Mußte Jesus am Kreuz sterben?*
Schlußthesen aus: Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben? von Klaus Berger, GTB 1452
1. Grund für die Hinrichtung Jesu war sein Anspruch, "König" zu sein. Als seine Mörder sind die Römer zu bezeichnen. - Der Grund für Jesu Hinrichtung war nicht oder wohl kaum: sein Anspruch auf Gottessohnschaft, auf Präexistenz oder seine Stellung zu Gesetz und Tempel. - Die neuere Forschung rechnet daher mit politischen und nicht mehr mit religiösen Gründen.
2. Das Kreuz sagt zweierlei: Wer Menschen sind - und wer Gott ist. Denn Menschen sind Mörder oder Opfer von Gewalt. Gott aber verwandelt das Dokument des Hasses in ein Zeichen seiner Vergebungsbereitschaft. - Der "Glaube an das Kreuz" ist daher alles andere als Verherrlichung der Grausamkeit. Er bezeugt eindrücklich die Beantwortung von Grausamkeit durch Gottes Feindesliebe. Damit geht es um die Verwandlung von Haß in Liebe, nicht um Wiederholung des Hasses.
3. Nach dem Neuen Testament vergibt Gott auf zweierlei Weisen. Direkt und frei, indem Jesus die Sünder in die Arme schließt, um ihn zärtlich wiederaufzunehmen. Neben diesem Weg steht der andere, den wir "geregelte Vergebung" nennen. Schuld verschwindet nicht spurlos. Sie wird am Kreuz zugleich in ihrer ganzen Schrecklichkeit sichtbar - und anschaulich "entsorgt". Dabei greift das Neue Testament das Bild des Blutes auf und läßt es ein bleibendes Zeichen für Erlösung werden.
4. Die Konsequenz aus der Botschaft von Jesus am Kreuz könnte heute ebenso Mitleiden (compassio) sein und nicht nur allein der juristische Stellvertretungsgedanke. Mitleiden bedeutet: im Leiden des anderen Jesu Leiden zu erblicken und so ihm nachzufolgen.
5. Der Tod war kein Opfer im kultisch-rituellen Sinn. Die Femininsten haben insofern recht. - Am Verbot des Menschenopfers seit Adam führt kein Weg vorbei.
6. Doch andererseits ist es Unsinn, die Dimension des Opfermals zerbrochen zu erklären. Die Femininsten haben insofern unrecht. Der Begriff "Opfer" ist von der biblischen Grundbedeutung her radikal zu erneuern. Denn Opfer heißt Gott anerkennen und setzt keineswegs Gewalt und Blutvergießen voraus. In diesem erneuerten Sinn des Wortes waren Jesu Leben und Sterben Opfer. In diesem Sinne ist Opfer keineswegs abzuschaffen und unmodern.
7. Jesus Tod für die Sünden ist eine Art symbolisch-sakramentales Urgeschehen. Dieses spielt im Himmel", „am himmlischen Altar", das heißt, es gehört in die spirituelle Wirklichkeit Gottes. Jesus, der gelitten hat und auferstanden ist, ist unserer Mittler vor Gottes Thron. In diesem Sinne geht es auch weiterhin um Sühne.
8. Einen Plan Gottes, nachdem Jesus leiden mußte, gab es nicht. Selbst Vorherwissen ist etwas anderes als geplante Notwendigkeit. An dieser Stelle sind gravierende seelsorgerliche Probleme im Sinne einer unverkennbar unbiblischen finsteren Schicksalsgläubigkeit zu diskutieren. - Die einzige wirkliche Notwendigkeit, die es gibt, besteht darin, daß gottlose Systeme mörderisch sind und Unschuldige töten.
9. Weder hat der Vater Jesus "ans Messer geliefert", noch hat sich der Sohn zum Martyrium gedrängt. Die deutschen Übersetzungen und Deutungen des griechischen "(sich) geben" und "übergeben" bzw. ausliefern" sind regelmäßig viel zu weitgehend, belasten das Gottesbild und suggerieren zwangsläufig einen Vater, der seinen unschuldigen Sohn zu Tode richtet.
10. Jesus hat das Heil durch sein ganzes Leben Menschwerdung, Sendung, Gehorsam und Tod inbegriffen) gewirkt und nicht nur durch den Tod am Kreuz. Dieser ist nur die sichtbare Spitze. Das heißt: Recht häufig sind Aussagen über Jesu Gerechtigkeit, über seinen Kampf gegen die Sünde und seinen Sieg über sie, über seinen Gehorsam und seine Bewährung gar nicht exklusiv auf den Tod zu beziehen, sondern auf sein Gesandtsein und sein ganzes leben. Gott hatte - zum Heil der übrigen Menschen - nicht Gefallen an Jesu Tod und Blut, sondern an Jesu Leben und Gerechtigkeit. Der Tod Jesu ist nur die Spitz dieser Ausrichtung. er ist keineswegs zu isolieren.
11. Jesu Blut wurde auf jeweils recht unterschiedliche Weise "ersetzt" durch Taufwasser und Abendmahlswein.
12. Oft wird vernachlässigt, daß Jesus durch sein Blut ein neues Gottesvolk, und zwar aus Juden und Heiden, geschaffen hat. Diese kirchliche Ausrichtung ist besonders in der Briefliteratur, aber auch in der Apostelgeschichte ausgeprägt.
13. Das Brotwort beim Abendmahl ( heute: "Christi Leib,, für dich gegeben") meint nicht Jesu Leichnam am Kreuz. Das Becherwort (heute: "Christi Blut, für dich vergossen") meint nicht primär Leidensblut, sondern bezieht sich auf Jesus als Mittler des Bundes und hat zum Inhalt auch messianische Freude, die sich auf das gesamte messianische Werk Jesu bezieht.
14. Der Apostel Paulus verwendet die Ausdrücke Versöhnung" und "Kreuz" jeweils sehr gezielt und genau. Bei Versöhnung geht es um das Ende der Feindschaft und den universalen Frieden. Spricht er vom Kreuz oder Kreuzigen, dann meint er die Schande der Kreuzigung. Wenn Gott den Gekreuzigten erwählt, dann bringt das die totale Umkehrung der Werteordnung Gottes gegenüber dem, was Menschen gilt, zum Ausdruck.
Die Konsequenz der paulinischen Kreuzestheologie ist daher der Verzicht des Menschen auf Selbstruhm. Das Verhalten des Verkünders sollte ganz dem Wertgefüge Gottes entsprechen, das er an Jesus vor Augen geführt hat."
*Zitiert aus: Klaus Berger: Wozu ist Jesus am Kreuz gestorben?, Gütersloher Verlagshaus, GTB 1452