Für Sie gelesen
Wolfgang Sabel
„Jesus wollte keine Kirche stiften“ - schreibt Herbert Haag, em. Professor der Universität Tübingen, international geschätzter Bibelwissenschaftler, in seinem neuen Buch „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“ Dort heißt es, „daß es Jesus fern lag, eine neue Religion oder gar schon eine Institution Kirche zu gründen. Vielmehr wollte er eine Gemeinschaft von Jüngern und Jüngerinnen, die bereit waren, mit ihm das Reich Gottes zu leben; denn die Zeit ist erfüllt, die Königsherrschaft Gottes ist da“ (Mk 1,15). Sein Ziel war das gleiche wie das der Propheten Israels. Diese waren Menschen, die in unmittelbarem Kontakt mit Gott standen und seinen Auftrag dem Volk übermittelten. Sie waren überzeugt, ganz persönlich von Gott berufen zu sein. Zu dieser Überzeugung waren sie wohl gekommen, weil sie sensibel und offen im Leben standen, Problemsituationen durchschauten und bereit waren, die verkrusteten, die Menschen einengenden Verhältnisse zu ändern, um sie zu einer größeren inneren Freiheit zu führen.
Jesus fing bei sich selber an. Er schloss sich - offenbar im Unterschied zu seiner Familie – der landesweiten Bußbewegung an, die Johannes der Täufer ins Leben gerufen hatte, bekannte sich vor ihm als Sünder und stieg als Zeichen seines Neubeginns in die Wasser des Jordans. Zur gleichen Umkehr wollte Jesus dann auch sein Volk bewegen. Seinen Zuhörern Gott zu erschließen, ihnen zu zeigen, wie sie miteinander leben und sich so für das Ende bereit halten sollten — darum ging es Jesus. Er wusste sich nur zum jüdischen Volk gesandt, dem er angehörte und das ihn umgab. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels gesandt"“ heißt es deshalb im Matthäus-Evangelium (15,24). Und das verdeutlicht auch die Kurzfassung seiner Predigt, wie sie am Anfang des Markus-Evangeliums zu finden ist: „Jesus kam nach Galiläa, verkündete das Evangelium und sprach: Die Zeit ist erfüllt, die Königsherrschaft Gottes ist da. Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (1,14). Darauf hatte das jüdische Volk über die Jahrhunderte gewartet.
Mit Jesus ist die Zeit Gottes gekommen. Nicht fehlbare Menschen und noch weniger fremde Völker, sondern allein Gott soll über sein Volk herrschen.
Dieses freilich muss das Geschenk annehmen, indem es „umkehrt“, wie Jesus selbst es mit der Johan- nestaufe vorgelebt hat und dem Evangelium glaubt.
Dieses Evangelium enthält nichts Neues. Es ist vielmehr eine Rückkehr zu dem, was die alten Propheten verkündeten und wollten.
Wenn Jesus in der Bergpredigt (Mt 5,21-47) dem „Was zu den Alten gesagt wurde“ sein „ Ich aber sage euch“ entgegenstellte, so soll damit nicht ein neues Gesetz an die Stelle des alten treten. Vielmehr will Jesus eine alte Interpretation des Gesetzes durch eine neue, stimmigere ersetzen.
Jesus dachte nie daran, sich vom Judentum loszusagen. Ihm ging es vielmehr um eine Verinnerlichung des Judentums. Deshalb auch seine klare Aversion gegen den blutigen Tieropferkult, der den Tempel mehr zum Schlachthaus als zum Gebetshaus werden ließ. (Herbert Haag: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu, Herder 2000)