Weltjugendtag 2005 – na und?

 von Norbert Piechotta

Da taucht ein weißgekleideter 78-jähriger ehemaliger Professor und dann über 25 Jahre lang “Glaubenswächter” in seinem Heimatland als Papst auf und in einer kollektiven Massenpsychose nimmt, scheint es,  keiner zur Kenntnis, dass die gesellschaftlich-politischen Aussagen von Bruder Josef Ratzinger deutlich hinter dem deutschen Grundgesetz und der Charta der Vereinten Nationen zurückbleiben.

Frauen in der Kirche,  Zölibat, weltweiter Priestermangel, Pille- und Kondomverbot, AIDS-Problematik, Homosexualität, wiederverheiratete Geschiedene, usw.  – keine innerkirchlichen Themen für den „Heiligen Vater“, der mit seinen Aufforderungen zu Beichte, sonntäglichem Gottesdienst und dem Lesen des Katechismus der pastoralen Wirklichkeit völlig entrückt zu sein scheint.

Glaubt irgend einer wirklich, dass durch den 100.000.000-Euro-Event – wie vielen ver/hungernden und leidenden Menschen hätte diese Geldsumme existentiell helfen können? -junge Leute nachhaltig Beichte und Gottesdienst praktizieren werden? Spirituell Erfahrung Suchenden sei Taizé empfohlen – nicht der nächste Weltjugendtag in Sidney.

Und ein Herr Meisner, der mit seiner Bemerkung, dass zwei Päpste beim Weltjugendtag anwesend gewesen seien, deutliche Kompetenz in der Kindergartenkatechese unter Beweis gestellt hat, macht wieder einmal deutlich, dass nicht Papst und Bischöfe Kirche sind.

Nein, WIR SIND KIRCHE. Die Menschen, die guten Willens sind, die nicht die institutionelle Macht eines diktatorischen Systems anbeten, sondern IHN.

 

Kritik – nicht erlaubt

von Ulrike Fäuster

 

Überall und ohne Ausnahme hört und liest man nur Gutes über die jugendlichen Pilger. Ich habe mir zweimal Kritik geleistet (u.a. warum man unbedingt einen Koffer in die Eingangstür des Zuges klemmen muß) -  und bin dafür abgestraft worden. Es wären eben Gäste, und da soll man nicht meckern! Mir wurde nahelegt, 1 Woche Urlaub zu nehmen, dann müsse ich auch nicht mit der Bahn zur Arbeit fahren. Fromme Pilger dürfen anscheinend alles, auch wenn alte deutsche Damen auf dem Bahnsteig zurückbleiben müssen. Das hätte sich mal ein Türke leisten sollen! Frömmigkeit macht ganz gehörig intolerant. Wir sind ja jetzt Papst!

 

Am und im Kölner Hauptbahnhof gab es böse Szenen. Man konnte sich nicht darauf einrichten, wann es leer und wann es voll sein würde – viele Pilger fuhren die ganze Woche abends (nach 20 Uhr) noch nach Köln und ebenso viele fuhren von Köln ab. Der Bahnhof war von Zeit zu Zeit geschlossen und – und viele junge Menschen äußerst ungeduldig. Einige brauchten kräftig die Ellenbogen, es wurde gedrängelt und geschubst. Ich habe es nur einem netten Polizisten zu verdanken, daß ich überhaupt in den Bahnhof hineinkam (obwohl ich brav lange in der Schlange gestanden habe). Er hatte gesehen, daß die Jugendlichen mich völlig überrannten. Auf den Bahnsteigen kraxelten sehr sehr viele unnötigerweise am äußersten Bahnsteigrand. Wer vorne stand, wurde weggeschoben. Beim Einsteigen in einen völlig leeren Zug gaben einige Pilger die Parole aus: push them, push them. Im überfüllten Zug mußte man tausende Hallelujah, schlecht zur Klampfe gesungen, ertragen, laut vorgetragene Abendgebete von 20 Minuten Dauer – und morgens schon Pilger, die pro Person 2 Plätze in Anspruch nahmen, einen für sich, einen für den Rucksack (das Gepäcknetz war leer).

 

Leider hatten viele Pilger gar keine Ahnung, wohin sie fahren mußten. Über Fragen wie: „Ist Solingen in Köln?“ oder „Liegt Dortmund bei Siegburg“ durfte man sich dann auch nicht wundern. Ich habe Pilger durch Solingen geleitet, sie auf die richtigen Bahnsteige nach Hilden, Haan oder Wuppertal gebracht - und doch von Tag zu Tag mehr gestaunt. Oder wiederum auch nicht. Die Afrikaner, die in Bonn landeten, aber eigentlich in Dortmund wohnten, hatten noch nie im Leben einen Zug und schon gar keinen großen Bahnhof gesehen.

 

Wie waren sie alle vorbereitet?

 

Ja, die Pilger waren doch so wunderbar fromm und es diente alles der Völkerverständigung! Wirklich? Muß man singende Pilger im Bahnhof lieben, wenn sie in großer Runde auf dem Boden sitzen und fromme Gesänge ableiern, dafür überhaupt nicht daran denken, irgendjemand vorbeizulassen? Ich mußte mühsam über sie hinwegsteigen. Hätte man eine muslimische Gruppe auf Gebetsteppich so sitzen lassen?

 

Ich persönlich weiß sowieso nicht, was eine so riesige Massenversammlung soll. Wie kann man tausende pubertäre Kinderchen vielfach ohne Begleitung so herumrennen lassen? Geht es nicht im kleineren Rahmen und dennoch international? Aber – wie gesagt, es war ja alles so wahnsinnig positiv.

Im übrigen habe ich bei zahlreichen Gesprächen herausgefunden, daß viele viel beteten, aber das Wissen über Inhalte ihrer Religion mehrheitlich gleich Null war. Und das bei Leuten, die jede Woche Bibelstunde betreiben! Kenntnisse scheinen offensichtlich nicht interessant zu sein. Ich fragte einmal nach Hans Küng – nie gehört!! Ich empfahl ihn für die nächste Gesprächsrunde!

 

Was mich aber sehr abgestoßen hat, waren jene Gruppen, die grölend und wie von Sinnen, in völliger Hysterie, hyperventiliert, Benedetto und anderes skandierten, ohne die Mitmenschen überhaupt noch wahrzunehmen. Ich gebe zu, daß verklärt fromme Blicke in massierter Form und zur Schau gestellte Frömmigkeit, kombiniert mit Gekreische nicht so ganz meine Welt sind. Man ist ja karnevalserprobt, aber Szenen, wie ich sie etwa im Durchgang vom Römisch-Germanischen Museum erlebte (eine tobende Menge, dem Dilirium nahe), haben mich bestärkt, die frömmelnden Frommen doch besser weiträumig zu meiden.

 

Na, ja, sie hatten ihr Event –nur das war´s doch wohl, was sie mehrheitlich wollten.

 

 

P. S. : Im Bus sagte eine junge Frau angesichts der sich kuschelnden Pilger/Pilgerinnen: Kondome sind verboten, aber in neun Monaten sollen wir für die Welthungerhilfe spenden! Hat sie so unrecht??