Für eine menschenfreundlichere Kirche kämpfen
Dieser hoffnungserweckenden Perspektive folge ich und fühle mich unterstützt durch viele Mystikerinnen und Mystiker, die mich bestärken, nicht in der Opferrolle zu bleiben, sondern eine gesunde Oppositionsspiritualität zu entfalten. Die Zukunft des Christentums wird mystisch-ökumenisch sein. Für diese Hoffnung setze ich mich ein und aus, für ein Unterwegssein als Volk Gottes in Geborgenheit und Freiheit. Diese Grundhaltung findet sich in einem eindrücklichen Lied des Holländers Huub Osterhuis (geb. 1933), das inspiriert ist von einem Vers aus dem biblischen Buch Deuteronomium 32,11: »Getragen auf Adlers Flügeln, bis ich fliegen kann aus eigener Kraft.«
Die gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft wird uns stärken zu dieser freiheitlichen Kraft, weil wir die Gegenwart des inneren Christus feiern, der spürbar wird in einer geschwisterlichen Gemeinschaft, die Frauen und Männer ihre einmalige Würde erfahren lässt. Das innere Wort, der innere und kosmische Christus wird die notwendigen Strukturen und Leitungsaufgaben, die jede Gemeinschaft braucht, immer wieder durch seine Liebe erneuern, damit immer mehr Menschen in einer zerrissenen Welt Hoffnung schöpfen können. Im gemeinsamen Mahl werden wir vom Tod der Resignation zum Leben, zur Liebe erweckt. Die Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Wegbegleiters nährt uns an Leib-Geist-Seele für den Aufbruch, der sich auch in einem sozialpolitischen Engagement konkretisiert, damit allen Menschen Brot und Rosen zuteil werden.
Auch die römisch-katholische Kirche besitzt die Wahrheit nicht. Traditionalist zu sein heißt für mich, die gesamte Tradition ernst zu nehmen, um miteinander in der Verschiedenheit die Treue zum Evangelium zu suchen, die sich in den Herausforderungen durch die Zeichen der Zeit glaubwürdig erweisen will. Dabei geht es weder um Beliebigkeit noch um Quoten von Meinungsumfragen, sondern um das ehrliche Eingestehen, dass die Kirche sich immer wieder reformiert hat, auch in Auseinandersetzungen mit der Philosophie. Die Geschichte der Klöster zeigt, wie demokratische Formen sich sehr gut mit der Radikalität des Christseins verbinden lassen. Äbtissinnen und Äbte, Priorinnen und Prioren werden demokratisch gewählt für eine gewisse Zeit. Darum gibt es keinen Grund, warum nicht auch Bischöfe – hoffentlich bald auch Bischöfinnen in der römisch-katholischen Kirche – von Vertreterinnen und Vertretern der Ortskirche gewählt werden sollten. Wir brauchen eine geschwisterliche Kirche, in der auch ein Dienst an der Einheit akzeptiert wird, der befreit ist von der zentralistischen Machtfülle Roms. Miteinander eintauchen in die Wirklichkeit des inneren Christus führt in die eigene Tiefe und in eine Weite, die auch im Dialog mit anderen Religionen respektvoll und bescheiden bleibt.
Pierre Stutz
in: geborgen und frei - Mystik als Lebensstil
Kösel-Verlag 2008, Seite 329-331
Zuletzt geändert am 09.12.2008