Leeres Grab?

Gedanken eines Katholiken zur Auferstehung

von Peter Krüger

Kaum eine Begebenheit in den biblischen Schriften weist größere Widersprüche auf als die Auferstehungsgeschichten. Der Zeitpunkt der Ereignisse, Zahl und Auswahl der ersten Menschen am Grab, die Personen, die ihnen dort begegnen und schließlich die gesprochenen Worte zeigen so viele unvereinbare Differenzen, dass sich das Erzählte kaum als Tatsachenbericht missverstehen lässt. Und dennoch wurde und wird die Auferstehung Jesu als geschichtlich greifbares und historisch belegtes Ereignis von der Kirche zur Voraussetzung ihres Glaubens erklärt mit Berufung auf des Pauluswort: ,,Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist euer ganzer Glaube vergeblich" (1 Kor 15,17).

Der Katechismus der katholischen Kirche von 1993 beharrt auf dem Kriterium der Geschichtlichkeit: ,,Das Mysterium der Auferstehung Christi ist ein wirkliches Geschehen, das sich nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes geschichtlich feststellbar manifestiert hat."

Entsprechend äußert sich Papst Johannes Paul II: ,,Der christliche Glaube an die Auferstehung Christi ist deshalb an eine Tatsache gebunden, die eine genaue geschichtliche Dimension hat."

Richtig ist, dass Paulus den Glauben an der Auferstehung Jesu festmacht, falsch, dass er sie als historisches Ereignis sieht. Ein leeres Grab ist ihnen genauso unbekannt wie der christlichen Urgemeinde. Paulus hat Jesus nie mit eigenen Augen gesehen. Die Erscheinungsberichte über den Auferstandenen stellt er mit seinen eigenen Gottesvisionen auf die gleiche Stufe. Ja, er vergleicht die Auferstehung Jesu sogar mit der aller Menschen.

Auch das Neue Testament selbst liefert eindeutige Argumente gegen die Annahme einer körperlichen Auferstehung Jesu nach Art eines physikalischen Wunders: Wieso kann Jesus durch verschlossene Türen gehen? Warum erkennen die Emmausjünger ihren auferstandenen Meister zunächst nicht?

Zwar ist den Christen der ersten Jahrhunderte die Vorstellung von einem leeren Grab nicht fremd. Doch stellt sie bis ins 4. Jahrhundert noch keine Prämisse für den Glauben dar. So fehlt bis zur Kirchenversammlung von Nizäa (325) ein Hinweis auf eine körperliche Auferstehung. Erst fast 50 Jahre später (374) wird im Glaubensbekenntnis des Epiphanius der folgenschwere Passus hinzugefügt: ,,aufgefahren in den Himmel m i t s e i n e m L e i b e..." Diese unscheinbare Ergänzung bestätigt die Änderung im Glaubensverständnis. Sie setzt eine leibliche Auferstehung voraus.

Dass die meisten katholischen Bibelwissenschaftler die Auferstehungsberichte nicht wörtlich und historisch verstehen, ist den ,,Laien" weithin unbekannt. Der Jesuit Karl Rahner ist keineswegs ein theologischer Einzelgänger, wenn er schreibt: ,,Das >leere Grab< ist eher als Ausdruck einer schon aus anderen Gründen verbreiteten Überzeugung zu werten, dass Jesus lebt".

Theologische ,,Fachleute" und einfaches Kirchenvolk befinden sich damit auf unterschiedlichen Glaubensebenen. Behutsam sorgen die Kirchen beider Konfessionen dafür, die Laien in ,,ihrem" Glauben zu belassen. Sie verteidigen, was ihnen selber nicht (mehr) glaubwürdig ist.

Im Streit um den evangelischen Bibelforscher Lüdemann wird dieser religiöse Spagat deutlich: Gerd Lüdemann hat sich mit seinem ,,Brief an Jesus" (in seinem Buch mit dem streitbaren Titel: ,,Der große Betrug") an die Öffentlichkeit gewandt. Er schreibt: ,,Aber Deine Wiederkunft fällt aus, da Deine Auferstehung gar nicht stattfand, sondern nur ein frommer Wunsch war. Das ist deswegen sicher, weil Dein Leib im Grab verwest ist, wenn er überhaupt ins Grab gelegt und nicht von Geiern und Schakalen aufgefressen wurde."

Was da so provozierend klingt, bestreitet das leere Grab als historisches Geschehen, keineswegs aber, wie ihm unterstellt wird, grundsätzlich eine Auferstehung nach dem Tod.

Inzwischen muss der Bibelforscher um seinen Lehrstuhl bangen, nicht, weil seine Forschungsergebnisse neu oder zu gewagt wären, sondern weil er sie auf der falschen Bildungsetage veröffentlicht hat!

War das Grab nun leer oder nicht? Handelt es sich um einen unverzichtbaren historischen Tatsachenbericht, wie der Katechismus lehrt, oder um eine mythische Schilderung?

Der Mythos von einem Gott-Heiland, der auf die Welt kommt, geboren wird, stirbt und aufersteht, um die Menschen zu erlösen, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selber. In den sog. Vegetationskulten, deren Mythen den Jahresrhythmus der Natur in sich aufnehmen, wurde vermutlich bereits in menschlicher Frühgeschichte Sterben und Auferstehung als ein natürlich wiederkehrender Wechsel göttlichen Lebens begriffen. Die Menschen waren durch das Eingreifen eines erlösenden Gottheilands in dieses göttliche Leben einbezogen. In den jüngeren Mysterienkulten wurde die Vereinigung mit dem Göttlichen bereits in einem sakralen Mahl erlebbar.

Die Überzeugungskraft jener Mythen für die Menschheit lässt sich an der Tatsache ermessen, dass sie selbst bei monotheistischen Religionen wie dem Judentum noch lange in ,,heidnischen" Kulten und Riten weiterlebten, so z.B. die Verehrung des Schlangengottes Nehustan in der Schlangenerzählung im 4. Buch Mose (Numeri 21,4-9). In zahlreichen antiken Religionen sind uns sterbende und auferstehende Gott-Heiland-Gestalten überliefert: Osiris aus Ägypten, in Babylon Tammuz und Marduk, der phönizische Adonis, der tyrische Melkart, Sandan, der Baal (Herr) aus Tarsus, der lydische Heros Tylon, Esmun von Sidon, Attis aus Phrygien und Mithia aus Persien. Der babylonische Gott Bel-Marduk, selbst Schöpfer der Welt, wird als Erlöser von seinem Vater zu den Menschen gesandt.

Den Kirchenlehrern, die ,,heidnische", dem Christentum ähnliche Kulte als Teufelswerk abwehren wollten, verdanken wir viele Einzelheiten dieser ,,Heiden-Religionen", die uns noch heute faszinieren: So berichtet Tertullian über eine Taufe zur Vergebung der Sünden, eine ,,Bezeichnung" auf der Stirn sowie eine Stirnsalbung, eine Darreichung des Brotes (beim Osiris- und Attiskult Brot und Wein!) und die Feier einer Auferstehung. All dies seien allerdings keine ,,wirksamen" Sakramente sondern üble Nachahmungen des Teufels. Heute bestreitet kein Gelehrter mehr, dass das Christentum umgekehrt seine ,,Sakramente" in Anlehnung an profane Vorbilder gestaltet hat.

Attis entstammt einer wunderbaren Geburt von der Jungfrau Nana. Auch der Sonnengott Mithra wird von einer Jungfrau geboren. Sein Geburtstag ist der 25. Dezember. Unser ,,Sonn"-tag geht auf ihn zurück. Die Sonne als göttliches Symbol lebt in vielen Riten christlicher Liturgie weiter. Attis führte den Titel eines pater patrum und trug eine Tiara (wie noch Päpste in diesem Jahrhundert!). Auch der ,,heilige Stuhl" hat wohl im attischen Kult seinen Ursprung. Nach Attis' Tod wurde sein Grab leer aufgefunden; der Gott war auferstanden. Wo heute in Rom die Kuppel des Petersdomes steht, befand sich einst sein Heiligtum.

Große Ähnlichkeiten religiöser Brauche zwischen Mithraskult und Christentum machen sowohl die rasche Ausbreitung des Christentums auf den Spuren dieser Soldaten- und Händler-Religion, als auch den unerbittlichen Kampf gegen sie verständlich, zumal sie dem Monotheismus schon nahe kommt. Monotheistische Religionen haben ein gestörtes Verhältnis zur Toleranz. Ihr Gott ist einzigartig. So verkündet der Gott des Alten Testamentes: ,,Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!" (Ex 20,3) Folgerichtig fühlen sich seine Anhänger autorisiert, zunächst gegen die fremdem Götter vorzugehen und dann gegen die Völker, die sie verehren. Das Alte Testament bestätigt in zahlreichen Geschichten dieses Verhaltensmuster, das der monotheistischen Religion die vermeintliche Originalität verschafft. Während Attis- und Mithraskult zu einer beeindruckenden Synthese fähig waren, errichtete man christliche Kirchen buchstäblich auf den Trümmern heidnischer Tempel, beeindruckend zu besichtigen an der Kirche von Vaison la Romaine in der Provence.

Was hat die Kirche bewogen, das Gewicht auf die körperliche Auferstehung zu legen? Historische und kirchenpolitische Gründe können hier im einzelnen nicht erörtert werden, statt dessen zwei Anmerkungen: 1. Wunder- und Aberglauben haben eine lange Tradition. Zur Zeit Jesu konnten Wunder kaum jemanden beeindrucken. So zweifelten nicht einmal die Christen an der Fähigkeit des römischen Kaisers, Wunder zu bewirken, wenn auch ,,nur" mit der Macht des Teufels. Die drastische Steigerung mittelalterlicher Wundergläubigkeit im Reliquienkult (allein die Mirakelbücher des bayerischen Gnadenortes Inchenhofen verzeichnen 173 Totenerweckungen!) hat die kritische Auseinandersetzung mit Wunder- und Aberglauben in der Neuzeit gefördert. 2. Die Vorstellung einer ,,unfehlbaren" Lehre war für eine Organisation wie die Kirche zu verführerisch, als dass sie ihr hätte auf Dauer widerstehen können. Eine derartige Doktrin verschafft ihr ,,Richt"-Linien, die Rechtgläubigkeit ihrer Anhänger zu überprüfen und disziplinarische Konsequenzen daraus zu ziehen. Da es jedoch kein unfehlbares Dogma gibt, haben sich reichlich Irrtümer und Belanglosigkeiten in die christliche Lehre eingebrannt. Für den ,,Unfehlbaren" kann es tödlich sein, Fehler einzugestehen. Deswegen hat die Kirche das leere Grab bis heute nicht offiziell entsorgt.

Der Preis für die geschichtliche Deutung der Auferstehung Jesu war hoch: Scheinbar unbedeutend, ist die Auseinandersetzung um das leere Grab in Wirklichkeit ein Streit um Dogmatismus und Legitimation des kirchlichen Lehramtes. Unzählige Menschen haben an Leib und Seele erfahren, wie zerstörerisch Dogmatismus sein kann, indem er die Vielfalt lebendigen Glaubens behindert, religiöses Leben erstickt, Menschen ausgrenzt und zugrunde richtet.

Selbst der Organisation Kirche nützt er nur scheinbar und allenfalls so lange, wie ihr der Gehorsam ihrer Anhänger wichtiger ist als deren Freiheit. Einen moralischen Anspruch erheben Dogmen nicht. Daher sind sie für die Moral der Menschen ohne Belang. Jesus hat sich in seinem Leben ausgesprochen undogmatisch verhalten. In seinen Augen war allein die Liebe das Maß der Menschlichkeit und nicht eine Sammlung von Glaubenssätzen. Jedem Dogmatismus kehrte er den Rücken, wenn er ihn hinderte, menschlich zu sein. So einfach ist seine Botschaft und deswegen so überzeugend.

Die Auferstehungsgeschichte ist für die Menschen wohl die wichtigste Botschaft überhaupt. Mit ihr greift die Bibel archaische Bilder in den Vorstellungen ihrer Zeit auf, ähnlich der beeindruckenden Überlieferung vom Gott-Heiland Bel-Marduk und Sonnengott Mithras. In mythischen Bildern schildert sie uns zeitlos und mit großer Überzeugungskraft, dass Gott ein Gott des Lebens ist, der uns wie Jesus durch den Tod ins Leben führt. Eine körperliche Auferstehung erscheint demgegenüber bedeutungslos, wäre sie doch eine ,,Rückwärtsentwicklung" zum Status quo vor dem Tod. Der Tod ließe sich nur ein wenig hinhalten, er käme schließlich doch! Er hätte seinen Stachel nicht verloren. So vergrößert das leere Grab paradoxerweise eher die Zweifel an der Auferstehung!

Ein Mythos, zu historischer Wahrheit umgemünzt, verliert seine Überzeugungskraft. Wer den Mythos in einer Doktrin erstarren lasse, mache sich an den Menschen schuldig, sagte kürzlich ein katholischer Theologe. Das Grab Jesu war nicht leer, falls es überhaupt ein solches Grab gegeben hat. Indem ein Wunder die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, betrügt es uns um das Wesentliche. So gesehen, trifft Gerd Lüdemanns Buchtitel ,,Der große Betrug" den Kern der Sache: nur der Mythos macht es uns möglich, an eine Auferstehung zu glauben.