sondern auf die durch das gemeinsame Essen und Trinken entstehende christliche Gemeinschaft, welcher der Charakter eines leibhaftigen Bundes zugesprochen wird. ... nicht Brot und Wein als solche, sondern das gemeinsam erinnernde Essen und Trinken sind das Wesentliche am Sakrament.“ (P. Trummer, S. 137)
Das Besondere bei Jesus war seine Intention „durch die Tischgemeinschaft Fremdheit und Vorbehalte zu überwinden und Gemeinschaft zu stiften. Das Mahl gilt Jesus wie seinem Volk und den alten Kulturen als heilig. Es ist ein Ort der Versöhnung.“ Nicht das Brot und der Wein sollte verwandelt werden, sondern die Menschen, die gemeinsam am Tische sitzen. Das im Judentum verwurzelte jesuanische Eucharistieverständnis sollte konsequenterweise dazu führen, die „Kontakte, wo sie überhaupt noch möglich sind, vor allem zu Menschen jüdischen Glaubens zu suchen. Diese erscheinen sogar dringender als solche zu anderen Kirchen, auf die allein sich eine christliche Ökumene nicht beschränken kann. Auch mit den Muslimen finden sich z. B. in der Gastfreundschaft Sarahs und Abrahams (Gen 18) „genealogische“ Anknüpfungspunkte für eine ökumenische Praxis christlicher Eucharistie, die von ihrem Wesen her immer für alle Menschen, und zwar unterschiedslos gefeiert wird. Ebenso gibt es zwischen dem „Erleuchteten“ (Buddha) und dem „Gesalbten“ (Christus als Übersetzung für Messias) eine geistliche Verwandtschaft, die nach gelebtem Ausdruck verlangt. Überhaupt gilt: Je näher wir der numinosen Mitte alles Religiösen kommen, umso unbedeutender werden die konfessionellen Unterschiede. Denn es geht letztlich immer um das oder den Gegenüber aller Menschen, unabhängig von jeder religiösen Sprachverwirrung.“ (P. Trummer, S. 171-172)
Diese Einbeziehung des Fremden in das eucharistische Denken mag nicht für jeden nachvollziehbar sein, wird aber verständlich, wenn wir den Argumenten des Neutestamentlers Peter Trummer (2) folgen und die Eucharistie auf die alltägliche menschliche Tischgemeinschaft reduzieren, in der nicht das Brot, sondern der teilnehmende Mensch verwandelt werden soll. „Paulus bringt es in 1 Kor 12,27 einfach und klar auf den Punkt: Ihr aber seid Christi und als Teil (gesehen) Glieder. Nach Paulus entsteht dieser „Leib Christi“ nicht erst durch die Eucharistie, sondern ist von Anfang an vorgegeben. Denn wir werden bereits in einen Leib hineingetauft ... und alle mit einem Geist getränkt, ohne Unterschied unserer (religiösen) Herkunft und des sozialen Status (1 Kor 12,13). Das sagt Paulus nicht irgendwo, sondern in unmittelbarer Auslegung und Weiterführung seiner Überlieferung vom Abendmahl. Also ist es in seinem Sinne richtiger und überzeugender, den Vergleich mit dem Leib Christi so anzustellen, dass aus vielen Gliedern (Mit-gliedern) so etwas wie ein funktionierendes Ganzes, nämlich ein Leib entsteht.“ (Peter Trummer, S.145)
Es sollte nicht verschwiegen werden unter welchen Umständen im Jahre 1215 durch das 4. Laterankonzil die sogenannte Transsubstantiation, die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut definiert wurde. Um diese neue Lehre zu untermauern, reichten die philosophischen und theologischen Erklärungen offensichtlich nicht. „Sie brauchten massivere Unterstützung, und eine solche fand sich auf Bildern mit durchbohrten Hostien, in aufwallenden Blutreliquien und dergleichen mehr. Es war insgesamt doch schon eine sehr merkwürdige Mischung aus Unwissenheit (hinsichtlich färbender Pilzkulturen), Wundersucht und bewußter Täuschung, womit die neue Lehre durchgesetzt werden sollte."
Auch der Ablauf der Eucharistiefeier ist kritisch zu hinterfragen und verlangt nach einer Korrektur. „Kein Teil des Gottesdienstes (kann) ungefragt so bleiben wie bisher, auch nicht die so genannte Opferung nach dem Wortgottesdienst. Offiziell heißt sie jetzt zwar Gabenbereitung, doch die begleitenden Gebete reden weiterhin unbeirrt vom Opfer. ...“ (Peter Trummer, S. 21)
Hinter diesen Messopfertheorien steht das verhängnisvolle Erklärungsmodell des Anselm von Canterbury aus dem 12. Jahrhundert, der in der Menschwerdung Gottes eine notwendige Satisfaktion Gott gegenüber sieht. Der durch den Menschen unendlich beleidigte Gott kann nach Anselm von keinem Menschen versöhnt werden. Einzig sein Sohn, ihm gleich, kann ihm Satisfaktion bieten. Wenn er stirbt, ist Gott mit dem Menschen wieder quitt. „Doch mit Fug und Recht protestieren Menschen von heute gegen ein Gottesbild, dessen Barmherzigkeit nach Anselm die Züge eines irren Despoten trägt, der „Gnade“ walten läßt, indem er einen „Freiwilligen“ in den Tod schickt. Einem Gott jedoch, der strafen müßte, um wieder lieben zu können, ist nie und nimmer mehr zu trauen. Dann wäre Atheismus allemal besser.“ (Trummer, S. 23).
Die Theologie ist von diesem schrecklichen Gottesbild noch nicht gänzlich abgerückt, aber allmählich setzt sich doch immer mehr die Meinung durch, daß Jesus nicht das Opferlamm war, das zur Schlachtbank geführt wurde, sondern daß er mit seinem Tod bis zur letzten Konsequenz für seine Sache eingestanden ist und so seine Glaubwürdigkeit bezeugt hat.
Dieser einmalige Tod ist nicht wiederholbar. Daher wird bei der Eucharistiefeier bzw. beim Abendmahl nichts mehr geopfert und der Begriff „Meßopfer“ sollte der Vergangenheit angehören. Wir begehen in der Eucharistie und in der Abendmahlsfeier vielmehr das Gedächtnis an Jesus, der uns in seiner Botschaft den versöhnlichen und liebenden Gott gezeigt hat.
Jesus war wie alle großen Religionsstifter ein außergewöhnlicher Mensch mit prophetischer Gabe. Seine Größe besteht darin, daß er uns Menschen eine von vielen Perspektiven aufgezeigt hat unser Dasein zu deuten und zu bewältigen. Sein Kreuzestod war die konsequente Fortführung seiner Botschaft und das konsequente Einstehen für sein Tun, aber kein Opfertod und kein Sühnetod.
Das hier aufgezeigte Jesusbild und die Interpretation des Abendmahls sind „lebbarer“ und „erfahrbarer“ als der vergöttlichte Christus und die „magische Verzauberung“ von Brot und Wein in Fleisch und Blut. Vor allem könnte durch diese Eucharistiedeutung die „tiefste Wunde der Christenheit“, nämlich die skandalöse Mißachtung der Bitte Jesu um die Einheit aller (Joh 17,11,21 ff), geheilt werden.
Die hier vorliegende Argumentation sollte nicht einfach als Unglaube oder als „Patchwork-Religiosität“ abgetan und verworfen werden. Der Versuch einer kritischen Aufarbeitung unseres „Kinderglaubens“ bietet die Chance, einen neuen Zugang zum christlichen Glauben zu finden.
Literatur:
1. Hubertus Halbfas, Die Bibel, 2001, Patmos
2. Peter Trummer, „...dass alle eins sind“, Neue Zugänge zu Eucharistie und Abendmahl, 2001, Patmos,
3. Jacob Kremer: Eucharistie und Abendmahl, Überprüfung einer Neuinterpretation an Kor. 11,17-34 (Stimmen der Zeit, Heft 11, 2002, S.767-780)