Ein Brief des Ultramontanus an seinen Erzbischof
Oberberg, den 15. Sept. 1998
Hochzuverehrende, exzellente Eminenz,
wenn es stimmt, dass Kleider Leute machen, so trifft das auf Sie in besonderem Maße zu, verehrte Eminenz. Von den herrlichen Bildern beim Domjubiläum in der Kirchenzeitung, die Sie im vollen Ornat – ganz in Rot – zeigten, war ich als einer von hinter den Bergen ganz begeistert. Wo sieht man bei uns so farbenprächtige Gewänder. Wir haben hier hinter den Bergen zwar auch einen, aber der hat nur violette Knopflochentzündung. Mit Ihnen kann er sich in keiner Weise vergleichen. Ich behaupte einmal, dass manches Model auf Ihre prächtige Gestalt und Gewandung neidisch ist. Mein Freund, der auch ein echter Hinterbergler ist, fragte mich, als er Ihre rote Gestalt im Kreise der Violetten sah, “was mag nur drunter sein?” Hätte er genauer hingesehen und Ihre rote Socken bemerkt, dann wäre die Frage überflüssig gewesen. “Drunter” ist es natürlich rot.
Wo in unserer Gesellschaft findet man noch Schönheiten von Ihrer Stattlichkeit? Jesus selber war zwar äußerst einfach gekleidet und er war kein Kardinal. Aber was heißt das schon? Die Zeiten haben sich eben geändert. Als Repräsentant einer triumphierenden Kirche kann Ihr Kleid nur rot sein. Jeder muss sehen, dass Sie aus der Masse herausgehoben sind.
Unserem Besuch aus dem Land Brandenburg gingen die Augen über, als sie im Fernsehen Sie in Rot im Kreise von roten und violetten Begleitern sahen. Die Dame rief, “wo haben die nur die herrlichen Kostüme her?” “Verrat mir, wo kann man die ausleihen? Ich benötige so etwas für unseren Weihnachtsmann.” Trotz größter Mühe, verehrte Eminenz, gelang es mir nicht, sie davon zu überzeugen, dass das Ihre Berufskleidung ist.
Ich persönlich als Ultramontanus war von der Herausstellung des Dreikönigschreins ganz hingerissen. Ich ließ mich in meiner Begeisterung auch nicht von denen abbringen, die da sagten: “Warum stellt man die “Knochen” der sogenannten heiligen drei Könige so in den Vordergrund, das waren doch nur “allegorische Figuren”. Ablässe werden gewährt beim Gebet am Schrein, aber die Barmherzigkeit in der Kirche bleibt außen vor. Wäre ein Vergeben in dieser Zeit des Jubiläums nicht ein Zeichen großer Barmherzigkeit. Man erinnerte mich an die Probleme der Geschiedenen und Wiederverheirateten, an die Priester, die aus dem Amt schieden.” Sie glauben nicht, verehrte Eminenz, was man sich sogar erdreiste zu behaupten: Die Kirche rede zwar viel von Barmherzigkeit, aber sie handle nicht danach. Sie könne es nicht wagen, zu vergeben, dann verliere sie die Macht über die Seelen der Menschen.
Vielleicht können Sie oder Ihr Nachfolger beim nächsten Domjubiläum in fünfzig Jahren ein entsprechenden Akt der Barmherzigkeit für die großen Sünder in der Kirche beim Papst beantragen. Wird das eine Freude für unsere Kindeskinder sein.
In diesem Sinne grüßt Sie
Ihr Ultramontanus
W. Mickiewicz