„Eisenstädter Erklärung“

Eine Einladung zum Gespräch über die weitere Arbeit an der Kirchenreform—Presseaussendung / 12.10.2000

Fünf Jahre nach dem „Kirchenvolks-Begehren“ von 1995 ist eine Wegstrecke zurück gelegt, die zum Verweilen einlädt: Rast auf einem langen Weg zu einer inneren und äußeren Reform der römisch-katholischen Kirche. Der Text der jetzt entstandenen „Eisenstädter Erklärung“ will nicht so sehr Programme proklamieren, sondern versteht sich als Anregung zur Kreativität und Weiterarbeit, als ein Atemholen auf dem weiteren Weg zur Kirchenreform. In drei Schritten soll diese notwendige Selbstbesinnung erfolgen:

· Wir halten es für nützlich, in einer „Außerstreitstellung“ alle jene Dinge zu benennen, die uns in Einmütigkeit mit der gesamten Kirche und mit der Kirchenleitung verbinden.

· Wir wollen in aller Freimut unser Kirchenbild beschreiben und es jenem gegenüber stellen, das wir im Alltag der Kirche erleben.

· Wir wollen die wichtigsten Vorschläge anführen, die wir mit unseren Reformbemühungen verbinden.

Die Forderungen des „Kirchenvolks-Begehrens“ werden in unserem Land von breiten Mehrheiten akzeptiert und sind inzwischen weltweit in Diskussion. Wir wollen sie deshalb nicht bloß wiederholen, sondern einige konkrete Vorschläge zur Durchführung einer allgemeinen Kirchenreform machen:

1 Eine Kirchenverfassung

In den meisten Gemeinschaften, vor allem in den großen Zusammenschlüssen der Staaten und überstaatlichen Organisationen, gibt es Konstitutionen, Statuten und andere Grundsatzdokumente, die in wenigen Sätzen Prinzipien, Grundrechte und -pflichten festschreiben. Unsere Kirche besitzt zwar ein umfangreiches, vom Papst erlassenes Kirchenrecht, jedoch keine Konstitution, die auch für Bischöfe und Papst verbindlich Christenwürde, Christenrechte, Christenpflichten und eine umfassende Gewaltentrennung ausspricht. Und das in wenigen allgemeinverständlichen Sätzen. Eine solche - auch die wichtigsten Linien der Kirchenordnung festlegende - Magna Charta des katholischen Christseins ist zu wünschen.

2 Ein ökumenisches Petrusamt

Der gegenwärtige Papst selbst hat die Christenheit aufgefordert, über die Zukunft des Papstamtes nachzudenken, sodass auch die Christinnen und Christen anderer Kirchen in einer Gemeinschaft mit diesem Papst Raum fänden. Das wäre möglich, wenn der Papst seine Leitungsgewalt an Teilkirchen delegiert und sich selbst auf die Förderung der Einheit und die Darstellung der Einmütigkeit beschränkt. Eine erste evangelische Antwort auf diese Einladung enthält bereits eine mögliche Wegweisung: Nicht unter dem Papst - aber mit dem Papst. Ein solches erneuertes Petrusamt gäbe dem Inhaber auch die Möglichkeit, bei Konflikten zu versöhnen, statt zu polarisieren.

3 Wiederbelebung der Patriarchate

Eine von vielen Teilkirchen gewünschte Dezentralisierung der Kirchenleitung könnte nach einem frühchristlichen Vorbild realisiert werden: Wie in den alten Patriarchaten sollte - in einer auf die Weltkirche angewandten Form - die Repräsentanz der Gesamtkirche auf mehrere Amtsträger aufgeteilt werden. So würden - sozusagen als Stellvertreter und Sprecher des Papstes - in den verschiedenen Kontinenten oder Subkontinenten Patriarchen (unter einer frauenfreundlichen Bezeichnung) das Amt der Einheit wahrnehmen, regionalen Synoden vorsitzen, Konflikte schlichten und die Verbindung mit dem Papst und der Weltkirche erleichtern. Die Ausweitung der Kirche im letzten Jahrhundert und die Globalisierung der Welt in den letzten Jahren begründen eine solche Dezentralisierung und Delegierung päpstlicher Kompetenz nach unten.

4 Eine neue synodale Praxis

Die nach dem letzten Konzil wiederbelebte Praxis der Diözesan- und Regionalsynoden hat vorübergehend Wichtiges geleistet, die regelmäßig stattfindenden Bischofssynoden für die gesamte Weltkirche ebenfalls. Beide Einrichtungen wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend entmündigt und vor allem von römischen Zentralstellen in ihrer Kreativität und Entscheidungsfreiheit eingeengt. Voraussetzung für eine wünschenswerte Wiederbelebung wäre wohl, dass man ihre Kompetenz aufwertet. So könnte etwa das päpstliche Vetorecht statt einer aufhebenden Wirkung eine aufschiebende bekommen. Ähnliches gilt für die Kompetenz der Bischofskonferenzen. Damit würde in Konfliktfällen das Gespräch weitergeführt, statt abgebrochen.

5 Frauen - Priester - Sexualmoral

Die weltweit umstrittenen Fragen der Frauenordination, der Priesterehe, der Sexualmoral und der Fortpflanzungsethik sind nicht voneinander unabhängige Einzelfragen, sondern Teile eines bisher unbefriedigend gelösten Gesamtkomplexes: das christliche Menschenbild in seiner Geschlechterdimension. Deshalb soll eine Weltkirchenversammlung - von Frauen und Männern gleichmäßig besetzt - der Gesamtkirche Vorschläge für die Zukunft einer Kirche machen, in der es keine Diskriminierungen nach Geschlecht oder Familienstand mehr gibt.

6 Die dreifache Ökumene

Die Schranken zwischen den Gläubigen verschiedener christlicher Konfessionen sind niedriger geworden, vielfach bereits gefallen. Der zweite Schritt in Richtung auf die monotheistischen Religionen mit gleicher Geschichte von Abraham und Mose her wurde bereits begonnen: Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum und Christentum werden erforscht, historische Schuld der Christenheit wird bekannt. Auch der Islam steht zu uns in nächster religiöser Verwandtschaft. Der dritte Kreis der Ökumene bestünde im Versuch, den Kontakt zu den entfernteren Religionen aufzunehmen, beziehungsweise zu intensivieren. Die Einrichtung eines regelmäßigen ökumenischen Konvents - auf allen drei Ebenen - könnte zu einer überreligiösen Ökumene der Menschen guten Willens führen (ähnlich dem Projekt „Weltethos“ von Hans Küng).

7 Einberufung eines Konzils

Um diese und weitere wichtige Fragen zu klären, wäre im nächsten Pontifikat die Einberufung eines Allgemeinen Ökumenischen Konzils zu wünschen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat gezeigt, wie eine Glaubensgemeinschaft gemeinsame Probleme gemeinsam lösen kann. Die Fragen der Zukunft werden jedoch nicht im Blick zurück geklärt werden können. Deshalb ist die Berufung auf die Texte des letzten Konzils in vielen Fragen der Zukunft vergeblich. Die Spannungen und Gegensätze zwischen dem I. und dem II. Vatikanischen Konzil bestehen weiterhin und sollten auf einer nächsten Kirchenversammlung geklärt werden.

Die „Eisenstädter Erklärung“ wurde dieser Tage u.a. an alle Bischöfe mit der Bitte um Rückäußerung versandt. Der gesamte Text kann bei der Plattform „Wir sind Kirche“, 6111 Volders, Hochschwarzweg 28, Telefon & Fax: 05224-56702, Email: i.thurner@tirol.com angefordert oder von der Internetseite www.we-are-church.org/at abgerufen werden.