Die evangelischen Ämter sind gültig
Wolfgang Sabel
Der diesjährige evangelische Kirchentag in Frankfurt hat die Problematik der christlichen Ökumene in seiner ganzen Bandbreite nochmals ins öffentliche Bewußtsein gebracht und das weite Auseinanderklaffen der christlichen Kirchen sichtbar gemacht. Dabei stand die Möglichkeit einer baldigen Eucharistiegemeinschaft ganz im Vordergrund. War diese vor wenigen Monaten noch greifbar nahe, so rückte sie kurz vor dem Kirchentag in weite Ferne und wird auch auf dem ökumenischen Kirchentag in Berlin nicht Wirklichkeit werden, obwohl es für die gesamte Christenheit von unschätzbarem Wert wäre und eine nicht unerhebliche Auswirkung auf die nichtchristliche Welt hätte.
Man gewinnt den Eindruck, daß auf beiden Seiten eine reale Ökumene ernsthaft nicht gewollt wird. Die verbale Ökumene ist zwar gewaltig, die reale Ökumene eher kläglich. Ist ein theologisches Problem gelöst, kommen neue Einwände, die Forderungen werden immer höher geschraubt, und ein Ende wird nicht sichtbar. Dabei hat die katholische Kirche zunächst die größere Bringschuld. Denn sie ist aufgrund ihres desolaten Zustandes zur Zeit der Reformation Hauptverursacherin der Trennung.
Wenn die Eucharistiegemeinschaft wirklich der dringende Wunsch des Religionsstifters gewesen und heute noch ist, dann sollte die Religionsgemeinschaft alles daran setzen, diese Mahlgemeinschaft in die Tat umzusetzen, wenn sie das Evangelium ernst nimmt. Es gibt keinerlei Gründe, außer kleinmenschlicher Machtsucht, den gläubigen Menschen die Eucharistiegemeinschaft zu verweigern. Vergessen wird, wer zum Gastmahl einlädt. Nicht der Papst, nicht der Bischof, nicht der Pfarrer, sondern Jesus Christus ist der Herr der Eucharistie. Er ist es, der uns Christen gemeinsam an seinen gedeckten Tisch bittet.
In einer Zeit des zunehmenden Schwunds einer christliche Weltsicht, ist ein gespaltetes Christentum und eine zerstrittene christliche Theologie ein Armutszeugnis vor den Augen der nichtchristlichen Welt und kein Katalysator zur christlichen Bewußtseinsbildung. Unsere Glaubwürdigkeit leidet Schaden. „Sollte auf Dauer“, schreibt Johannes Brosseder „Abendmahlgemeinschaft mit den reformatorischen Kirchen nicht möglich sein und sollten die Bedingungen für sie immer höher geschraubt werden, führt dies nicht nur zu einem ökumenischen Glaubwürdigkeitsverlust des eigenen Eucharistieverständnisses, sondern auch in der katholischen Kirche zu einem folgenschweren Verlust des sakramentalen Lebens, da sich die in der Ökumene vertretenen Anforderungen und Bedingungen an die Feier des Brotbrechens in der eigenen Kirche nicht verschweigen lassen. ...“
Wenn es tatsächlich so sein sollte, daß der Glaubende in der Eucharistie Gemeinschaft mit Christus hat, dann ist die Eucharistie die Quelle und die Stärkung des christlichen Lebens überhaupt. Dann ist dieses Mahl nicht Belohnung für ein frommes, heiliges Leben, sondern Stärkung und Wegzehrung für den schwachen, gebrechlichen, sündigen Menschen, der sich auf die Suche nach Gott auf den Weg gemacht hat. Diese Wegzehrung darf deswegen nicht am Ende des Versöhnungsprozesses stehen. Unterwegs sind wir auf sie angewiesen. Ohne diese Stärkung erreichen wir nicht das Ziel.
Eine der strittigsten Fragen ist die Gültigkeit des evangelischen Amtes. Nach katholischer Sicht hat das Amt nur Vollmacht durch die lückenlose apostolischen Sukzession. Die Ordination zum Amt geschieht ausschließlich durch die bischöfliche Handauflegung. Diese bischöfliche Handauflegungskette läßt sich nach katholischer Meinung wie eine Pipeline zu den Aposteln zurückverfolgen.
Nach dem heutigen Forschungsstand (Brosseder, Quadt u.a.) hat es diese historisch apostolische Sukzession, auf die die katholische Kirche so großen Wert legt und von ihr die Gültigkeit des Amtes abhängig macht, historisch nicht gegeben. Brosseder schreibt dazu: „Die Vorstellung, Jesus habe im Abendmahlssaal das Amt der Kirche eingesetzt, die Apostel als Vorsteher künftiger Eucharistiefeiern bestimmt, die dann ihr Amt den Bischöfen weitergegeben hätten, hält dem neutestamentlichen Befund nicht stand. Hinzu kommt, daß dann zusätzlich noch eine historische Lücke von über zweihundert Jahre fehlender Bischofslisten glaubend geschlossen werden muß, wozu überhaupt kein Anlaß besteht. Der Glaube kann zwar Berge versetzen, aber nicht ohne weiteres historische Lücken überbrücken und historische Fakten schaffen, für die es nicht den geringsten Beweis gibt. Weiter kommt hinzu, daß eine lückenlose sogenannte historisch verstandene apostolische Sukzession des bischöflichen Amtes auch zum Beispiel noch in der Reformationszeit nicht bestanden hat. Mehr als die Hälfte der Kölner Erzbischöfe im 16. und zu Anfang des 17. Jahrhunderts, in anderen Bistümern sieht das nicht sehr viel anders aus, waren noch nicht einmal ordiniert, so daß auch hier eine lückenlose Kette von Handauflegungen, durch die das bischöfliche Amt ununterbrochen weitergegeben wurde, eine rein dogmatische Wunschvorstellung ist, die den geschichtlichen Fakten nicht standhält.“
Wenn die apostolische Sukzession in der historischen Handauflegungskette ihre eigentliche Bedeutung hätte, hätte das zur Folge, daß viele katholische Bischöfe und Pfarrer, vielleicht sogar der Pfarrer der eignen Pfarrei, gar nicht gültig ordiniert wäre und damit keine gültige Eucharistiefeier durchführen könnte. Dieses Beispiel zeigt, wie unsinnig das Pochen auf eine ununterbrochene Handauflegung ist. Ist aber die historisch apostolische Sukzession nicht gegeben, und trotzdem die Gültigkeit des katholischen Amtes nicht anzuzweifeln, dann beruht die apostolische Sukzession in einem übertragenen Sinne, nämlich in der ununterbrochenen Weitergabe und Bewahrung der apostolischen Glaubenssubstanz und die Handauflegung hat somit lediglich nur symbolischen Charakter.
Da diese Weitergabe und Bewahrung der apostolischen Glaubenssubstanz unbestritten auch in der evangelischen Kirche vorhanden ist, muß folglich das evangelische Amt die gleiche Gültigkeit wie das katholische Amt haben. Dann hat bei gleicher Gültigkeit der Ämter Abendmahl und Eucharistie die gleiche Wertigkeit. Einwände gegen eine gemeinsame Eucharistiefeier sind gegenstandslos.
Anno Quadt, kath. Theologe, sagt in einer kritischen Stellungnahme zu „Dominus Jesus“: Mit der Klärung der Amtsfrage klärt sich grundsätzlich auch die Frage der gültigen Eucharistiefeier in den evangelischen Kirchen. Die „vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums“ (Nr.17), also die Gültigkeit, wird in der vatikanischen Erklärung den evangelischen Kirchen abgesprochen. Dies wiederum mit Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil. Das Zitat ist ein Konzilstext, der das „Nichtbewahrthaben“ der „vollständigen Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums“ mit dem „Defekt“ des Ordinationssakraments begründet („propter sacramenti Ordinis defectum“, UR, Art. 22.). Hier wie bei der Frage der „apostolischen Sukzession“ gilt die gleiche Einstufung bzw. Beurteilung des Textes. Weder das Konzil noch die Erklärung „Dominus Jesus“ berücksichtigen den neueren Forschungsstand. Während es jedoch zur Zeit der Entstehung des Konzilstextes diesen Forschungsstand auf katholischer Seite so noch nicht gab, wird er in der Erklärung „Dominus Jesus“, obwohl vorhanden, nicht berücksichtigt.“
Anno Quadt fährt fort: „so wie sich aus dem gegenwärtigen Forschungsstand ergibt, daß die evangelischen Ämter gültige Ämter sind, so ergibt sich, dass die Feier der Eucharistie in den Evangelischen Kirchen eine gültige Feier ist.“
Bei der Wichtigkeit des Themas ist es schon verwunderlich, daß diese Forschungserkenntnisse von den entscheidenden Stellen nicht zur Kenntnis genommen und schlicht ignoriert werden. Theologie ist unter anderem auch eine Wissenschaft, die ernsthaft betrieben, das Risiko in sich trägt, nicht voraussehbare und nicht immer angenehm passende Ergebnisse zu bringen, die aber Konsequenzen verlangen, auch wenn diese für die Kirchen unangenehm sind. Bei aller Diskussion über Sinn und Zweck der Ökumene sollten wir aber eines nicht vergessen: „Die Kirchen haben ihre Gemeinschaft unter dem Kreuz Jesu Christi, weil sie Gemeinschaft mit Jesus Christus haben. Er bringt zusammen und versöhnt, was Menschen getrennt haben. Auf dem Weg zu ihm können die Kirchen sehen, daß er schon längst mitten unter ihnen weilt und sie alle an seinen Tisch lädt. Seine Einladung annehmen, heißt glauben. Mit den Augen des Glaubens aber den anderen anschauen, heißt entdecken, daß die Kirchen das längst haben, was sie suchen, nämlich ihre ihnen geschenkte Gemeinschaft im Kreuz Christi. Auf nichts anderes als den Glauben zielt die Predigt des Evangeliums, die durch die Kirchen geschieht und auch ihnen selbst gilt.“ (Johannes Brosseder)
Zitierte u. weiterführende Literatur:
Johannes Brosseder: Reformatorischer Rechtfertigungsglaube und seine Kraft im ökumenischen Gespräch der Gegenwart, Lembeck,1999
Anno Quadt: Evangelische Ämter: gültig – Eucharistiegemeinschaft möglich, Grünewald, 2000
Herbert Haag: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, Herder, 2000