Von der Frömmigkeit oder: Wie man sich doch irren kann
Willi Mitzkewitz
Zu einer Gottesanbeterin, die weltbekannt war wegen ihres Namens, pilgerte ein Heupferd. Ankommend sprach es zur Gottesanbeterin: “Ich bewundere dich wegen deiner Frömmigkeit. Geht doch die Kunde deines Namens in alle Welt. Laß mich dein Schüler werden.”
Die Gottesanbeterin jedoch würdigte das Heupferd keines Blickes. Starr, ihre Arme in Betstellung nach oben haltend, blickte sie vor sich hin. Tief aufseufzend, ob solch konzentrierter Frömmigkeit, hüpfte das Heupferd näher an sein Idol heran.
“Sicher”, sprach es, “bist du eine große Verehrerin der Heiligen; denn überall sehe ich Reliquien liegen.” “O, wie dich verehre”, waren seine letzten Worte. Schon schlugen die Fangarme der Gottesanbeterin zu. Schmatzend machte sie sich über ihr Mahl her.
Indem sie die Sprungbeine des Heupferdes abbiß und zur Erde fallen ließ, sprach sei: “Schon wieder Reliquien!”
Lehre: Der Name allein macht aus einem Fleischfresser noch kein Vegetarier, aus einem Gottesanbeter noch keinen Christen, aus einem Prälatus domesticus noch keinen Gottesmann.
Für Nichtzoologen: “Gottesanbeterin” (Mantis religiosa), räuberische Fangheuschrecke.