Glaubenszweifel
von Wolfgang Sabel
Hat der Mensch Gott oder hat Gott den Menschen verloren? Braucht der Mensch Gott oder Gott den Menschen?
Gibt es überhaupt eine Transzendenz? Außer der immer wieder in uns auftretenden, durch nichts zu unterdrückenden Sehnsucht nach einem Wesen, das über uns steht, uns immer wieder nach dem Ewigen fragen läßt, uns umtreibt, uns nicht zur Ruhe kommen läßt, haben wir nichts in den Händen, was für die Existenz eines Gottes spricht. Alle Religionen, auch das Christentum, sind Menschenwerk, entstanden aus dieser nicht stillbaren Sehnsucht.
Was ist Religion? “...der ausdrückliche, bewußte und freie Vollzug der wesenhaften Transzendenz des Menschen auf Gott oder das Göttliche hin, die gesamtpersonale Aktuierung dieser Beziehung, die im geistig-personalen Wesen des Menschen immer schon nicht nur angelegt, sondern implizit wirksam ist und den Menschen zum Menschen macht.“1
Aber kann Religion nicht auch nur ein Wunschtraum sein, ein Verlangen nach dem Entrinnen aus der Unvollkommenheit und dem Bedrohtsein unserer menschlichen Existenz, ein in uns evolutionär angelegter Trieb zum Transzendieren, ohne daß es die Transzendenz gibt?
“Theologische Rede erweckt auch heute noch häufig den Eindruck, als habe sie sich nichts anderes zur Aufgabe gemacht, als Gottes erhabene Unschuld vor den Angriffen der gottlosen Welt, der Fragenden und der Zweifler zu retten, indem sie so tut, als könne sie eindeutige Aussagen darüber machen, wer Gott ist, was er denkt oder tut, wie wenn es sich im Falle Gottes um einen selbstverständlichen Gegenstand der äußeren oder inneren Wahrnehmung handeln würde.
Ein solcher Kurzschluß wird noch zusätzlich problematisch, wenn er sich in theologischen Formeln, Lehraussagen, in Dogmen und in einer Fachsprache verdichtet, die Außenstehenden unverständlich bleiben muß.”2
Die Zukunft unserer Kirche wird nicht zuletzt davon abhängen, ob sie bereit ist, auf kritische Fragen und die Zweifel, die Menschen ernsthaft bewegen, ebenso ernsthaft einzugehen und eine zeitgemäße Antwort zu finden.
Religion kann auch gefährlich sein, wenn sie Absolutheit für sich beansprucht. “Weil es um Gott und seinen heiligen Willen geht, legt es sich nahe, auch zeitbedingte Lehren, Gebote und Verhaltensweisen im Namen Gottes absolut zu setzen. Dann aber wird der religiöse Glaube zur falschen Ideologie, zu blindem und starrem, auch brutalem Fanatismus, den wir aus der Geschichte und – leider auch – aus der Gegenwart kennen.”3
Hier sollten wir nicht zu sehr an andere Religionen denken, sondern in erster Linie an das, was das Christentum im Namen Gottes Schreckliches angerichtet hat und heute noch anrichtet. Zwar lodern keine Scheiterhaufen mehr, wo unschuldige Frauen als Hexen verbrannt und Andersdenkende unter schrecklichsten Schmerzen exekutiert wurden, ganze Existenzen werden heute psychisch ruiniert und vernichtet, weil sie von der “wahren Lehre” abweichen.
Viele Christen, die sich am starren Dogmatismus der Kirche reiben, können mit den Offenbarungswahrheiten, die aus einem heute nicht mehr gültigen Zeitverständnis formuliert wurden, nichts mehr anfangen. Das gilt sowohl für die Lehre von der Gottheit Jesu, von der Erlösung der Menschheit am Kreuz und ebenso von der Auferstehung von den Toten.
Ist das Desinteresse an Gott nicht die Folge von den vielen Worthülsen in der Verkündigung der Frohen Botschaft? Glaubensverkündigung ist eben nicht Dozieren, sondern Vorleben der christlichen Lebensinhalte. Dabei stellt sich die Frage, ob die Kirche in ihrer jetzigen starren dogmatischen Institutionalisierung überhaupt noch in der Lage ist, die Botschaft Jesu der heutigen Welt zu vermitteln, was von vielen namhaften Theologen ernsthaft angezweifelt wird.
1 E. Coreth, Mensch und Religion in Quaestiones Disputes Nr. 174, S. 105
2 S. Heine, Heilsphantasien und Fortschrittsglauben in Quaestiones Disputatae Nr.174, S.51
3 E.Coreth, Mensch und Religion in Quaestiones Disputatae Nr. 174, S. 106