Zu Erzbischof Müller: "Pogromstimmung ... Priester"

Die Äußerungen des römischen Glaubenspräfekten können nicht überraschen. Ihre Unbeweglichkeit gehört ebenso zum bekannten römischen System wie das prinzipielle Misstrauen und die Feindseligkeit gegenüber allen, die in ihrem Glaubensengagement zu anderen Schlüssen kommen. Doch diese können sich mit mehr Recht auf Gottes Geist berufen als die Verteidiger eines Systems, das den Kontakt mit der großen Kirchengemeinschaft schon lange verloren hat.

Erzbischof Müllers anmaßender und wehleidiger Ton, der alles Maß verloren hat, steigert die fundamentalistische Mentalität Roms ins Unerträgliche. Deshalb festigt Erzbischof Müller nur unsere Solidarität mit den Angegriffenen in unserer Überzeugung, dass der Stimme des Präfekten der Glaubenskongregation in der Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche immer weniger Autorität zukommt (Joh 10,12).

Wir laden alle Andersdenkenden, seien es Amtsträger oder nicht, zum gemeinsamen Einsatz für eine Kirchenwirklichkeit ein, die sich vom Geist der Nachfolge und der Barmherzigkeit inspirieren lässt.

Wir sind Kirche-Bundesteam

> Das Interview von Erzbischof Dr. Gerhard Ludwig Müller

> „Neudenken der Gottesfrage oder dogmatische Stagnation?“
Wir sind Kirche zur Ernennung von Bischof Prof. Dr. G. L. Müller als Präfekt der Glaubenskongregation (2. Juli 2012)






Andere Stimmen zum Interview

Die Kirche macht sich blind gegenüber Kritik
Es ist höchste Zeit für ein neues Gebot Gottes, denn fast jede religiöse Gemeinschaft sieht sich in irgendeiner Opferrolle und missachtet dabei völlig die wahren Opfer und Verfolgten. Von Matthias Kamann
> 3.2.2013 welt.de

Gegenwind für Erzbischof Müller
Gerhard Ludwig Müller ist seit einem halben Jahr Präfekt der Glaubenskongregation in Rom. Seine jüngsten Äußerungen stoßen auf Widerspruch beim Kirchenvolk.
> 3.2.2013 mittelbayerische.de

Empörung über Erzbischof Müller: "Gefährlich geschichtsvergessen"
Der Chef der Glaubenskongregation des Vatikans, Gerhard Ludwig Müller, erntet heftige Kritik für seine Äußerung über eine vermeintliche "Pogromstimmung" gegen die Kirche. Politiker finden sie geschmacklos, auch der oberste Vertreter der katholischen Laien widerspricht entschieden.
> 3.2.2013 spiegel.de

Deutsche Bischofskonferenz muss sich von Erzbischof Müller distanzieren
Scharfe Kritik: "Versuch der Verfälschung von Zeitgeschichte"
> 3.2.2013 Bundesstiftung Magnus Hirschfeld





Erzbischof Müller beklagt Pogromstimmung gegen Priester

03.02.2013 Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, sieht eine Pogromstimmung gegen die katholische Kirche entstehen. Das sagte er im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“. Müllers Aussage stieß u.a. bei der deutschen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf Kritik. Wörtlich zitiert „Die Welt“ den früheren Regensburger Bischof in ihrer Samstagsausgabe mit den Worten: „Gezielte Diskreditierungs-Kampagnen gegen die katholische Kirche in Nordamerika und auch bei uns in Europa haben erreicht, dass Geistliche in manchen Bereichen schon jetzt ganz öffentlich angepöbelt werden. Hier wächst eine künstlich erzeugte Wut, die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnert.“ In Blogs und „auch im Fernsehen“, so Müller weiter, würden „Attacken gegen die katholische Kirche geritten, deren Rüstzeug zurückgeht auf den Kampf der totalitären Ideologien gegen das Christentum“.

Die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger erklärte dazu in der „Welt am Sonntag“, Vergleiche mit dem Holocaust seien „geschmacklos, wenn es um unterschiedliche Auffassungen in unserer Gesellschaft zu aktuellen Fragen wie auch der Rolle der Ehe, Familie und eingetragenen Lebenspartnerschaften geht“. Die katholische Kirche müsse sich drängenden Problemen stellen und könne sich nicht durch „Verweis auf vermeintliche Sonderstellung ihrer Verantwortung entziehen“. Zuvor hatte sich bereits der „Humanistische Verband Deutschlands“ (HVD) empört über die Wortwahl von Erzbischof Müller gezeigt. Leutheusser-Schnarrenberger ist Mitglied im HVD-Beirat. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth nannte Müllers Äußerung am Sonntag „absolut inakzeptabel“.

Kritik am Dialogprozess

In dem Interview kritisierte Müller auch den Dialogprozess innerhalb der deutschen Kirche. Wörtlich meinte er: „Dialogprozess ist gut. Aber man muss auch über das Wesentliche reden und nicht die gleichen Probleme immer wieder neu auftischen.“ Als Beispiel für immer wieder neu aufgetischte Probleme nannte Müller „die Forderung nach einem sakramentalen Weiheamt für die Frau. Es ist nicht möglich. Nicht weil die Frauen weniger wert wären, sondern weil es in der Natur des Weihesakramentes liegt, dass Christus in ihm repräsentiert wird als Bräutigam im Verhältnis zur Braut“.

Auch eine Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sei „für die katholische Kirche nicht möglich. Solche Partnerschaften sind grundsätzlich in keiner Weise mit den Ehen gleichzustellen.“ Einen Reformstau in der katholischen Kirche sieht Müller nur insofern, als „man die wesentlichen Themen nicht anpackt: die Teilhabe an den Sakramenten, die Kenntnis des Glaubens“. Das Wort Reform dürfe „nicht beschlagnahmt werden, um die eigentliche Erneuerung in Christus zu bremsen“.

Mit Blick auf die Auseinandersetzungen der Kurie mit den Piusbrüdern sagte Müller, dass die Geduld des Vatikans mit den abtrünnigen Traditionalisten nicht endlos sei: „Die Glaubenskongregation hat der Priesterbruderschaft die Dogmatische Präambel vorgelegt. Daraufhin ist bis jetzt keine Antwort erfolgt. Wir warten aber nicht endlos.“

(welt-online/kna/rv 03.02.2013 sk)

http://de.radiovaticana.va/articolo.asp?c=661623

Präfekt der Glaubenskongregation: Pogromstimmung gegen Priester

01. Februar 2013 Erzbischof Gerhard Ludwig Müller kritisiert "Dialogprozess" der Deutschen Bischofskonferenz - "Reformstau", da wesentliche Themen nicht angepackt werden - Geduld mit der Piusbruderschaft nicht endlos

Rom (kath.net) Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, sieht eine Pogromstimmung gegen die katholische Kirche entstehen. In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ spricht Müller davon , dass „gezielten Diskreditierungs-Kampagnen“ gegen die katholische Kirche in Nordamerika und auch bei uns in Europa inzwischen erreicht haben, dass Geistliche in manchen Bereichen schon jetzt ganz öffentlich angepöbelt werden. Der Präfekt spricht dann von einer künstlich erzeugten Wut, die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnerte. In Blogs und "auch im Fernsehen", so Müller weiter, würden "Attacken gegen die katholische Kirche geritten, deren Rüstzeug zurückgeht auf den Kampf der totalitären Ideologien gegen das Christentum".

Kritik übte Erzbischof Müller auch am Dialogprozess der Deutschen Bischofskonferenz und meint: "Dialogprozess ist gut. Aber man muss auch über das Wesentliche reden und nicht die gleichen Probleme immer wieder neu auftischen"“. Als Beispiel für immer wieder neu aufgetischte Probleme nennt Müller "die Forderung nach einem sakramentalen Weiheamt für die Frau. Es ist nicht möglich. Nicht weil die Frauen weniger wert wären, sondern weil es in der Natur des Weihesakramentes liegt, dass Christus in ihm repräsentiert wird als Bräutigam im Verhältnis zur Braut". Auch eine Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sei für die katholische Kirche nicht möglich. Diese Partnerschaften seien grundsätzlich in keiner Weise mit den Ehen gleichzustellen." Auch den Zölibat verteidigt der Präfekt: "Der Zölibat der Priester entspricht dem Beispiel und Wort Jesu und hat in der geistlichen Erfahrung der lateinischen Kirche eine besondere Ausprägung gefunden."

Es gebe "kein Anzeichen, dass die Verantwortlichen in der Kirche daran rütteln würden, aus bestimmten falschen Vorstellungen heraus, als wäre es eine Naturnotwendigkeit, Sexualität zu praktizieren, innerhalb oder außerhalb einer Ehe." Die Ehelosigkeit sei "um des Himmelreiches im Evangelium grundgelegt." Für Müller gibt es insofern einen „Reformstau“ in der katholischen Kirche, da „wesentliche Themen“ nicht angepacken werden. Der Präfekt meinte hier konkret die Teilhabe an den Sakramenten und die Kenntnis des Glaubens". Auch zum Thema „Piusbruderschaft“ spricht der Erzbischof Klartext. Die Geduld des Vatikans mit den abtrünnigen Traditionalisten sei nicht endlos: "Die Glaubenskongregation hat der Priesterbruderschaft die Dogmatische Präambel vorgelegt. Daraufhin ist bis jetzt keine Antwort erfolgt. Wir warten aber nicht endlos."

www.kath.net/detail.php?id=39921





"Gezielte Diskreditierung der katholische Kirche"

2. Februar 2013 Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, Leiter der Römischen Glaubenskongregation, verteidigt die Dogmatik der katholischen Kirche und spricht von Pogromstimmung gegenüber dem Christentum. Von Paul Badde und Gernot Facius

Erzbischof Gerhard Ludwig Müller ist seit gut einem halben Jahr Leiter der Römischen Glaubenskongregation - und damit in diesem Amt Nachfolger von Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI. Die Aufgabe der Zentralbehörde der römisch-katholischen Kirche ist der Schutz vor Häresien, also abweichenden Glaubensvorstellungen. Müller gilt nicht nur als einer der weltweit renommiertesten und meistzitierten deutschen Theologen, sondern auch als konservativer Hardliner, was seine Haltung zur Arbeit von kritischen Laien, zum ökumenischen Dialog und zu Reformen in der Kirche betrifft.

Die Welt: Sie waren Bischof von Regensburg. Der Papst hat Sie nach Rom geholt. Ändert der Ortswechsel den Blickwinkel?

Erzbischof Gerhard-Ludwig Müller: Ich habe mich immer als Katholik gefühlt. Anders als in Regensburg werde ich es hier weder machen wollen noch können.

Die Welt: Gibt es in der deutschen Kirche einen antirömischen Affekt?

Müller: Es gibt keine deutsche Kirche. Es gibt 27 Bistümer in Deutschland, die eine gewisse kulturelle und sprachliche Einheit darstellen. Deshalb kann man von der katholischen Kirche in Deutschland sprechen, aber nicht von einer „deutschen“ Kirche. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden und hat für alle Menschen sein Leben hingegeben, auch für seine lieben Deutschen.

Die Welt: Gibt es auch keinen „römischen Zentralismus“?

Müller: Wir leiden darunter, dass wir zu wenig Einheit haben. Die Kirche krankt nicht am Zentralismus, sondern eher daran, dass die Zentrifugalkräfte zu stark sind. Rom ist kein bürokratisches Zentrum für die Kirche, sondern garantiert die Orientierung an den Nachfolger Petri.

Die Welt: Bilden die alten deutschen Streitthemen – Zölibat, wiederverheiratete Geschiedene und so weiter – nicht dennoch wichtige Streitthemen der Gesamtkirche ab?

Müller: Es ist ein Zerrspiegel, wenn gerade in Deutschland nicht am meisten beunruhigt, dass über 80 Prozent der Getauften nicht regelmäßig am Sonntag an der Eucharistie teilnehmen, also an der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi. Die Frequenz und Mitfeier der Sakramente, der Eucharistie, der Buße, der Ehe, die Sorge um geistliche Berufungen, die Erneuerung des Ordenslebens, das sind wesentliche Themen. Die Gottesfrage muss im Mittelpunkt stehen, nichtirgendwelche zweitrangige Fragen.

Die Welt: Die Forderung nach größerer Teilhabe der Laien ist doch nicht zweitrangig?

Müller: Die Laien haben wesentlich teil an der Kirche. Sie haben jedoch einen Weltauftrag. Das kirchliche Amt der Priester und Bischöfe hingegen ist ein Dienst für das Ganze der Kirche, zu dem sie von Christus eingesetzt sind. Dazu haben sie sich nicht selber ermächtigt zu ihrem eigenen Ruhm und Vorteil.

Die Welt: Kardinal Ratzinger sagte der WELT 1988, dass seiner Ansicht nach über dem deutschen Katholizismus ein Gefühl des Lauwarmen und Langweiligen liege. Hat sich das geändert im siebten Jahr des deutschen Pontifikats?

Müller: Das kommt darauf an, wie die Kirche betrachtet wird. Das ist ja oft feindselig, wenn man die veröffentlichte Meinung als Maßstab nimmt. Aber es kommt auch darauf an, wie die Kirche sich innerlich selbst erfasst. Dialogprozess ist gut. Aber man muss auch über das Wesentliche reden und nicht die gleichen Probleme immer wieder neu auftischen.

Die Welt: Zum Beispiel?

Müller: Die Forderung nach einem sakramentalen Weiheamt für die Frau. Es ist nicht möglich. Nicht weil die Frauen weniger wert wären, sondern weil es in der Natur des Weihesakramentes liegt, dass Christus in ihm repräsentiert wird als Bräutigam im Verhältnis zur Braut. Auch eine Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist für die katholische Kirche nicht möglich. Solche Partnerschaften sind grundsätzlich in keiner Weise mit den Ehen gleichzustellen. Nächstes Beispiel: Der Zölibat der Priester entspricht dem Beispiel und Wort Jesu und hat in der geistlichen Erfahrung der lateinischen Kirche eine besondere Ausprägung gefunden. Es gibt kein Anzeichen, dass die Verantwortlichen in der Kirche daran rütteln würden, aus bestimmten falschen Vorstellungen heraus, als wäre es eine Naturnotwendigkeit, Sexualität zu praktizieren, innerhalb oder außerhalb einer Ehe. Oder weil man meint, den Zölibat einer pastoralen Strategie opfern zu müssen. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist im Evangelium grundgelegt.

Die Welt: Kein katholischer Reformstau, nirgends?

Müller: Doch, aber er besteht darin, dass man die wesentlichen Themen nicht anpackt: die Teilhabe an den Sakramenten, die Kenntnis des Glaubens. Das Wort Reform hat in der Kirche einen guten Klang. Es darf nicht beschlagnahmt werden, um die eigentliche Erneuerung in Christus zu bremsen. Unter Reform der Kirche müssen wir die Reformen verstehen, wie sie von Reformern wie dem heiligen Franziskus betrieben wurden, mit seiner radikalen Kreuzesnachfolge, oder von Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila, oder die Erneuerung nach dem Konzil von Trient in der Liturgie und allen Bereichen des christlichen Lebens, mit der Erneuerung der Volksfrömmigkeit. Das ist Reform der Kirche.

Die Welt: Von der Reform zur Reformation. Diese Woche steht unter dem Anspruch der ökumenischen Einheit aller Christen. Vor 10 Jahren wählten Sie bei Ihrer Bischofsweihe das Wort „Dominus Jesus“ (Christus ist der Herr) zum Wahlspruch. Zwei Jahre zuvor hatte eine Schrift Kardinal Ratzingers unter dem gleichen Motto viele Irritationen erzeugt, besonders unter den evangelischen Christen.

Müller: Das Pauluswort wurde von den Wortführern dieser Bewegung bewusst falsch ausgelegt. Mit anfänglichen Kenntnissen der Theologie müsste jeder wissen, dass die Einzigartigkeit der Erlösungstat Christi und der Person Christi das Fundament des ganzen Christentums ist.

Die Welt: In der Schrift Kardinal Ratzingers wurden aber die evangelischen Kirchen nur als „kirchliche Gemeinschaften“ benannt?

Müller: Die Konsequenz des Verständnisses von Kirche liegt auf der Hand, wenn wir mit den evangelischen Christen das Glaubensbekenntnis sprechen, wo wir uns zur einen Kirche bekennen. Worin ist aber die Einheit begründet? Wir sagen, zuerst ist die sichtbare Kirche. Christus hat sie gegründet, und zu ihr gehört ihre Einheit wesentlich hinzu. Die evangelische Seite sagt, zuerst ist die unsichtbare Kirche und wir sind inder Unsichtbarkeit im Glauben an Christus geeint. Dieses Kirchenverständnis können wir nicht gegen unser Gewissen übernehmen.

Die Welt: Sind die getrennten Christen aber untereinander nicht schon viel weiter in der Ökumene als die Theologen?

Müller: Es gibt die Gefahr, dass Desinteresse und Indifferentismus die Gegensätze abbauen, weil man die Unterschiede gar nicht mehr für relevant hält oder nicht mehr versteht. Dennoch ist es nicht die alte Feindschaft, die oft bis ins Psychologische hinein gegangen ist, was die Konfessionen unterscheidet, sondern unterschiedliche Auffassungen zu wichtigen Themen des geoffenbarten Glaubens. Hier gibt es nach wie vor Gegensätze. Die kann man nicht einfach wegwischen, als könnten wir uns hier auf der Ebene eines Parteiprogramme einigen.

Die Welt: Aber hat es nicht gewaltige theologische Fortschritte inder Ökumene gegeben?

Müller: Ja, aber leider tun sich plötzlich in wichtigen ethischen Fragen neue Differenzen auf. Es gibt offizielle Verlautbarungen, von denen wir im ökumenischen Dialog nicht mehr sehen, wie das mit klaren Aussagen der Heiligen Schrift in Übereinstimmung steht. Wenn mit historisch kritischen Methoden alles relativiert oder als zeitbedingt dargestellt wird, wie kann dann die Bibel noch Norm für das Leben sein? Die ethischen Prinzipien sind nicht zeitbedingt. Mann und Frau, die eine Ehe bilden, wo Kinder beheimatet sind, das ist Ausdruck des Schöpferwillens Gottes. Das hat nichts mit Zeitbedingtheit zu tun.

Die Welt: Wäre Zeitbedingtheit so schlimm?

Müller: Wenn wir versuchen, nicht nur die Kirche an zeitgeistige Ideologien anzupassen, sondern auch das natürliche Sittengesetz, geraten wir an ganz gewichtige Mängel. Deshalb kämpfen wir auch gegen Abtreibung: die Tötung von Menschen im Mutterleib. Das ist keine katholische Besonderheit. Die Verteidigung der menschlichen Grundrechte ist allerdings in der katholischen Kirche in den besten Händen. Die grundlegenden moralischen Imperative sind den Menschen ins Herz eingeschrieben. Die Treue zu diesem natürlichen Recht ist der Weg, der auch der katholischen Kirche selbst eine Zukunft weist, als Zeichen für eine bessere Zukunft der Menschheit. Eine Kultur des Todes hat keine Zukunft.

Die Welt: Welche Impulse hat das II. Vatikanische Konzil für die Ökumene gegeben?

Müller: Im II. Vatikanum sagen wir, dass wir die Bedeutung der evangelischen und nichtkatholischen Gemeinschaften durchaus anerkennen. Die meisten Christen dieser Gemeinschaften sind ja nicht dort hinein gekommen, weil sie sich persönlich von der katholischen Kirche getrennt haben, sondern sie kommen selber schon aus dieser getrennten Tradition. Wir betrachten sie nicht als Häretiker oder Schismatiker.

Die Welt: Könnten Sie den Geist des Konzils in einer Nussschale zusammen fassen?

Müller: Der Geist des Konzils ist der Heilige Geist. Es ist der Geist, der in allen Konzilien gesprochen hat und in dem die Heilige Schrift, die Apostolische Überlieferung und alle Lehraussagen der Kirche entstanden sind. Der Ungeist hingegen ist immer mit der Spaltung beschäftigt.

Die Welt: Aber kein Konzil hat doch so viele Worte produziert wie das II. Vatikanum?

Müller: Die Länge von Texten ist noch nichts, was schon gegen sie spricht. „Die ganze Welt könnte die Bücher nicht fassen, wenn man das alles aufschreiben würde, was mit Jesus geschehen ist und was er gesagt hat“, sagt der Evangelist Johannes. Da ist also immer die Spannung zwischen diesem einen Wort Gottes, das Fleisch geworden ist, und den vielen Worten, die wir Menschen machen, weil wir das Geheimnis Gottes nicht mit einem menschlichen Wort voll zur Sprache bringen können. Wenn wir aber jetzt wieder die Dokumente „Lumen gentium“ anschauen oder „Dei Verbum“, dann ist da eigentlich kein Satz zu viel.

Die Welt: Wie geht der Prozess der Aussöhnung mit den entzweiten Piusbrüdern weiter?

Müller: Einfach und schwer. Die Glaubenskongregation hat der Priesterbruderschaft die Dogmatische Präambel vorgelegt. Die beinhaltet nichts als die Ganzheit des katholischen Glaubens, wo legitimer Weise dem Papst die letztverbindliche Lehrautorität zusteht. Daraufhin ist bis jetzt keine Antwort erfolgt. Wir warten aber nicht endlos.

Die Welt: Von der Theologie zum Glauben. Über „unaufgeklärten“ Kinderglauben machen sich katholische und evangelische Theologen schon beide lange lustig?

Müller: Es ist eine besondere intellektuelle Überheblichkeit, wenn einer meint, die Beherrschung des großen Einmaleins mache das kleine Einmaleins überflüssig. Das Kleine ist die Voraussetzung für das Große. Die Prinzipien sind gleich.

Die Welt: Heribert Prantl sagte kürzlich, dass sich hinter der Jungfrauengeburt ein „emanzipatorischer Begriff“ verberge, „der besagt, dass etwas Neues zur Welt kommt, das nicht patriarchaler Macht entspringt.“

Müller: (lacht) Erstaunlich. Es ist allerdings nicht das „Patriarchat“, um das es hier geht. Hier geht es um die Tatsache, dass Gott Mensch wird und ein menschliches Elternpaar das nicht von sich aus verwirklichen könnte. Deshalb hat das Wort Gottes, Jesus Christus, die menschliche Natur aus der Jungfrau Maria angenommen – ohne menschlichen Vater. Hier geht es nicht um einen Geschlechterkampf, bei dem der liebe Gott Partei ergreift.

Die Welt: Josef war nicht der leibliche Vater?

Müller: Nein. Wer das nicht akzeptiert, stellt sich gegen den Glauben, wie er von Lukas und Matthäus bezeugt und von der Kirche immer so ausgelegt worden ist. Die Geburt Christi aus der Jungfrau Maria ist aber auch früher geleugnet worden, weil ja nicht sein kann, dass aus einer Frau allein ein Kind entsteht. Aber hier geht es eben um das Wirken Gottes. Gott wollte aus der Jungfrau Maria geboren werden.

Die Welt: Ist Jesus auch lebendig von den Toten auferstanden?

Müller: Er ist auferstanden und mit seiner verklärten Leiblichkeit in die Herrlichkeit Gottes eingegangen. Von dort wird er wieder kommen in sichtbarer Leiblichkeit.

Die Welt: Das Grab war leer?

Müller: Das leere Grab gehört wesentlich zum Ostergeschehen. Mit der Auferstehung Christi vollzog sich eine echte Neuschöpfung. Sie ist der Anfang der neuen Welt, des neuen Himmels und der neuen Erde.

Die Welt: Francis Kardinal George sagt in Chicago, dass er wohl im Bett sterben werde, sein Nachfolger vielleicht im Gefängnis und dessen Nachfolger drohe eine Ermordung. Teilen Sie diese Skepsis?

Müller: Gezielte Diskreditierungs-Kampagnen gegen die katholische Kirche in Nordamerika und auch bei uns in Europa haben erreicht, dass Geistliche in manchen Bereichen schon jetzt ganz öffentlich angepöbelt werden. Die daraus entstandene Stimmung sieht man in vielen Blogs. Auch im Fernsehen werden Attacken gegen die katholische Kirche geritten, deren Rüstzeug zurückgeht auf den Kampf der totalitären Ideologien gegen das Christentum. Hier wächst eine künstlich erzeugte Wut, die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnert.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article113313904/Gezielte-Diskreditierung-der-katholische-Kirche.html

Zuletzt geändert am 06­.02.2013