Auf dem Weg nach München - Ökumenische Gastfreundschaft
Überarbeitetes Manuskript von Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ bei der Veranstaltung vom 4. Oktober 2006 in der Mattäuskirche Frankfurt/Main "Wo kämen wir hin ...? Ökumenische Gastfreundschaft - ein Tabubruch?" mit Prof. DDr. Gotthold Hasenhüttl, Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ und Pfarrer Jörg Bickelhaupt (Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau)
Die evangelisch-lutherischen Kirchen laden die Mitglieder anderer Kirchen zur Feier ihres Abendmahls ein. Die orthodoxe Kirche läßt zur Spendung der Sakramente nur eigene Mitglieder zu. Die katholische Kirche schließt weiterhin - mit geringen pastoral begründeten Ausnahmen im Einzelfall - die Mitglieder evangelischer Kirchen vom Kommunionempfang aus. Offensichtlich keine erkennbare und günstige Wetterlage für den ökumenischen Weg nach München.
Für München wird wohl das Angebot einer allgemeinen Einladung zum Abendmahl durch die evangelischen Kirchen weiter gelten. Die katholischen Bischöfe Deutschlands und vermutlich in folgsamer Anhänglichkeit das Zentralkomitee der Katholiken werden die evangelischen Christen wie bisher nicht zu den katholischen Eucharistiefeiern einladen. Es könnte sein, dass allein die kirchlichen Basisgruppen, denen ziviler Ungehorsam vertraut ist, einen Rahmen außerhalb des offiziellen Programms des Kirchentages zur Verfügung stellen werden, innerhalb dessen ökumenische Gottesdienste in evangelischer bzw. katholischer Verantwortung gefeiert werden, eine evangelische Gemeinde eine allgemeine Einladung zum Abendmahl ausspricht und eine katholische Gemeinde ihre eucharistische Gastfreundschaft erklärt.
Lediglich eine solche allgemeine Einladung getaufter Christen zum Abendmahl bzw. eine solche eucharistische Gastfreundschaft wünscht sichdie Mehrheit der evangelischen und katholischen Christen auf dem Weg nach München. Sie verlangen nicht die gegenseitige Zulassung oder gar Interzelebration, Konzelebration oder Interkommunion. Ihre ökumenischen Wünsche sind bescheiden geworden. Und es gibt gute Gründe, diese realitätsnahen Wünsche anzuerkennen und in München zu verwirklichen.
(1) Für ökumenische Christen in den Gemeinden treten die kontroverstheologischen Kampfformeln in den Hintergrund. Sie sind der Gespensterschlachten darüber überdrüssig, ob die Messe ein Opfer oder ein Mahl sei, ob sich das Entscheidende der Messe während der Wandlung abspiele oder nicht, ob die Gegenwart Christi beim Abendmahl real oder symbolisch zu begreifen sei, ob die Realpräsenz sich besser durch den Begriff der Transsubstantiation oder den der Transsignifikation erläutern lasse. Vor allem weigern sie sich, die Identität der eigenen Ansicht über das Abendmahl bzw. die Eucharistie ausschließlich aus dem Feindbild der jeweils anderen Konfession gewinnen zu wollen.
(2) Ökumenische Christen durchschauen auch die philosophisch-theologischen Deutungsmuster des Abendmahls bzw. der Eucharistie als relativ. Es gibt offensichtlich epochale Akzentsetzungen, die jeweils in sich schlüssig sind, solange sie als gemeinsame Überzeugungen anerkannt werden, die aber angesichts wechselnder geschichtlicher Herausforderungen und wechselnder kollektiver Erfahrungen an Überzeugungskraft verlieren. So sind beispielsweise zwei Zugänge zum Verständnis der Eucharistie als zwar gegensätzlich, aber gleichwertig vorstellbar. Einerseits kann ich die konkrete Eucharistiefeier einer Ortsgemeinde derart stark als Teilvollzug der universalen Kirche deuten, dass ich aus der konstruierten Metapher der Einheit des Leibes Christi, der am Kreuz hing, des Leibes Christi unter den Gestalten von Brot und Wein und des Leibes Christi, den die Kirche darstellt, eine verbindliche Norm ableite, dass jede Eucharistiefeier in den strukturellen Zusammenhang der Gesamtkirche einschließlich der Ämterhierarchie eingebettet sein muß. Anderseits kann ich als das erste Subjekt des Glaubens die einzelnen Christen, als das erste Subjekt der Gemeinschaft jener, die an Gott glauben, die Ortsgemeinde, und erst nachrangig als eine Gemeinschaft von Kirchen die Weltkirche betrachten. Jedes der beiden Deutungsmuster läßt andere Schlussfolgerungen zu, wenn es um die Frage geht, wer zur eucharistischen Gastfreundschaft berechtigt ist und welcher Grad an Kircheneinheit verwirklicht sein muß, bevor eine Ortsgemeinde allgemein zum Abendmahl bzw. zur Eucharistiefeier einlädt. Besteht nicht die Funktion kirchlicher Theologie in erster Linie darin, die Glaubenspraxis der Christen von heute methodisch geordnet zu reflektieren, anstatt kirchliche Strukturen zu legitimieren und kirchliche Denkmuster über Gott, die Welt und die Menschen aus vergangenen Jahrhunderten zu konservieren?
(3) Ökumenische Christen sind daran interessiert, sich der gemeinsamen Ursprünge von Abendmahl bzw. Eucharistie gemäß ihrem zeitgemäßen Glaubensverständnis zu vergewissern. Weder ein zentralstaatlicher Tempel- und Opferkult noch ein kaiserliches Hofzeremoniell taugen ihnen als Deutungsmuster jener Symbolhandlung, die ein herausragendes Moment gottesdienstlicher Versammlungen von Christen bildet: das letzte und zugleich erste Mahl, das Jesus am Abend vor seinem Leiden in einem engen Kreis derer, die ihm gefolgt waren, gefeiert hat. In dieser Liturgie haben Jesus und die ihm folgenden Christen die freundschaftliche Mahlkultur des alten Israel, das Pascha-Mahl als Zeichen der Befreiung des Volkes aus dem Sklavenhaus Ägypten, die Mahlfeiern der Jesusbewegung in Galiläa und das Brotbrechen in der Gegenwart des Auferstandenen, überhaupt die ganze prophetische Verkündigung Jesu der nahe gekommenen Gottesherrschaft und seine Person als deren zentrale Figur aufgehoben und durch die Zeiten hindurch gegenwärtig gehalten. Mit dieser Option verleihen sie der Amplitude der geschichtlichen Deutungen von Abendmahl bzw. Eucharistie eine besondere Schwingung: Sie anerkennen zwar, das kirchliche Riten in ihrer regelmäßigen Wiederholung und gemeinschaftstiftenden Funktion individuelle Glaubenserfahrungen stabilisieren und ihnen eine andere Qualität geben. Aber daraus folgern sie nicht, dass Abendmahl bzw. Eucharistie zu einem Kult werden, der an besondere Zeiten, Orte, Sprachspiele und Organisationsformen gekettet und so von den persönlichen Alltags- und Glaubenserfahrungen abgelöst ist. Abendmahl bzw. Eucharistie sind nur annehmbar, solange sie in die kollektive Glaubensgeschichte als auch in aktuelle persönliche Glaubenserfahrungen eingebettet bleiben.
(4) Ökumenische Christen finden sich nicht damit ab, dass die ihnen vertrauten Deutungsmuster des Abendmahls bzw. der Eucharistie vom Streit über abweichende kirchliche Ämterstrukturen zugeschüttet werden. Die kirchenverbindende Übereinstimmung unter Christen in zentralen Fragen der Rechtfertigung auf Grund des Glaubens, der Begründung der Kirchenmitgliedschaft durch die Taufe und der herausgehobenen Gegenwart Jesu Christi in der Liturgie des Abendmahls bzw. der Eucharistie stellt die theoretische und praktische Rangordnung des gemeinsamen Weges aus dem Glauben an Gottes schöpferisches und heilsames Handeln wieder her. Demgegenüber sind die bisher als kirchentrennend erachteten Differenzen der geschichtlich verfestigten und konfessionell profilierten Ämterstrukturen und einiger Komponenten der jeweiligen Kirchenverfassung ganz und gar zweitrangig und müssen auch nicht erst beseitigt werden, bevor eine vollständige Abendmahlsgemeinschaft praktiziert wird.
(5) Für den Weg nach München ziehen ökumenische Christen daraus sieben Schlussfolgerungen:
Erstens bewahren sie die gemeinsamen Erfahrungen, die sie in ihren Gemeinden vor Ort gemacht haben, und nehmen sie nach München mit: Partner in konfessionsverbinden Ehen, Angehörige von Kommunionkindern, Firmlingen und Konfirmanten haben sich als begrenzt eingeladen empfunden und haben die eucharistische Gastfreundschaft dankbar angenommen. Trotz einer solcher Praxis weigern sie sich, die Frage der eucharistischen Gastfreundschaft auf pastorale Einzelfälle abzuschieben und dabei wolkige Prinzipien der leider noch nicht zugelassenen Kircheneinheit zu verteidigen, ohne dem Seelenheil einzelner Christen im Weg zu stehen. Denn es sind zuerst die Gemeinden und Kirchen, die strukturell und regelmäßig dem Gebot der Einigung zu folgen haben. Dementsprechend würden sie eine Empfehlung für katholische Gottesdienste in München anachronistisch und zynisch finden, die getreu dem Trienter Katechismus den Christen anderer Konfessionen die Teilnahme am “Meßopfer” zwar gestattet, den Empfang der “heiligen Kommunion” aber verwehrt.
Zweitens besinnen sie sich auf jene Erfahrungen vor Ort und jenseits konfessioneller Trennlinien, die ihnen die Symbolwelten der Liturgie, die Sprachspiele des Bekenntnisses und die diakonische Praxis als Ausdrucksformen eines gemeinsam geteilten Glaubens erschlossen haben. Dabei ist ihnen aufgegangen, dass die Rangordnung von Liturgie, Bekenntnis und Diakonie nicht vorgegeben ist, sondern von der Biographie einzelner Christen, ihrer beruflichen Stellung und vom gesellschaftlichen Kontext abhängt. Es kann sein, dass die alltägliche Glaubenspraxis, also die Diakonie, eine erste Antwort des Glaubenden auf die Einladung zur Gottesherrschaft ist, dem das Bekenntnis und die Liturgie folgen. Solche Erfahrungen gemeinsamer und ökumenischer Dynamik sind ihnen trotz abweichender theoretischer Konstrukte kirchlicher Theologien und differenzierter Strukturen kirchlicher Ämter geschenkt worden.
Drittens werben sie für die bahnbrechenden Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien, die vor allem zwischen katholischen und evangelisch-lutherischen Fachleuten in den vergangenen Jahren veröffentlicht und teilweise durch Kirchenleitungen bestätigt worden sind. Sie haben festgestellt, dass für das Verständnis der Rechtfertigung, für einen Grundbestand des Abendmahls- bzw. Eucharistieverständnisses und gar für einen konstitutiven Kern der Kirchenverfassung bei einem fairem Urteil keine ernsthaft kirchentrennenden Hindernisse existieren. Und dass diese sich, falls sie als noch vorhanden festgestellt werden, mit gutem Willen aus dem gemeinsamen Weg in eine ökumenische kirchliche Zukunft wegräumen lassen.
Viertens verstecken katholische Christen immer weniger ein wachsendes Unbehagen über die Verfassungswirklichkeit ihrer Kirche, die sich als absolute (Wahl-)Monarchie darstellt. Einer solchen Verfassung geben sie aus vier Gründen keine Chance, zukunftsfähig zu sein. Das Aufpfropfen eines päpstlichen Jurisdiktionsprimats auf eine episkopale und damit föderale Kirchenverfassung ist zwar als Antwort auf eine geschichtliche Herausforderung nachvollziehbar, aber nur über verwegende gedankliche Konstrukte mit einem angeblich kirchlichen Stiftungswillen Jesu vereinbar. Diese zentralistische Komponente der Kirchenverfassung ist also zur Disposition zu stellen. Sie kann auch rückgebaut werden. In ökumenischer Perspektive könnte eine extrem zentralistische Verfassungspraxis als katholisches Sondergut geduldet werden, solange sie nicht anderen Kirchen als unverzichtbarer Bestandteil einer Kircheneinheit aufoktroyiert wird. Als ökumenisch allgemein verbindliche Kirchenstruktur wird sie zu Recht von den nichtkatholischen Kirchen zurückgewiesen. Sie ist ja unter fairen Bedingungen innerkirchlicher Meinungsfreiheit nicht einmal unter Katholiken allgemein zustimmungsfähig. Die zentralistische Verfassungspraxis der katholischen Kirche empfinden katholische Christen als unvereinbar mit ihrem modernen Verständnis von Demokratie als gesellschaftlicher Organisations- und Lebensform. Sie wissen, dass im Horizont der Anerkennung allgemeiner Menschenrechte auch von der kirchlichen Sozialverkündigung die “Beteiligung” als neuer Name für Gerechtigkeit propagiert wird. Folglich erwarten sie ihrem zeitgemäßen Lebensgefühl entsprechend zu Recht, dass der epochale Trend einer “Demokratisierung aller Lebensbereiche” auch ihre Kirche erfaßt. Diese Erwartung wird insbesondere von katholischen Frauen offen und fordernd geäußert, weil sie den Widerspruch unerträglich finden, der darin besteht, dass in nicht wenigen christlichen Kirchen den Frauen mehr oder weniger ein gleichberechtigter Zugang zu kirchlichen Ämtern gewährt wird, während die katholische Kirchenzentrale sich absolut und autoritativ anmaßt, den Ausschluß der Frauen von kirchlichen Ämtern als eine für christliche Kirchen zeitlos geltende göttliches Anordnung zu behaupten. Gegen derartige Formen kirchlicher Machtarroganz sind Formen zivilen Ungehorsams gerechtfertigt.
Fünftens festigen die Christen veränderte Erwartungen an die Kircheneinheit. Die Vielfalt der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ist eine geschichtliche Tatsache. Nicht die Vielfalt der Deutungsmuster, der Riten und der Organisationsstrukturen ist der Skandal, sondern der überdehnte Anspruch, dass das eigene Deutungs- und Strukturprofil als für alle verbindlich erklärt werden soll. Da es unmöglich und nicht gerechtfertigt wäre, die konfessionellen Identitäten, die sich inzwischen im Lauf der Geschichte herausgebildet haben und auch im Kontrast zu den angeblichen Glaubensfeinden hochstilisiert wurden, zu schleifen oder bis auf einen wie immer konstruierten geschichtlichen Ausgangspunkt zu verschlanken, bleibt nur das Vertrauen auf den Heiligen Geist als den Lebensatem Gottes, dass er den Christen die Einheit der Kirche Jesu Christi als einer Gemeinschaft von Kirchen ermöglicht.
Damit ist sechstens die Erwartung der Christen verbunden, dass der Sog der Kohärenz, der in der Diakonie, im Bekenntnis und in der Liturgie wirksam ist, den noch ausstehenden Streit um die Kohärenz kirchlicher Strukturen beeinflusst. Einerseits sind also in dem Bemühen um eine wachsende Kohärenz der Vielfalt kirchlicher Strukturen jene Strukturansprüche einer Einzelkirche zurückzuweisen, die mit dem Leitbild einer Einheit der Kirche als Gemeinschaft von Kirchen unvereinbar sind - das trifft sowohl für den päpstlichen Jurisdiktionsprimat in seinem theoretischen Anspruch und praktischen Vollzug als auch für den vom Glaubenssinn der Christen losgelösten päpstlichen Unfehlbarkeitsanspruch zu. Anderseits sind solche abweichenden Strukturen christlicher Kirchen anzuerkennen, die mit dem Respekt vor dem Selbstverständnis und der Selbstachtung der anderen Einzelkirchen und kirchlichen Gemeinschaften vereinbar sind.
Siebtens erwarten Christen auf dem Weg nach München eine ökumenische Gemeinschaft der Kirchen, die auf dem Weg einer De-Konfessionalisierung voranschreitet. Der gegenwärtig um sich greifende Wahn konfessioneller Identität scheint in eine Sackgasse zu münden, wenn das “typisch Katholische” oder das “typisch Evangelische” erfragt wird. Viele Katholiken würden die Unterstellung zurückweisen, dass der Rosenkranz, die Fronleichnamsprozession, die Einzelbeichte und die Marienverehrung ihre christliche Identität ausmachen. Ähnlich anfechtbar wird vermutlich eine Typisierung evangelischer Christen ausfallen. Etwas anderes ist das unterschiedliche Glaubensverständnis, das sich in theologischen Deutungsmustern, alltäglichen Lebensstilen, Gottesdienstformen und kirchlichen Strukturen verkörpert. Neugierde, gegenseitiger Respekt und wechselseitige Lernbereitschaft werden die noch vorhandenen konfessionellen Profilierungsängste überwinden und die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen beschleunigen.
Zuletzt geändert am 21.11.2007