Oberbergische Geschichten
Geschieden und wiederverheiratet - Eine kritische Anfrage
von Dr. Wolfgang Sabel
Zunächst zwei Geschichten: Eine junge Frau, ledig, heiratet einen geschiedenen Mann und zieht in unsere Kreisstadt. Sie nimmt aktiv am Gemeindeleben ihrer neuen Pfarrei teil und bereitet ihre Tochter zusammen mit einer größeren Kindergruppe zur vollsten Zufriedenheit des Pfarrers zur ersten Hl Kommunion vor. Sie selbst geht regelmäßig aus innerer Überzeugung zur Eucharistie, bis eines Tages der Pfarrer erfährt, daß sie mit einem geschiedenen Mann zusammenlebt. Der Pfarrer eilt flugs zu der “Sünderin” und untersagt ihr den Gang zur Kommunion, es sei denn, daß die erste Frau ihres Mannes das Zeitliche segne oder daß sie wie Bruder und Schwester zusammenlebten. Für die Frau, die in der Pfarrei Heimat und Geborgenheit gefunden hatte, bricht eine Welt zusammen. In der Kirche der Pfarrei wurde sie nicht mehr gesehen.
In einer anderen Pfarrei: Ein Ehepaar, beide der Hölle einer gescheiterten Ehe entronnen, psychisch am Ende, geschieden und wiederverheiratet, wird vom Pfarrer und der Gemeinde nach längeren seelsorgerischen Gesprächen zum eucharistischen Mahl eingeladen. Nach langen Jahren seelischer Not und schmerzlicher Irrwege haben Mann und Frau wieder Geborgenheit und Heimat in ihrer Kirche gefunden.
Welcher Pfarrer und welche Pfarrei hat in beiden Geschichten die Botschaft der Barmherzigkeit, die Botschaft Jesu, verkündet? Ist das Kirchenrecht die Botschaft des Jesus von Nazareth, oder heißt die Botschaft: unendliche Barmherzigkeit und Vergebung.. “Wenn eure Sünden rot wären wie Blut, sie sollten weiß werden wie Schnee”.
In der kath. Kirche ist geschiedenen und wiederverheirateten Christen untersagt, das eucharistische Mahl zu empfangen, “weil ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse im objektiven Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche stehen, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht.” (Johannes Paul II in Familiaris consortio, Nr. 84)
Reicht dieses symbolästhetische Argument den Betroffenen den Gang zum Tisch des Herren zu verwehren.? Ist Eucharistie Belohnung für den Frommen oder Stärkung für den sündigen Menschen? Feiern wir als sonntägliche Gottesdienstgemeinde nicht ein Gastmahl der Sünder? Bleiben wir nicht alle - vom Leiter des Gottesdienstes bis zu jedem Teilnehmer - immer hinter dem zurück, was Jesus von denen erwartet, die seinen Namen tragen? Bedeutet Eucharistie nicht Heilung, Sündenvergebung? Realisiert Eucharistie nicht Gemeinschaft zwischen dem sündigen Menschen und dem barmherzigen Gott?
Von Jesus wird berichtet, daß er sich von “Sündern” zum Essen einladen läßt. “Er ißt und trinkt mit den Sündern”. Er hat mit den damals “Exkommunizierten” ohne jede Vorbedingung kommuniziert, während er mit den Frommen Probleme hatte.
Es ist schwer vorstellbar, daß es in seinem Geiste ist, daß eine katholische Mahlgemeinschaft solche Mitchristen ausschließt, deren Lebensentwurf in einer Ehe gescheitert ist und die nach diesem Scheitern wieder geheiratet haben und von Gott Barmherzigkeit erhoffen.
Und es sind nur wenige, die diese Sehnsucht und Hoffnung haben. Darf die Kirche diese aus dem Zentrum unseres Glaubens verstoßen? Daß sich die Kirche für die Unauflöslichkeit der Ehe vehement einsetzt, ist richtig und wichtig.
Tatsache ist aber, daß Ehen zerbrechen, ohne daß im Einzelfall eine persönlich anrechenbare “schwere Sünde” vorliegt. Oft sind eheliche Gemeinschaften unwohnlich geworden. Die Betroffenen glauben des psychischen Überlebens willen, diese nicht mehr bewohnbaren Behausungen verlassen zu müssen und zu dürfen, nicht nur ihretwegen. Auch die Kinder sind für eine Trennung ein wichtiger Faktor. Der Mensch braucht eben nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch “ein Dach über der Seele”. Die Wiederheirat ist dann weniger ein Zeichen mangelnder Moral, eher ein Hinweis auf einen unbeugsamen Überlebenswillen.
Persönliche Schuld kann mit der Scheidung verbunden sein. Aber Scheidungs- und Wiederverheiratungsgeschichten sind nicht nur Schuldgeschichten, sondern meist verzweifelte Überlebensgeschichten. Das symbolästhetische Argument des Papstes, nämlich der Widerspruch zwischen der Lebenssituation der Zweitverbindung und der in der Eucharistie dargestellten Treue Christi zu seiner Kirche, wirkt hier eher verletzend als hilfreich.
Die pastorale Anweisung aus Rom ist wirklichkeitsfremd und menschlich nicht lebbar. Sie darf und kann Menschen nicht zugemutet werden. Sie stellt das Gesetz in den Vordergrund und läßt den Kern des christlichen Glaubens außer acht, nämlich die Botschaft von der Menschenfreundlichkeit und Barmherzigkeit unseres Gottes zu verkünden, und zwar gerade den Menschen, die in einer ausweglosen Situation sind. Es gehört zu den zentralen Inhalten des christlichen Glaubens, daß der Christ immer die Chance des Neubeginns hat.
Die oberrheinischen Bischöfe haben in ihrem mutigen Hirtenbrief, den Rom brüsk zurückgewiesen hat, aufgezeigt, daß der pastorale Handlungsspielraum hinsichtlich Scheidung und Wiederverheiratung in christlich legitimer Weise ausgeweitet werden könnte, ohne dadurch die Forderung Jesu, wie sie in den Evangelien überliefert wird, zu verletzen.
Eines der Argumente für diesen erweiterten pastoralen Handlungsspielraum - nämlich der ökumenische - soll hier kurz dargelegt werden: Die Praxis der Ostkirche zeigt, daß die Möglichkeit einer zweiten Ehe nach Scheidung, eingebettet in christliche Tradition, möglich ist. Aus einer jahrhundertealten ostkirchlichen Praxis folgt, daß es neben der röm. kath. Position auch eine andere Möglichkeit gibt.
Dabei hat sich die kath. Kirche gehütet, diese Praxis orthodoxer und orientalischer Kirche als unchristlich zu verurteilen.
Das Ökumenismusdekret des Zweiten Vatikanischen Konzils läßt zu, daß in der pastoralen Praxis die nach ostkirchlichem Recht wiederverheirateten Geschiedenen in der kath. Kirche kommunizieren dürfen. Wenn aber durch das Konzil die Praxis östlicher Kirchen als christlich akzeptiert wird, könnte nicht die Übernahme dieser ostkirchlichen Praxis unserer Schwesterkirche eine Lösung der pastoralen Notlage so vieler Katholiken sein?
Warum stützt sich die kath. Kirche - anders als die Ostkirchen - nur auf einen Teil der biblischen Überlieferungen. Schon die Gemeinden zur Zeit des NT hatten - offenbar unbeschadet der Treueforderung Jesu - pastorale Ausnahmen vorgesehen, auf welche sich die Ostkirchen bis heute stützen.
Und eine letzte, aber entscheidende Frage: Wie sieht das Psychogramm eines Pfarrers aus, der sich strikt an die Vorschriften hält, der nicht den Mut aufbringt um der Botschaft Jesu willen sich gegen das Gesetz aber für den Menschen zu entscheiden.? Werden solche Menschen nicht zu Systemfunktionären? Treiben sie nicht die Kirche in ein bedeutungsloses Getto? Wie unterscheiden sie sich von blindgehorsamen Funktionären eines totalitären Systems? Kaum vorzustellen, daß Jesus so gehandelt hätte. Hat sich unser Tun und Lassen an der Norm der Institution Kirche oder an der Norm Jesu zu orientieren? Sollte die Norm der Kirche nicht an der Praxis Jesu überprüft werden? Zeigte Jesus im konkreten Einzelfall nicht unendliche Milde? Sicherlich mahnte er unbeugsam ein, was die Urabsicht Gottes für die Menschen war. Er hat sich gegen die Scheidung einer Ehe ausgesprochen. Aber für jene, denen die Ehe nicht gelang, war er ein einfühlsamer Arzt.
Bewegt sich unsre Kirche nicht mit Riesenschritten von der Botschaft ihres Stifters weg? Hat jene Frau der ersten Geschichte nicht recht, wenn sie sagt, “Jesus ja, Kirche nein”? Stehen wir nicht schon mitten in einem “nachkirchlichen Christentum”?