Papst, Bruder und andere Widersprüche

von Norbert Piechotta

Wenn man in der Familie trivial pursuit spielt, wie bei uns Silvester geschehen, so kann jeder Mitspieler staunen. Woher weiß der oder die die richtige Antwort? Da, wo man selber die richtige Lösung parat hätte, darf man sie nicht sagen, weil der andere "dran ist" oder "das Sagen hat". Und manche Fragen sind für alle Mitspieler unlösbar.

Was hat dieses bekannte Wissensspiel nun mit Kirche zu tun?

Unsere Kirche - der Papst, die römische Kurie und insbesondere die Inquisitionsnachfolgerin, die Glaubenskongregation - ist angeblich die einzige, die die richtigen Antworten weiß. Die Glaubenskongregation weiß, was die Wahrheit ist; der Papst ist der Einzige, der weiß, was Jesus wollte und nur er ist der Stellvertreter Gottes - eine Behauptung, die an Blasphemie grenzt, hat sie doch einen alten Mann zum Vor-Bild, der von einem anderen alten Mann vertreten wird.

Wie oft ist dieser Unfehlbarkeitsanspruch schon diskutiert worden, vor über 100 Jahren gar zum Dogma erhoben, wie oft ist auf das Archaisch-Mythologische dieses Anspruchs des pontifex maximus hingewiesen worden? Das hat nicht gereicht, um "Ad tuendam fidem" zu verhindern. Ein Dokument, von dem Prof. Pelinka, Innsbruck, sagt, daß es die kath. Kirche zur größten Sekte der Welt mache. In und mit diesem Dokument überzieht "der Diener der Diener Gottes", so der Papst in seinem Anspruch, die Funktion des Einheitsstiften-Sollenden in einem wahrheits- und wirklichkeitsfremdem noch nie dagewesenem Maße. Der "Diener der Diener Gottes" in mittelalterlich-feudaler Art unter Verwendung des pluralis majestatis: "Wir befehlen, dass alles, was Wir durch dieses als Motu proprio erlassene Apostolische Schreiben entschieden haben ...." (Aus: Ad tuendam fidem, 1998)

Es kann nur Spekulation sein, wie dieses Dokument zustande gekommen ist. Es verrät aber die totalitäre Handschrift eines Ghostwriters, der opus dei nicht nur nahe steht. Denn wie in der Politik oder den Entscheidungszentren der Wirtschaft arbeiten Ghostwriter wohl auch im Vatikan im Hintergrund und es ist erschreckend, daß solch Vor-gedachtes(?) und Vor-formuliertes von Johannes Paul II. abgesegnet wird, der als Bruder Karol Diener der Diener Gottes und somit Diener des Volk Gottes sein will. Oder doch nicht? Oder sind es die gleichen hohlen Phrasen, an die man sich in Politik, Wirtschaft und anderen Institutionen schon lange gewöhnt hat? Prof. DDr. Böckenförde sagte in der Diskussion nach seinem Vortrag in Würzburg 1998 beim Bundestreffen von Wir sind Kirche sinngemäß, in der Kirche werde von Dienst gesprochen, aber gemeint sei die Macht. Und damit ist Kirche nicht einen Deut anders als andere soziologische Systeme und relativiert in Folge die Jesus-Botschaft - bis hin zur Unkenntlichkeit.

Das Schlimme an "Ad tuendam fidem" ist weiterhin, daß jede Form von Lehramt unterhalb der Autorität des Papstes nichtig geworden ist; Denunziation wird Vorschub geleistet, theologische Forschung und das Denken werden stranguliert, nur in Nuancen abweichende Formulierungen könnten zum Schwingen des Schlagstockes in Form von Publikationsverboten, Schweigegebot oder Exkommunikation -siehe Lay, Boff, Balasuriya- führen. Zu Ende gedacht, ist nur noch der wirtschaftlich von Kirche unabhängige Laie der einzige/die einzige, wo der GEIST wirken darf, ohne Angst vor Sanktionen zu haben. Auch das kirchenrechtlich einzige Korrektiv zu der päpstlichen Omnipotenzphantasie des Jahres 1998 existiert de facto seit 1982 nicht mehr, denn die Infantilisierung des Episkopats zeigt sich so eindrucksvoll wie sonst nirgends in dem Treueeid des Bischofs. Formulierungen wie: "... werde ich dem Apostolischen Stuhl Rechenschaft über meinen pastoralen Auftrag geben und dessen Mandate oder Ratschläge werde ich willfährig annehmen und mit Eifer ausführen." hätten der SED-Pädagogik entstammen können oder erinnern an den Grundschullehrer der 50er Jahre, der seine Zweit- und Drittklässler willfährig und eifrig sehen wollte.

Verbirgt sich hinter den Leerformeln von “Respekt und Höflichkeit“ bei der geheimen Schwangerschaftsent- scheidung der Bischöfe im Februar nicht die unterschwellige Angst von kleinen Jungs vor dem „allmächtigen“ Vater? Das war keine apostolische Nachfolge, sondern das Ducken unter ein totalitäres Regime, wie Küng so oft so treffend formuliert.

Gerade dieser unjesuanische Eid (Mt 5,34-37) erzeugt den Bischof ohne Rückgrat, der nur noch Vasall Roms sein kann/darf. So schwindet das Katholische und es verbleibt das Sektenmäßige, sich Absondernde.

Aus der zeitlichen Distanz wird die Widersprüchlichkeit des aktuellen Papstes noch deutlicher werden als heute. Hatte er noch bei Galileo, Darwin und den Fehlern der Kirche zur Zeit der Inquisition und der Shoah noch Realitätssinn und Glaubwürdigkeit gezeigt, ganz anders als viele seiner Vorgänger, so wird sich aus der Retrospektive vieles als unhaltbar und fehlbar erweisen. Einige Beispiele:

- Bruder Karol strebt eine Re-Evangelisierung Europas an, aber lässt nach 385 Jahren modifizierte mittelalterliche Exorzismus-Riten neu in Leder binden. Er verbietet jedes Denken über Frauenordination, obwohl selbst die jedweden Reformbestrebungen unverdächtige Bibelkommission des Vatikans im Jahre 1976 erklärt hat, dass aus dem NT kein Verbot weiblicher Priester herausgelesen werden könne.

- Bruder Karol als wackerer Streiter für Menschenrechte und Menschenwürde? Die Opfer von Kardinal Groer sind unvergessen und das Eintreten für den Massenmörder Pinochet durch die Intervention des Vatikans in Großbritannien erzeugen Übelkeitsgefühle.

- Die Einnahme der Pille und Abtreibung gehören für ihn in die Schublade der "Kultur des Todes". Vor wenigen Jahren wurde im Katechismus noch die Todesstrafe toleriert und viele polnische Frauen treiben lieber ab, als die Pille zu nehmen, denn die Pilleneinnahme bedeutet 28 monatliche Todsünden, Abtreibung hingegen nur eine. Verantwortlich für dieses Denken und Handeln: Johannes Paul II.

- 1991 werden die katholischen Apotheker ermahnt, keine Kondome zu verkaufen. Bei den kath. Christen Deutschlands halten sich lt. Umfragen 98% nicht an humanae vitae, die Bruder Karol als Ghostwriter für Paul VI. maßgeblich beeinflusst hat.

- Zur 500-Jahr-Feier Amerikas lobt Johannes Paul II. den segensreichen Einfluss der Christianisierung des neuen Kontinents. Verschwiegen wird der geschätzte 70 millionenfache Tod der indianischen Ureinwohner und die in Folge Jahrhunderte dauernde Billigung von Deportationen aus Afrika und Sklavenhandel durch die Kirche.

- In einem der ärmsten Länder Afrikas weiht er einen 500-Millionen-Mark-teuren Dom ein. Was ist mit dem jährlichen millionenfachen Hungertod in Afrika und weltweit?

- Die Befreiungstheologie wird verdammt und die prominenten Vertreter in der Professorenschaft und im Episkopat mundtot gemacht. Beim letzten Besuch von Latein/Amerika hingegen geißelt richtiger Weise der Papst in Manier eines Befreiungstheologen den ungezügelten menschenverachtenden globalisierenden real-existierenden Kapitalismus.

Die Ausgestaltung des Amtes des aktuellen Papstes hat auf der einen Seite zu einer Mumifizierung in/von Kirche geführt, auf der anderen zu einer verändernden reformbereiten Fortführung des 2. Vatikanums.

Grundsätzlich: das eigentlich unwichtige Felsenwort (Mt 16,28; Jo 1,42) war für die frühe Kirche Hunderte von Jahren keine Prämisse für ein Papsttum, nur nachträgliche Begründung für klerikale Macht– und Herrschaftsstruktur.

Die Vision eines künftigen Papsttums zeigt sich bisher fast nur im literarischen Schaffen. So entwirft der kath. Pfarrer Roland Breitenbach in seinem ausgesprochen lesenswerten utopischen Kirchenroman "Eine kleine weiße Feder" ein siebenjähriges von allen christlichen Hauptkonfessionen wählbares Papstamt, das die Einigkeit in der Vielfalt aufzeigt.

Was wir brauchen, ist keine mittelalterliche Enge, sondern eine Rückbesinnung auf die urkirchlichen Wurzeln. Es werden keine Enzykliken benötigt, sondern das Sprechen mit und das Lernen vom Volk Gottes. Vielleicht sollte im Vatikan einmal trivial pursuit gespielt werden - die wahrscheinlich daraus resultierende Bescheidenheit wäre wahrheitsnäher und überzeugender.

Vielleicht gelingt es einem künftigen Johannes XXIV. nach einem 3. Vatikanum mit jeweils einem Drittel Priester, Theologen und "Laien" als Teilnehmer/innen, dass Papst und Bruder kein unlösbarer Widerspruch sein muss.