Enzyklika „Spe Salvi"

Hoffnung für den Glauben, doch welche Hoffnungen für die Kirchen? + Stellungnahme von Prof. Dr. Norbert Scholl

> Text der Enzyklika

> Stellungnahme von Prof. Dr. Norbert Scholl zur neuen Enzyklika des Papstes


Pressemitteilung zur zweiten Enzyklika von Papst Benedikt „Spe Salvi – Gerettet, auf Hoffnung hin“
München, 30.11.2007

Auch die zweite Enzyklika von Papst Benedikt ist nach Ansicht der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche ein eindrucksvolles und eingängiges Dokument, das bei erster Durchsicht viel Zustimmung erfahren wird. Vom Stil mehr ein Bekenntnis- als ein Lehrschreiben, ist diese Enzyklika ein klarer und wichtiger Appell an die Christenheit, sich im Dialog mit der Gegenwart der Grundlagen christlicher Hoffnungen wieder sehr viel deutlicher bewusst zu werden. Der geforderten „Selbstkritik der Neuzeit“ wird aber auch, und das ist zu begrüßen, eine „Selbstkritik des neuzeitlichen Christentums“ gegenübergestellt, eines Christentums, „das von seinen Wurzeln her sich selbst immer wieder neu verstehen lernen muss.“ (Seite 30)

Doch bei allem Positiven, was diese Enzyklika zu sagen hat und was über sie zu sagen sein wird, stellen sich auch Fragen. Denn eine Enzyklika von Papst Benedikt XVI. hat einen anderen Stellenwert und Anspruch als ein Aufsatz des Theologen Joseph Ratzinger.

1. Warum hat der Papst, der als junger Konzilstheologe das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) miterlebt, beraten und mitgestaltet hat, keinerlei Bezug auf dieses Konzil und dessen wegweisende Dokumente „Gaudium et Spes“ (Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute) und „Lumen gentium“ (Dogmatische Konstitution über die Kirche) genommen? Beide Konzilstexte thematisieren die christliche Hoffnung in zentraler Weise und dürfen durch die neue Enzyklika keinesfalls zurückgesetzt oder gar überschrieben werden.

2. Als verantwortlicher oberster Hirte und Bischof der größten christlichen Glaubensgemeinschaft muss sich Papst Benedikt fragen lassen, welche konkreten Hoffnungen diese Enzyklika auch für das Leben der Gläubigen in der römisch-katholischen Kirche bringen wird? Er schreibt, und dies kann nicht nur für politische Systeme gelten: „Strukturen sind nicht nur wichtig, sondern notwendig, aber sie können und dürfen die Freiheit des Menschen nicht außer Kraft setzen“ (Seite 37). Doch die Liste der Maßregelungen und Einschüchterungen unter Joseph Ratzinger als langjährigem Präfekten der Glaubenskongregation und jetzt unter ihm als Papst ist – leider – lang.

3. Welche konkreten Hoffnungen bringt diese Enzyklika für die Ökumene, und zwar nicht nur mit den Ostkirchen sondern auch mit den aus den Reformationen hervorgegangenen Kirchen?

>>> Spes ohne Gaudium Pressemitteilung der österreichischen Plattform Wir sind Kirche




Stellungnahme von Prof. Dr. Norbert Scholl zur neuen Enzyklika des Papstes

Benedikt XVI. hat - wie nicht anders zu erwarten - mit seiner zweiten Enzyklika "'SPE SALVI facti sumus' - auf Hoffnung hin sind wir gerettet' einen tief schürfenden und geistreichen Traktat über die christliche Hoffnung vorgelegt.

Zuerst zeigt er ausführlich das Verständnis der Hoffnung im Neuen Testament und in der frühen Kirche auf. Dann wendet er sich gegen den Vorwurf, die christliche Hoffnung sei individualistisch, und weist nach, dass selbst im Mönchtum der Gedanke lebendig war, dass christlicher Glaube und christliche Hoffnung sich nicht von der Welt abwenden dürfen. Der Papst kritisiert die Umwandlung des christlichen Hoffnungsglaubens in der Neuzeit, in der "Fortschrittsglauben als neuer Gestalt menschlicher Hoffnung" und "Vernunft und Freiheit als die Leitsterne" gesehen werden (20). Benedikt betont, dass die menschliche Vernunft nur dann wirklich menschlich sei, "wenn sie dem Willen den Weg zeigen kann, und das kann sie bloß, wenn sie über sich hinaussieht" (23). Dieses Über-sich-hinaus-sehen.ist für ihn mit der christlichen Hoffnung gegeben.

Nun versucht der Papst, die "wahre Gestalt der christlichen Hoffnung" zu umreißen. Er sieht sie nicht in Strukturen gegeben. Denn "der rechte Zustand der menschlichen Dinge, das Gutsein der Welt, kann nie einfach durch Strukturen allein gewährleistet werden, wie gut sie auch sein mögen. Solche Strukturen sind nicht nur wichtig, sondern notwendig, aber sie können und dürfen die Freiheit des Menschen nicht außer Kraft setzen" (24a). Immerhin: "Gute Strukturen helfen, aber sie reichen allein nicht aus" (25). "Nicht die Wissenschaft erlöst den Menschen. Erlöst wird der Mensch durch die Liebe" (26).

Schließlich - und darauf ist man natürlich besonders gespannt - nennt der Papst "Lern- und Übungsorte der Hoffnung." An erster Stelle steht für ihn das Gebet. "Beten bedeutet nicht, aus der Geschichte auszusteigen und sich in den privaten Winkel des eigenen Glücks zurückzuziehen" (33). An zweiter Stelle sieht Benedikt "Tun und Leiden als Lernorte der Hoffnung" an. "Alles ernsthafte und rechte Tun des Menschen ist Hoffnung im Vollzug. Zunächst in dem Sinn, dass wir dabei unsere kleineren oder größeren Hoffnungen voranzubringen versuchen: diese oder jene Aufgabe lösen, die für den weiteren Weg unseres Lebens wichtig ist; durch unseren Einsatz dazu beitragen, dass die Welt ein wenig heller und menschlicher wird und so auch sich Türen in die Zukunft hinein auftun" (35). Doch "zur menschlichen Existenz gehört das Leiden ebenso wie das Tun. [."> Natürlich muss man alles tun, um Leid zu mindern: das Leid der Unschuldigen zu verhindern, so gut es geht; Schmerzen zu lindern; in seelischem Leid zur Überwindung zu helfen. All dies sind Pflichten sowohl der Gerechtigkeit wie der Liebe" (36). An dritter Stelle erwähnt der Papst noch das (letzte) Gericht als Lern- und Übungsort der Hoffnung. Mit einem Kapitel über "Maria, Stern der Hoffnung" beschließt er die fast 18.000 Wörter umfassende Enzyklika.

Ich frage mich: Was wird dieses Schreiben bewirken? Wird es die Menschen mit neuer Hoffnung erfüllen? Wird es helfen, manche Hoffnungslosigkeit in Welt und im Volk Gottes zu überwinden? Ich kann es mir kaum vorstellen. Mir kommt der Papst vor wie ein Traumtänzer, der über der ihm anvertrauten Kirche schwebt und nicht auf die Risse im Gemäuer und die drohende Einsturzgefahr achtet, die für jeden halbwegs wachen Beobachter immer deutlicher erkennbar werden. Er spricht von Hoffnung und denkt nicht daran, dass in Südafrika täglich Menschen sterben, die gerettet werden könnten, wenn die kath. Kirche endlich aufhören würde, den Gebrauch von Präservativa zu verdammen. Er predigt Hoffnung von seinem Heiligen Stuhl herab und übersieht nicht Hoffnungslosigkeit und Resignation, die sich unten beim Volk Gottes mehr und mehr ausbreiten. Er redet von Hoffnung und ist nicht bereit, den selbstmörderischen Kurs der römischen Zentrale zu stoppen:

  • Priester werden erbarmungslos verheizt, indem ihnen immer mehr Pfarreien aufgebürdet werden,
  • die Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Dienst werden nicht geändert, weil man an einem Gesetz aus dem Jahre 1215 nicht rütteln will,
  • Pfarreien gehen zugrunde, weil ihnen kein Gemeindeleiter zugestanden wird,
  • Frauen wandern aus, weil ihnen wegen eines "unfehlbaren" Satzes in einem fehlbaren Dokument der Zugang zu Diakonat und Ordination verweigert wird,
  • wiederverheiratete Geschiedene werden nicht zu den Sakramenten zugelassen, obwohl die von Rom so hofierte Ostkirche das seit Jahrzehnten so praktiziert,
  • die Kirchen der Reformation werden herablassend als "kirchliche Gemeinschaften" abqualifiziert,
  • den Beraterinnen von "Donum Vitae", die Rat suchenden und verzweifelten Schwangeren Hoffnung geben wollen, werden die Daumenschrauben angezogen, und die deutschen Katholiken werden angewiesen, dem Verein keine Geldmittel mehr zufließen zu lassen und ihm jegliche Form der Unterstützung zu versagen.

Die Beispiele ließen sich vermehren. Ich denke an den Jakobusbrief. Dort heißt es (ich ersetze das dort vorzufindende Wort "Glaube" durch "Hoffnung"): "Meine Schwestern und Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Hoffnung, aber es fehlen die Werke? Kann etwa die Hoffnung ihn retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ih­nen aber nicht, was sie zum Leben brauchen - was nützt das? So ist auch die Hoffnung für sich allein tot, wenn sie nicht Werke vorzuweisen hat" (Jak 2,14-17).

Ich möchte dem Papst zurufen: "Benedikt, erwache aus deinen geistigen und theologischen Höhenflügen und beginne endlich zu handeln, damit die Kirche wieder hoffen darf!"

Zuletzt geändert am 01­.12.2007