25.7.2010 - Münchner Kirchenzeitung

Wir sind Kirche

Kolumne von Professor Alois Baumgartner (68), Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum

Dass unsere Kirche seit geraumer Zeit angefochten ist, dass sie nicht vom Aufwind getragen ist und keinen Rückenwind in ihren Segeln verspürt, kann niemandem entgangen sein. Wer sich heute in der Kirche engagiert, muss sich rechtfertigen, wie sich vor fünfzig Jahren in einem ober- oder niederbayrischen Dorf diejenigen rechtfertigen mussten, die der Kirche fern blieben. Nun gibt es, wie immer, auch jetzt den Versuch, die Anfechtung der Kirche ihren Feinden oder zumindest den Kampagnen der Medien zuzuschreiben. Gewiss, es ist auch nicht zu, übersehen, dass in manchen Redaktionen diejenigen Raum gewinnen, deren Antikirchlichkeit Objektivität nicht mehr zulässt. Wir brauchen hier nicht naiv zu sein. Aber jetzt zu meinen, der gegenwärtige Zustand der Kirche sei das Werk ihrer Feinde, ist völlig abwegig. Was die Kirche heute anficht, kommt aus ihr selbst und geht leider auch nicht von ihren Rändern aus.

Was bedeutet das für uns Katholiken? Wie stehen wir zu dieser Kirche? Welche Art von Kirchlichkeit ist angesagt? Sicher kommt keine Erneuerung von denen, die Kirche nur als Dienstleistungs-Unternehmen betrachten und dessen Produkte aus dem Sortiment sonstiger aktueller Angebote gelegentlich abrufen.

Ich glaube auch nicht, dass die Hilfe von denen kommt, die zwar die Erneuerung der Kirche auf ihre Fahnen schreiben, aber im Grunde wie Agenten eines immerwährenden kritischen Katholizismus zu Gange sind: ständig unterwegs, das Unvermögen der Kirche aufzudecken und zu geißeln. Sie lassen keine Fernsehkamera und kein Mikrofon aus, um willkommene Kirchenkritik abzuliefern. Die reale Kirche, mit ihrer segensspendenden Kraft und mit ihren Fehlern, ist ihnen längst zum Gegenüber geworden.

Und dann gibt es auch noch jene, die jede kritische Äußerung in der Kirche als Selbstschwächung verabscheuen und sich die Kirche als geschlossene Formation wünschen, die sich hinter den Bischöfen (nicht allen) und dem Papst (nicht immer) versammeln. Es ist eine seit dem 19. Jahrhundert sich durchhaltende Form des Gefolgschaftskatholizismus. Ihm ist die innerkirchliche Pluralität zuwider, obwohl er selbst Teil dieser Pluralität ist.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns ein anderes Bild von Kirche vor Augen gestellt: Kirche als Gemeinschaft, in der man lebt, mit der man leidet und mit der man sich identifiziert; eine Kirche, in der Kritik erlaubt ist, aber nie ohne ein Moment der Selbstkritik; eine kirchliche Gemeinschaft, die um die Notwendigkeit kirchlicher Institutionen weiß, aber Kirche nicht als Institution versteht; eine Gemeinschaft, die ihre Einbindung in die Welt- und Ortskirche und ihre Verbundenheit mit Papst und Bischof nicht zuerst in Ergebenheitsadressen und Kundgebungen sucht, sondern bei jeder Eucharistiefeier im Hochgebet bezeugt.

Alois Baumgartner







In der Münchner Kirchenzeitung wurden dazu am 1.8.2010 drei Leserbriefe und am 8.8.2010 vier Leserbriefe abgedruckt. Siehe auch unter LeserInnenbriefe.

Zuletzt geändert am 07­.08.2010