Des Teufels Kardinal
von Trebron Atoceip
Der Photograph, schon weit über 60 und Professor im Bereich Photographie, merkte es als erster und vorerst einziger, als er das Photo entwickelt hatte. Er, der aberzählige Photos gemacht, betrachtet und analysiert hatte, erschrak zu Tode. Er hatte den Satan fotographiert. Der saß da, selbstgefällig und entspannt, spielte mit der Kette, an der das große Kreuz mit dem Gekreuzigten hing.
Es war der Kardinal. Ein Schnappschuß, wie er millionenfach entstand. Als der Photograph dieses Bild, vergrößert auf 18x24, in den Händen hielt, erbebte er bis aufs Innerste. Er hatte ein halbes Jahrhundert gelernt und dreißig Jahre gelehrt, Gesichter, Hände und Körpersprache des photographierten Menschen zu entschlüsseln; er beherrschte die Kunst durch Lichteinsatz, Kontrast und die Findung der rechten Perspektive, dem portraitierten Menschen durch das Photo die Persönlichkeit zu geben und diese auszudrücken, die er war. Nie war es ihm ganz gelungen. Nie stimmte alles. Immer gaben Winzigkeiten den Ausschlag, daß die Wesenheit des Menschen verfälscht wurde.
Und jetzt dieser teuflische Schnappschuß. So mußte Goethe Mephisto erspürt haben. Und er, ohne Absicht, aus Zufall mit seinem Teleobjektiv, hatte das Diabolische photographiert - ohne es zu ahnen, und erst durch die Vergrößerung auf Papier war es zu erkennen. Er, der nie gläubig gewesen war, der eher die Kunst für Gott gehalten hatte, wußte in diesem Augenblick um den Widersacher Gottes - und damit auch um Gott.
Gott hatte bei der Schaffung des Kardinals geplant, daß dieser Junge mit einem IQ von 103 im 20. Jahrhundert ein untergeordneter Sachbearbeiter werden sollte. Unverheiratet, ein Eigenbrödler, Sprache und Spiritualität durchschnittlich befähigt. Auch so wäre ein noch passables Mitglied der industriellen Gesellschaft aus ihm geworden.
Aber dem Teufel gelang eines seiner Meisterstücke. Die Frömmigkeit dessen Vaters ausnutzend, gelang es ihm, im Kardinal mäßige Begabung mit scheinbarer Frömmigkeit, demütiges Verhalten und erbittertes Allmachtsstreben zu verbinden. Und so gelang ein unaufhaltbarer Aufstieg bis zum Kardinal.
Dieser Mensch, der so teuflisch verführt, eine in Teilen der Kirche angesehene Person war, wußte um die Aufgabe, die der Teufel ihm zugedacht hatte, natürlich nicht. Bei einer solchen Einfältigkeit konnte er sich ja auch nicht selber hinterfragen oder durch andere lernen. Denn er war ja der Kardinal, etwas Besonderes, von Gott auserwählt; er war Bischof, seine Priester hatten ihr Gewissen an der Garderobe abzugeben. Er, der Hirte seiner Schäfchen. Er hatte ihnen den Weg zu weisen und sie, die Schafe, hatten nur zustimmend zu blöken. Kritik und Selbstkritik waren Dinge des Teufels, die Kirche und die Hirten hatten immer recht.
Nicht die Worte des Neuen Testamentes und der Geist, der aus Jesus sprach, nicht das Fünkchen Gottes, das Gewissen, das in jedem Menschen wohnt, sollten den Menschen führen - nein, er, des Teufels Kardinal, war die Kirche und wer ihm nicht folgen wollte, sollte gehen!
Und so schrieb der Photograph, nachdem er Wochen und Monate über seine Entdeckung nachgedacht und zum erstem Mal in seinem Leben zu beten angefangen hatte, ganz groß auf ein großes weißes Plakat:
Das Meisterstück des Satans ist des Teufels Kardinal