Kardinal Meisner und die Pille
Willi Mitzkewitz
"Der Kölner Kardinal Joachim Meisner fordert von den Katholiken den Verzicht auf künstliche Empfängnisverhütung. Die deutschen Bischöfe müßten die ‚Königsteiner Erklärung’ von 1968 korrigieren, die den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel für die Gläubigen ‚gewissermaßen legitimiert’ habe ... Diese Erklärung ... stehe ‚am Anfang einer Kausalkette’, die ‚dem Leben nicht förderlich war’ ... Auch Johannes Paul II. wünsche eine Korrektur der ‚Königsteiner Erklärung’, hebt der Kardinal hervor. Das habe der Papst dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, auch mehrfach in seiner (Meisners) Anwesenheit deutlich gemacht.“ So oder ähnlich ging die Meldung von Kardinal Meisners Forderung durch die Presse. Die Erklärungen des Herrn Kardinals sind wie immer vollmundig und einseitig. Die Probleme der Menschen bleiben außen vor. Es stellen sich im Zusammenhang mit seiner Forderung eine Reihe von Fragen, die bedacht sein sollten.
Die kirchliche Ehelehre ist seit Jahrhunderten belastet durch ein Mißtrauen gegen die menschliche Leiblichkeit, Lust und Sexualität. Das kirchliche Eherecht erscheint oft als Bevormundung und Reglementierung der mündigen Christen. Die Sakramentalität der Ehe wird nicht ernst genommen, in der dem Ehepaar für das gemeinsame Leben besondere Stärkung und göttliche Zuwendung zuteil werden. Genauso wie der Priester in seiner Weihe für ein priesterliches Leben den Beistand Gottes empfängt, so auch Frau und Mann, wenn sie sich gegenseitig das Sakrament spenden. Nur sie haben das unauslöschliche Zeichen dieser Weihe empfangen, das sie für ihre Aufgabe in der gegenseitigen Liebe stärkt und für eine bewußte und verantwortungsvolle Familienplanung befähigt. Die Ehe wird im AT als Bild für die Treue Gottes zu seinem Volk Israel dargestellt und Christus wird im NT unter eben diesem Bild der Ehe in seiner liebenden Zuwendung zum Volk Gottes gezeigt. In der ehelichen Liebe zueinander realisiert sich die Liebe Christi.
Wenn Kardinal Meisner den Hauptzweck der Sexualität -in seinen weiteren Ausführen- in der Weitergabe des Lebens sieht, steht er im Gegensatz zur allgemeinen Meinung der Moraltheologie, die in der gegenseitigen Liebe von Mann und Frau das Hauptziel der Ehe annimmt. Aus dieser Liebesgemeinschaft wächst die Weitergabe des Lebens als Frucht heraus. So gehört die Weitergabe des Lebens in diese Gemeinschaft der Liebe von Frau und Mann und sie haben ihr Tun vor Gott zu verantworten. Diese Verantwortung kann ihnen kein Papst, kein Kardinal abnehmen, denn die Familienplanung vollzieht sich in dieser engen Gemeinschaft.
Auch wenn sich die Eheleute an der Lehre der Kirche orientieren, müssen sie vor ihren Gewissen entscheiden, wie viele Kinder sie verantworten wollen und können. Das subjektive Gewissen der Eltern ist die letzte Entscheidungsinstanz.
Wenn nun immer wieder gegen die „Pille“ polemisiert wird, daß die natürliche Weitergabe des Lebens nicht offen bleibe, ist dieses Argument nicht ehrlich; denn die sogenannte „natürliche Empfängnisregelung“ leistet nichts anderes als die „Pille“, nämlich Empfängnis zu verhüten. Wer den Aufwand kennt, der bei der „na-türlichen Empfängnisregelung“ getrieben werden muß, die Belastung und die Verantwortung werden wieder auf die Frau allein abgeschoben, kann von der „Na-türlichkeit“ nichts erkennen.
Darüber hinaus ist es doch bezeichnend, daß „Zölibatäre“ sich in das ureigenste Gebiet der Eheleute einmischen. Hier müßte man sagen: „Schuster bleib bei deinen Leisten,“ denn die Eheleute empfingen das Sakrament. Oder sollte hier wieder versucht werden, das stumpfgewordene Instrument der Disziplinierung in der Sexualität zu schärfen?
Die Menschen haben sich in der Frage der Empfängnisverhütung längst von der angemahnten Lehre des Kardinals Meisner verabschiedet.
Sollte die Deutsche Bischofskonferenz dem Wunsche Kardinal Meisners folgen und die Königsteiner Erklärung annullieren, in der sie der Gewissensfreiheit der Menschen Respekt zollten, wird es zu einem weiteren Vertrauensverlust der Menschen zu ihrer Kirche kommen. Nicht mit Drohreden und angedrohten Bestrafungen sind die Menschen zu gewinnen, sondern nur, indem man die Selbstverantwortung der Eheleute ernst nimmt.
Sollte man annehmen, daß Kardinal Meisner, indem er wieder seinen Kollegen im Bischofsamt – Kardinal Lehmann – der Verpflichtverletzung zeiht, ein Eingreifen des Papstes provozieren will, damit dann die anderen Bischofskollegen reumütig zurückkehren können? Der damit verbundene Autoritätsverlust wäre enorm. Vielleicht will Kardinal Meisner nur noch einen „heiligen Rest“ des Kirchenvolkes betreuen. Die Arbeit ohne Kirchenvolk wäre wesentlich leichter, es gäbe keine Aufmüpfigkeit mehr. Man wäre dann nur noch unter sich.
Gott möge uns vor dieser Entwicklung bewahren.