Papst Johannes Paul II. und das Schuldbekenntnis der Kirche

von Willi Mitzkewitz

Selten hat die symbolträchtige Geste des Papstes in Kirche und Welt so viel Aufmerksamkeit gefunden wie der Bußakt Papst Johannes Paul II. vom 12. März 2000 in Rom. In einem beeindruckenden Bußgottesdienst, assistiert von sieben kirchlichen Würdenträgern, bittet der Papst feierlich Gott um Vergebung „für Methoden der Intoleranz im Dienst der Wahrheit“, für die Sünden bei der Kirchenspaltung, für die Verfehlungen gegenüber den Juden (leider wird die Shoa nicht genannt), für die Verfehlungen „gegen die Liebe, den Frieden, die Rechte der Völker, die Achtung der Kulturen und Religionen“, für die Unterdrückungen der Frauen, der Menschen auf Grund ihrer Rasse und Religion. Mehrmals spricht der Papst, „wir vergeben und bitten um Vergebung“.

Bei aller Kritik an der Sprache der gesamten kirchlichen Vergebungsbitten, die in vielen Bereichen abstrakt und wenig konkret sind, die die Verfehlungen nicht direkt beim Namen nennen, die wenig von einer Sprache des Schmerzes und der tiefen Reue erkennen lassen, sollte man nicht übersehen, dass Johannes Paul II. in den letzten Jahren keinen Zweifel daran gelassen hat, wie sehr ihm die „Reinigung des Gedächtnisses“ ein Herzensanliegen ist.

Bedeutsam ist auch der gewählte Ort des Schuldbekenntnisses und der Vergebungsbitte: der Bußgottesdienst. Hier ist Gott direkt der Ansprechpartner. Der Papst spricht vor Gott die Schuld einer zweitausendjährigen Kirche aus. Er steht gleichsam vor der höchsten Instanz und erwartet von ihr, dem Herrn der Geschichte, Vergebung.

„Und wenn wir in Demut die Schuld der Vergangenheit betrachten und unser Gedächtnis ehrlich reinigen, dann führe uns auf den Weg echter Umkehr.“

Wenn der Papst zu Beginn des Schuldbekenntnisses sagt: „Unser Schmerz ist ehrlich und tief“, dürfen wir annehmen, dass er hier seine Betroffenheit über das Leid der Opfer zum Ausdruck bringt. Kein Papst hat sich bisher so tief und ehrlich mit der unheilvollen Geschichte der Christenheit mit dem Judentum auseinandergesetzt. Keiner hat Antisemitismus, Antijudaismus und Rassismus so verurteilt wie er.

Der Vorwurf, dass Johannes Paul II. bei seinem Schuldbekenntnis zu sehr im allgemeinen bleibt, hat einiges für sich. Aber es ist zu fragen: Hätte nicht die Nennung von einigen Namen und historischen Ereignissen zur Folge gehabt: Warum werden diese genannt und andere nicht?

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass historische Schuld nicht in einem symbolischen Schuldbekenntnis aufgearbeitet werden kann, sondern nur in einer gewissenhaften und gründlichen historischen Untersuchung über viele Jahre mit den entsprechenden kirchlichen und theologischen Rückfragen.

Darüber hinaus scheint mir, das Schuldbekenntnis des Papstes wäre glaubwürdiger, wenn er mit heutigen Kritikern an der Kirche von innen gelassener umginge. „Die Reinigung des Gedächtnisses“ fordert auch ein hohes Maß an Selbstkritik am gegenwärtigen Erscheinungsbild von Kirche und ihrem Lehramt.

Warum setzt der Papst nicht von sich aus ein Zeichen brüderlicher Zuwendung, indem er auf vermeintliche Kritiker zugeht und ihnen sagt: „Ich bin euer Bruder Johannes Paul?“

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Bei einer konkreten Entschuldigung des Papstes hätte er die Schuld gegenüber den Albigensern, Waldenser, Hussitten, „Hexen“, Indianern, Afrikanern, Juden, bei den Kreuzzügen, um nur weniges zu erwähnen, ansprechen müssen.

Denn die Kirche hat als Institution, die sich seit 2000 Jahren auf Gott beruft und ihn anruft, durch ihr Handeln und/oder Nicht-Handeln zig-millionenfach Tod, Folter, Verderben, Gleichgültigkeit, Intoleranz und Hass zwischen die Menschen gebracht. Auf welchen Gott haben sich damals die Mächtigen der Institution Kirche berufen? Gott sei Dank gab es aber auch Menschen wie Franz von Assisi oder eine Mutter Theresa.

Was beim Schuldbekenntnis absolut fehlte, war die Frage nach dem Morgen und dem Heute. — Wie muss Kirche als Institution sich ändern, damit kein Schuldbekenntnis mehr nötig wird? Und was nutzt heutig verbal Geäußertes, wenn nichts geschieht, um strukturell zu verändern und der Jesus-Botschaft durch rechtes Handeln im 3. Jahrtausend wieder nahe zu kommen? np