Eine Kirchenverfassung
von Oswald Stein
Eine Verfassung für die katholische Kirche! Für manche mag das etwas seltsam, wenn nicht gar abwegig klingen. Schließlich haben wir ja einen Papst, der dafür sorgt, dass die Kirche sich in rechten Bahnen bewegt. Andere mögen einwenden, die Kirche sei mit der Verkündigung des Evangeliums beauftragt und dafür bedürfe es keiner Verfassung.
Dennoch hat die amerikanische Association for the Rights of Catholics in the Church (ARCC) eine solche Neuerung angeregt und eine kleine Kommission unter der Federführung von Leonard Swidler, Professor für katholisches Gedankengut und interreligiösen Dialog an der Temple University in Philadelphia, beauftragt, eine Verfassung zu entwerfen. Inzwischen wurde der Entwurf mehrfach überarbeitet unter Mitwirkung weiterer Katholiken aus den Vereinigten Staaten und mehreren europäischen Ländern. In Deutschland hat sich die Initiative Christenrechte in der Kirche in dieser Arbeit engagiert. Der Entwurf liegt nun auf deutsch, englisch, französisch und tschechisch vor.
Auf eine kurze Formel gebracht, kann man sagen, es werde versucht, die längst überfällige Demokratisierung der katholischen Kirche nachzuholen. Man hört oft, Demokratie lasse sich nicht aus dem Neuen Testament ableiten. Mag sein. Aber der autoritäre Zentralismus, mit dem die Kirche heute geleitet wird, kann eine solche Legitimation noch viel weniger beanspruchen. Schließlich heißt es im Galaterbrief: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Und Ähnliches findet sich an vielen Schriftstellen, vor allem bei Paulus. Man muss sich klarmachen, dass die heutige De-facto-Verfassung der Kirche nicht auf Vorgaben des Evangeliums fußt, sondern das Ergebnis eines langen geschichtlichen Prozesses ist. Und dieser Prozess kann och nicht abgeschlossen sein. Der Verfassungsentwurf zeigt auf, wie er weitergehen könnte.
Der Entwurf stellt zunächst „Menschliche Grundrechte“ dar, die selbstverständlich auch innerhalb der Kirche gelten, ja dort einklagbar sein müssen, und fügt dann „Rechte und Pflichten Getaufter“ hinzu. Zu letzteren Rechten gehören u. a. das Recht, „alle Dienste in der Kirche auszuüben, für die sie angemessen vorbereitet wurden, je nach den Bedürfnissen der Gemeinden und mit deren Zustimmung oder Beauftragung“ sowie das Recht katholischer Frauen „auf Gleichbehandlung mit Männern bei der Zuweisung materieller Hilfsmittel und Vollmachten in der Kirche“.
Der Abschnitt „Strukturen der Lenkung und Verwaltung“ besteht auf dem Grundsatz der Subsidiarität, dem Grundsatz also, daß übergeordnete Instanzen nur dann Entscheidungen an sich ziehen dürfen, wenn sie auf einer untergeordneten Ebene nicht gefällt werden können. Darauf baut sich eine Abfolge von gewählten Räten auf der lokalen, der diözesanen, der nationalen und der universalen Ebene auf, in denen jeweils das Prinzip „eine Person, eine Stimme“ gilt. Die genannten Ebenen finden sich auch bei den Leitungsämtern. Dabei gelten für die Ämter drei von der heutigen Praxis abweichende Grundsätze:
1. Alle Amtsinhaber werden gewählt.
2. Ihre Amtszeit ist zeitlich begrenzt (für den Papst wird eine Amtszeit von 10 Jahren vorgeschlagen).
3. Alle Ämter stehen sowohl Frauen als auch Männern offen.
Schließlich ist ein System kirchlicher Gerichte vorgesehen für den Fall, dass „Verfahren der Versöhnung und Schlichtung“ bei Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche nicht zu einer Einigung führen. Auch damit muss man realistischerweise rechnen. So wird dann Gewaltenteilung, die im staatlichen Bereich seit langem zum Grundbestand des Gemeinwesens gehört, auch in der Kirche etabliert.
Man sollte eine Verfassung nicht überfordern. Die beste Verfassung ist kein Ersatz für Verkündigung. Aber sie kann Hindernisse wegräumen, die der Verkündigung im Wege stehen. So dürfte eine ihrer wichtigsten Funktionen sein, Machtmissbrauch zu verhindern oder wenigstens auf ein geringes Maß zu reduzieren. Und dass das in der Kirche bitter nötig ist, hat sich gerade in letzter Zeit immer wieder deutlich gezeigt.
Nähere Informationen –z. B. der aktuelle Verfassungsentwurf- sind erhältlich bei Oswald Stein, Lerchenweg 2a, 61462 Königstein
Der Verfassungsentwurf kann auch aus dem Internet abgerufen werden unter:
http://www.we-are-church.org/announcements/germconst.htm