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Veröffentlicht am 13­.09.2024

13.9.2024 - Neue Westfälische, Ausgabe Paderborn

Auf ein Wort! Gib mir ein hörendes Herz

Von Werner Glenewinkel

In der Bibel, Könige I, 3/9, wird geschildert, wie der junge König Salomo um Weisheit betet. Zu unerfahren bittet er um ein „gehorsames Herz“, damit er das Volk verstehe. Gemeint ist wohl „ein hörendes Herz“, denn nur im Hören könne er seiner großen Aufgabe gerecht werden. Er ist - würde man heute sagen - auf Resonanz angewiesen.

2022 lautete die Jahreslosung des Katholikentages „Gib mir ein hörendes Herz“. Sie war für den Soziologen Hartmut Rosa Anlass, sich näher damit zu beschäftigen. Entstanden ist ein Buch „Demokratie braucht Religion. Über ein eigentümliches Resonanzverhältnis“. „Genau das ist es,“ schreibt er zu Beginn, „was wir als Gesellschaft und als Einzelne brauchen, um ein gelingendes Einzelleben und ein gelingendes Zusammenleben zu haben:“ Ein hörendes Herz.

Kann die Religion heutzutage der Demokratie unter die Arme greifen? Ja, sagt Rosa. Religion spiele noch eine sehr wichtige Rolle in unserer aktuell krisenhaften Gesellschaft. Um aus der Krise herauszufinden, bedürfe es „religiöser Einrichtungen, Traditionen, Praktiken, Gedankengebäude, Überzeugungen, Riten“ – kurz: Es mangele dieser Gesellschaft „massiv am hörenden Herzen“.

Wenn König Salomo schon nach einem „hörenden Herz“ verlangte, um das Volk verstehen zu können – bräuchte dann die Demokratie nicht um so mehr ein „hörendes Herz“?  Ja, meint Rosa. Das „Hörende Herz“ eigne sich in einer Demokratie zum Bild für Teilhabe: Hören und Sprechen, dem anderen zuhören und ihm antworten wollen, sich „anrufen lassen“. Uns nicht im Hamsterrad im „rasenden Stillstand“ – verausgaben, sondern auch „aufwärts hören“, nach außen lauschen und uns von einer anderen Stimme erreichen lassen.

Wie jeder einzelne bedürfe gerade auch die demokratische Gesellschaft dieser Fähigkeit, sich anrufen zu lassen, also Resonanz zu zeigen. Das ist einfacher gesagt als getan. Die Verfassungsrechtlerin Schönberger beschreibt die Demokratie auch als „Zumutung“, die es auszuhalten gelte.

Ich selbst bin nur einer von vielen und die Vielen repräsentieren eine Vielfalt, die ich mir kaum vorstellen kann. Genau dieses Anderssein gilt es zu akzeptieren, mindestens aber auszuhalten.  Das Aushalten würde leichter mit einem „hörenden Herz“. Es stärkt die Bereitschaft zum Gegenüber sagen zu können: „So habe ich das noch nie gesehen!“ Es hilft zuzulassen, dass ein neuer Gedanke entstehen kann, den ich vorher noch nicht gedacht habe und der andere vielleicht auch nicht.

Damit das gut gelingen kann, sind soziale Räume unerlässlich. Räume, die niedrigschwellig alltägliche soziale Begegnungen ermöglichen, in denen geübt werden kann, mit geringem persönlichem Einsatz den Anderen in der Demokratie auszuhalten. Beispielhafte Räume sind die Trinkhallen-Kultur im Ruhrgebiet, Plauder- und Mitfahrbänke in den Kommunen sowie alle Gesprächsräume, die von Bildungseinrichtungen bereitgestellt werden.

Sich um ein „hörendes Herz“ zu bemühen, wäre ein Geschenk an das Grundgesetz zum 75jährigen Geburtstag – von uns, den Bürgern und Bürgerinnen.

Bleiben Sie gesund und zuversichtlich. Gott behütet. Wir sind Kirche lädt ein zur Bundesversammlung “Wir gehen weiter“ vom 18. – 20. 10. 2024 in Köln.

Werner Glenewinkel, aktiv bei Wir sind Kirche

Zuletzt geändert am 14­.09.2024