Führt der Gesetzesvollzug des Schwangerschaftsschutzgesetzes zur Tötung unschuldiger Menschen?
von Dr. Erwin Bürgel, WsK-Remscheid
Gerade mit dem Argument, die Mitarbeiterinnen kirchlicher Beratungsstellen würden gegen ihre Absicht in den Vollzug eines Gesetzes verwickelt, der zur Tötung unschuldiger Menschen führe, hat der Papst die deutschen Bischöfe aufgefordert, die nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz vorgesehene Beratungsscheine in kirchlichen Beratungsstellen nicht mehr ausfertigen zu lassen. Nach Ansicht des Papstes wird die „positive“ gesetzliche Definition der Beratung im Sinne des Lebensschutzes durch gewisse zweideutige Formulierungen abgeschwächt, was bei einer Fortsetzung der kirchlichen Beratungstätigkeit insbesondere dazu führe, daß die „Freiheit der Kirche“ beeinträchtigt werde.
Die Formulierungen des Papstes in seiner „eindringlichen Bitte“ an die deutschen Bischöfe implizieren, daß der Vollzug des Gesetzes zwangsläufig zur Tötung menschlichen Lebens führt. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Normen zur Konfliktberatung gilt Gegenteiliges.
Es kann nämlich nicht lediglich einseitig das Schwangerschaftskonfliktgesetz betrachtet werden. Dies findet seine Grundlage in § 219 StGB, der seit September 1995 wie folgt lautet: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihre Perspektiven für eine verantwortliche und gewisse Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt ... .“
Die Einzelheiten dieser Grundsätze werden wiederum durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt. Dieses erklärt in § 5 zwar, daß die notwendige Beratung ergebnisoffen zu führen sei, doch soll die Beratung auch nach diesem Gesetz dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen.
Das Gesetz wird somit dadurch vollzogen, daß im Sinne des Lebensschutzes beraten wird und nicht dadurch, daß – wie der Papst dies in seinen Formulierungen unterstellt – menschliches Leben getötet wird.
Wenn es weiter in dem päpstlichen Rundschreiben heißt, die Freiheit der Kirche werde durch die Mitwirkung an der bisherigen Beratungspraxis beeinträchtigt, so ist auch diese These nicht so recht nachvollziehbar. Die Freiheit kirchlicher Verhaltensweisen wird dadurch, daß der Kirche durch den Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet wird – wie andere Organisatoren auch – im Sinne des Lebensschutzes beratend tätig zu werden, nicht im geringsten tangiert.
Gerade die Tatsache, daß nicht jede Beratungsstelle außerhalb der kirchlichen Sphäre den Schutz des ungeborenen Lebens als primäres Ziel ansieht, spricht für ein Verbleiben in der Beratung.
Wenn sich nach den statistischen Erhebungen des Diözesan-Caritasverbandes Köln für das Jahr 1997 mehr als 30% aller Frauen, die sich in eine Schwangerschaftskonfliktberatung begeben haben, für eine Austragung der Schwangerschaft entscheiden, so ist dies ein eindeutiges Argument für die Beibehaltung der bisherigen Praxis.
Unentschiedene Frauen werden in Zukunft keinerlei Veranlassung mehr haben, eine kirchliche Beratungsstelle aufzusuchen, wenn diese Beratung außerhalb oder nur am Rande des Gesetzes erfolgt.
„Der Vollzug“ der dringenden Bitte des Papstes, aus der bisherigen Beratungspraxis auszusteigen, wird im Ergebnis nicht zu mehr, sondern zu weniger Lebensschutz führen.
Auch die Kirche sollte sich der Erkenntnis des BVG aus dem Grundsatzurteil des Jahres 1993 nicht verschließen: „Das Leben des Kindes kann nur mit der und nicht gegen die Mutter geschützt werden.“