Kurzporträt: Jacques Gaillot

Geboren 1935 in der Champagne, in Frankreich, von 1957 bis 1959 als Wehrpflichtiger im Algerienkrieg. 1961 zum Priester geweiht. Von 1982 bis 1995 war Jacques Gaillot Bischof von Evreux in der Normandie.

Schon in seiner Evreux-Zeit bezieht er häufig Stellung zu aktuellen Ereignissen, nimmt sich der Fragen und Sorgen der Menschen an. Er unterstützt einen jungen Militärdienstverweigerer aus Gewissensgründen, protestiert gegen die französischen Atomversuche. Bei Ausbruch der ersten Intifada solidarisiert er sich mit dem palästinensischen Volk, besucht einen jungen Apartheidgegner aus seiner Diözese, der in Südafrika im Gefängnis sitzt. Die UNO lädt ihn zu einer ausserordentlichen Sitzung ein, an der über Abrüstung diskutiert wird. Als erklärter Gegner des Golfkrieges veröffentlicht Jacques Gaillot ein Buch: «Lettre ouverte à ceux qui prêchent la guerre et la font faire aux autres» (Offener Brief an jene, die den Krieg propagieren, ihn aber von anderen führen lassen). Er verurteilt das Wirtschaftsembargo gegen den Irak. Das Buch «Coup de gueule contre l’exclusion» (Protestschrei gegen den Ausschluss), und die scharfe Kritik gegen die Einwanderungsgesetze des damaligen Innenministers, sorgt für grosses Aufsehen und liefert später Rom den Vorwand für seine Absetzung.

 

Eigentlich wollte ihn der Vatikan zum Schweigen bringen: Der Papst hatte Jacques Gaillot im Januar 1995 als Bischof der Diözese Evreux in der Normandie, in Frankreich abgesetzt: Er sei zu liberal und verhalte sich mit seinen radikalen Vorschlägen in kirchlichen, aber auch in politischen Belangen wie ein Rebell. Als Sympathisant gesellschaftskritischer Gruppen störe er die Harmonie zwischen Kirche und Staat. Die weitere Strafe Roms trug geradezu bizzare Züge: Jacques Gaillot wurde offiziell zum Bischof des längst untergegangenen Bistums Partenia in der Wüste von Algerien ernannt.

 

Was Rom nicht ahnte: Der immer bescheiden auftretende Bischof fand gerade nach seiner Absetzung viele neue Freunde. Mit ihnen kommuniziert er von seiner kleinen Klosterzelle in Paris über das Internet: www.partenia.org/ger . Monatlich besuchen mehr als 45000 Menschen aus aller Welt seine in allen wichtigen Sprachen verfassten Webseiten. Sie lesen die regelmässig publizierten Briefe ihres Bischofs und kommunizieren mit ihm im Forum und Chat-Room über gesellschaftliche und kirchliche Probleme. Jacques Gaillot macht aus der Not eine Tugend und fühlt sich nun frei, seine Überzeugung überall dort zu vertreten, wo jemand ihn hören will. Seine Vortragsreisen führen ihn nach Kolumbien, Brasilien, Weissrussland, Palästina, Mexiko, in fast alle Länder Europas: Immer trifft er Menschen am Rande der Gesellschaft und am Rande der Kirche: Die Zukunft der Menschheit liegt in der Peripherie, sagt Gaillot, weil die Zentren der Macht längst viel zu unbeweglich, viel zu phantasielos geworden seien. So reist Jacques Gaillot auch in den Irak, um den Menschen dort seine Solidarität kund zu tun und fügt hinzu: «Als Bischof von Partenia, dem Bistum ohne Grenzen ist es meine Aufgabe, dort zu sein, wo Menschen leiden. Ich gehe nach Bagdad und Bassorah, um eine Botschaft des Friedens zu bringen und für den Frieden zu beten.»

 

Als Buchautor bereichert er die LeserInnen durch die Frische seiner Worte. Von der Aktivität des Bischofs erzählt auch sein neues Buch: «Machtlos, aber frei»: Es zeigt einen Bischof, der von seiner einfachen Unterkunft aus ständig unterwegs ist zu den Menschen, den Ausländern und Obdachlosen, den Aidskranken und Häftlingen. Er lässt sich von Menschen einladen, die nur selten um den Besuch eines Bischof bitten, wie die Freimaurer, Kommunisten, Atheisten, Moslems, landlose Bauern, Friedensaktivisten  und die Homosexuellen. Manche Bekanntschaften ergeben sich aus spontanen Begegnungen, wie zum Beispiel in der Pariser Metro.

Die Tagebuch-Notizen dieses Bischofs ohne ein festumgrenztes Bistum wollen provozieren: Denn für Gaillot ist der Aufbau einer gerechten Gesellschaft das oberste Gebot des christlichen Glaubens, nicht Dogmen zählten, nicht moralische Prinzipien, am wichtigsten sei es, «den vielen Milliarden verarmter Menschen» Lebenschancen zu geben.

In seinem neuen Buch schreibt Jacques Gaillot, dass er vom Pariser Kardinal noch nie zu einem Gespräch eingeladen wurde. Bis heute darf der «Bischof von Partenia» auch nicht an den Sitzungen der Bischofskonferenz teilnehmen.

 

Jacques Gaillot, den die Hierarchie in die Wüste schicken wollte, hat nicht resigniert, ist nicht verbittert, im Gegenteil, er fühlt sich jetzt erst richtig frei. Er kann sonntags an ökumenischen Gottesdiensten teilnehmen und natürlich auch das Abendmahl austeilen; er kann sich an Hausbesetzungen, an Demonstrationen gegen den Krieg beteiligen. Er kämpft an vorderster Reihe für die Aufenthaltsgenehmigungen von Ausländern – den Sans-papiers und ermutigt sie aus dem Schatten herauszutreten .

 

Dass ein solchermassen ungewöhnlicher Bischof Rom in die Wüste verbannt hat, wurde in Frankreich und im Ausland als Ungerechtigkeit empfunden und hinterlässt bei Christen und Nichtchristen tiefe Wunden.

 

Das Buch: Machtlos, aber frei erzählt aus seinem Alltag. Eine spannende und bunte Collage, bei der Leben und Glauben eine Einheit bilden. Jacques Gaillot - ein Troubadour Gottes.

(ISBN 3-905585-03-0, Broschur, 206 Seiten, mit vielen schwarz-weiss Fotos, Euro 15,90)

 

Weitere Informationen über Jacques Gaillot: www.partenia.org/ger

Bücher / Publikationen: www.partenia.org/edition-khaller

 

(EKH   Katharina Haller   Vorderzelgstrasse 6    CH-8700Küsnacht    khaller@partenia.org   2003)