Katholischer Kongress Hildesheim 1996
Unser Engagement und unsere Mühen, das haben auch viele der Teilnehmenden zum Ausdruck gebracht, haben sich gelohnt. Das von der Bewegung „Wir sind Kirche“ (WsK) und der Initiative Kirche von unten (IKvu) in Hildesheim durchgeführte Programm kann in vielerlei Hinsicht als Erfolg gewertet werden. Zunächst sind wir natürlich froh und dankbar für die Ermutigung, die uns Bischof Jacques Gaillot sowohl durch seine Aussagen genauso wie durch sein Auftreten in den zwei Tagen in Hildesheim, gegeben hat. Unter dem Motto "Solidarität statt Brüderlichkeit?" hat er am Freitag abend in der Veranstaltung der IKvu in einer sehr persönlich gehaltenen Ansprache darüber berichtet, wie er seit seiner Absetzung als Bischof von Evreux versucht, seinen Weg der konkreten Solidarität weiterzugehen.
Am Beispiel der Ereignisse um die Besetzung und Räumung der Kirche St. Ambroise in Paris, an denen Jacques Gaillot zum Schutz der afrikanischen Flüchtlinge unmittelbar beteiligt war, machte er deutlich, daß die Kirche in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht in der Lage ist, die Forderung Jesu nach Solidarität mit den Ausgegrenzten und An-den-Rand-Gedrängten nachzukommen. Die Kirche müsse zu den Bedrängten gehen, ihnen zuhören und Gehör verschaffen und mit ihnen gemeinsam die ausgrenzenden Strukturen bekämpfen. Gaillot: "Die Hierarchie muß den Mut haben, den Ausgegrenzten ganz konkrete Macht und Einfluß zu überlassen. Sie haben durchaus die Kompetenz, verantwortlich damit umzugehen!" Die Kirche könne nur ernsthaft zur Solidarität aufrufen, wenn sie selber glaubwürdig sei. "Wir brauchen eine Kirche, die tut, was sie sagt." Wie nicht zuletzt der Erfolg des KirchenVolksBegehrens gezeigt hat, orientiert sich die kirchliche Basis derzeit neu. So sind Gaillot und sein neues Bistum Partenia geradezu ein Synonym für die Hoffnung auf eine geschwisterliche, befreiende, solidarische und bedingungslos den Menschen zugewandte Kirche geworden.
Am Freitag morgen gleich nach der Ankunft in Hildesheim hat übrigens ein dreiviertelstündiges Gespräch zwischen dem Hildesheimer Bischof Josef Homeyer und Bischof Jacques Gaillot stattgefunden, an dem auch der Trierer Weihbischof Leo Schwarz und der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz P. Dr. Hans Langendörfer teilgenommen haben.
Dialogischer KirchenVolksTag
Am Samstag eröffnete Jacques Gaillot mit einem „Wort zum Tag“ den KirchenVolksTag, der gemeinsam von IKvu und WsK durchgeführt wurde. Unter dem Motto „und wir bewegen sie doch – aber wohin?“ wurde ein Jahr nach Beginn des KirchenVolksBegehrens in Deutschland Bilanz gezogen und der Dialog über die Zukunft der katholischen Kirche weitergeführt. Mindestens genauso wichtig wie die Ergebnisse war die Tatsache, daß dieses Gespräch trotz der äußerst schwierigen Vorbereitungen (siehe Seite 3 unten) überhaupt stattgefunden hat. Teilnehmende neben Jacques Gaillot waren Wolfgang Thierse, MdB, und Prof. Dr. Gottfried Leder als prominente Mitglieder – nicht Vertreter – des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Dr. Anneliese Lissner, ehemaliges ZdK-Mitglied und ehemalige Generalsekretärin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Dr. Magdalene Bußmann für „Wir sind Kirche“ und Michael Steiner für die Initiative Kirche von unten. Kompetent moderiert wurde das Gespräch von Antonia Wigbers (Ministerialdirigentin im Niedersächsischen Familienministerium). Daß ein wirkliches Gespräch untereinander und auch mit starker Beteiligung aus dem Publikum gelungen ist, war wohl auch der kreisförmigen Sitzordnung mitten im Raum zu verdanken.
In seinem „Wort zum Tag“ wünschte sich Gaillot eine nach innen und außen gleichermaßen glaubwürdige Kirche, die keinen und keine ausschließt und die mit den Ausgegrenzten grenzenlos solidarisch ist. In der Diskussion war Bischof Gaillot ein besonderes Anliegen die Forderung nach der völligen Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche: "Wenn die Frauen in der Kirche die gleichen Rechte hätten wie die Männer, würde die Kirche sich grundlegend verändern. Ich glaube, die Kirchenhierarchie hat weniger Angst vor den Frauen als vor der Veränderung." Anneliese Lissner und Magdalene Bußmann forderten die Kirchenhierarchie dazu auf, den Frauen endlich den gleichberechtigten Zugang zu allen kirchlichen Ämtern einzuräumen.
Prof. Leder sprach sich für eine bessere Streitkultur in der Kirche aus, die allerdings auch den (mehrfachen) Versuch zur Versöhnung einschließen müsse. Wichtig war ihm, in der Kirche ein Klima der Angstfreiheit herzustellen und sich gegen Frageverbote zur Wehr zu setzen, damit z.B. auch die Frage der Frauenordination diskutiert werden könne. Wolfgang Thierse, selbst Erstunterzeichner des KirchenVolksBegehrens, warnte bei aller Freude über die überraschende Lebendigkeit der katholischen Basis, sich ausschließlich um die Forderungen des KirchenVolksBegehrens zu kümmern. Ihm seien die Kirchenasylgruppen und die Arbeitsloseninitiativen ein mindestens ebenso wichtiges Anliegen. Michael Steiner sagte, die Kirchenbasis müsse mit der Reform der Kirche selbst beginnen. Steiner: "Es liegt an uns, ob wir in Zukunft Frauen oder verheirateten Priestern die Leitung unserer Gemeinden und den Vorsitz in unseren Eucharistiefeiern anvertrauen." Die sogenannten Laien in der Kirche müßten mit Selbstvertrauen Leitungsaufgaben in der Kirche auch ohne das Placet der Bischöfe übernehmen. "Eine Kirche der Profis hat Jesus mit Sicherheit nicht gewollt." – Die wichtige Botschaft, die dann auch in vielen Diskussionsbeiträgen der TeilnehmerInnen immer wieder zum Ausdruck kam, war: "Nicht um Erlaubnis fragen, sondern einfach tun".
„Mit Gaillot in einem Boot“ war die Losung für die Kanufahrt, zu der am Nachmittag die christliche Jugendgruppe „Produktive Christen“ aus Lünen mit Gaillot auf der Innerste in Hildesheim aufgebrochen war. Mit dem überwiegend von Frauen gestalteten Gottesdienst, an dem auch die jugendlichen Kanuten und Bischof Gaillot teilnahmen, klang der KirchenVolksTag am späten Nachmittag aus. Hier wurde konkret erfahrbar, daß das neue Gesicht der Kirche auch heute schon ansatzweise Realität sein kann. Ausgehend vom Bibeltext des Fischfangs „Herr, unsere Netze sind leer“ kamen unsere Enttäuschungen aber auch die von Jesu Botschaft ausgehende Hoffnung zur Sprache. Ein besonderer Dank für die Vorbereitung an Angelika Fromm, Monika Schulz-Linkholt und den Chor aus Mosbach.
Treffpunkt KulturFabrik
Die „am Rande der Stadt“, für die BesucherInnen aufgrund der Nähe zum Bahnhof aber sehr gut erreichbare KulturFabrik bot einen idealen und symbolträchtigen Rahmen für uns. Herzlichen Dank dem sehr kooperativem Team der KulturFabrik. Der Saal im Keller (!) mit Säulen, Mauerwerk und Spitzbogenfenstern verlieh den immer (über)vollen Veranstaltungen eine besondere Spiritualität. Ein ganz herzliches Dankeschön den HuK-lerInnen für das professionelle Angebot von Speisen und Getränken im „Café Partenia“. Ebenso der Quartiermeisterin Ilse Haermeyer. Und vielleicht stellvertretend für viele andere Brigitte Loga, die noch ganz auf die Schnelle dafür gesorgt hatte, daß unser Motto auf einem Spruchband sichtbar war.
Einen weiteren Mosaikstein bildete die Asylausstellung „Labyrinth Fluchtweg“, die von der IKvu in Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Pfarramt an den Berufsbildenden Schulen und der Katholischen Hochschulgemeinde an diesem Wochenende vor der KulturFabrik gezeigt wurde. Die in einem Großraumtruck befindliche Ausstellung war auch an vier Schulen in Hildesheim zu besichtigen. Vielen Dank Evelyn Schneider für die Koordination und Begleitung vor Ort.
Unsere einzige Pressekonferenz am Freitag morgen mit Gaillot war sehr gut besucht. Danach haben wir verschiedene Presseerklärungen herausgegeben (können angefordert werden). Die bundesweite Berichterstattung über Gaillot und auch den 1. Geburtstag des KirchenVolksBegehrens hätte vielleicht noch breiter sein können, wenn wir noch mehr Agenturen und Redaktionen direkt angefaxt hätten oder z.B. die Pressefächer des ZdK hätten nutzen können.
Unsere Veranstaltungen wurden jedoch intensiv von je einem Fernsehteam des Hessischen Rundfunks und des Südwestfunks begleitet. Wer möchte, kann die uns zugesagten Videocassetten gerne ausleihen. Ausführlich wurde und wird auch im „IKvu-Rundbrief“ und in „Publik-Forum“ über Hildesheim berichtet. Möglicherweise werden wir noch die Tonbandmitschnitte der Veranstaltungen schriftlich dokumentieren; bei Interesse bitte in Hannover nachfragen. Für die abschließende Dokumentation sind wir auch noch an Fotos sowie an Zeitungsberichten vor allem aus Regionalzeitungen interessiert.
Die vorläufige finanzielle Bilanz zwingt uns, wieder ganz intensiv zu Spenden aufzurufen. Zwar hatten wir in Hildesheim mehr als 3.000 DM an Einnahmen, doch obwohl die ReferentInnen dankenswerter Weise auf ihr Honorar verzichtet haben, betrugen die Ausgaben für Raummiete, Werbung, Fahrtkosten, Pressearbeit etc. zusammen weit über 10.000 DM. IKvu und WsK werden die Einnahmen und Ausgaben anteilig aufteilen.
Katholischer Kongreß – Verpaßte Solidarität?
Mit dem Leitspruch „Solidarität ist unteilbar“ hatte der Katholische Kongreß sich selber einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt. Ob nun von Hildesheim wirklich ein Ruck ausgehen wird, wie es sich der dortige Bischof Josef Homeyer erhofft, muß eher bezweifelt werden. Und das liegt nicht nur an der deutlich hinter den Erwartungen der Organisatoren zurückgebliebenen Zahl der Mitwirkenden. Statistisch war nur etwa jede zehnte Kirchengemeinde in Deutschland mit je einer Person vertreten. Manche mögliche Kooperationspartner mögen auch das Etikett „katholisch“ nicht als sehr einladend empfunden haben.
Vor allem kommt es aber auf das „Wie“ der Solidarität an. So zeugt beispielsweise die Fürbitte beim Abschlußgottesdienst, daß die Obdachlosen eine Bleibe „finden mögen“, nicht von tiefer Reflektion über die Ursachen der Armut in unserer so reichen Gesellschaft. Und die offizielle Abschlußerklärung unterscheidet sich nicht von so vielen in Unverbindlichkeit steckengebliebenen Aufrufen. Der schon lange vorformulierte Text enthielt keine einzige der Konkretionen, die in den 60 Arbeitskreisen zum Teil sehr fachkundig erarbeitet worden waren. Die meisten Teilnehmenden fanden sich in den „klassischen“ Bereichen der Solidaritätsarbeit. So war es dann vielleicht auch kein Zufall, daß der Arbeitskreis „Aids“ nur aus sieben Personen, davon drei referierenden, bestanden haben soll. Die kritischen Worte von Wolfgang Thierse beim KirchenVolksTag: "Als Mitglied des ZdK beunruhigt mich das dröhnende Schweigen des Katholischen Kongresses zum gerade beschlossenen Sparpaket der Bundesregierung."
Bei aller Würdigung der Themenschwerpunkte des Katholischen Kongresses, die auch uns ein wichtiges Anliegen sind, vermied der Kongreß die Frage danach, ob die Kirche in ihrer gegenwärtigen Verfassung Träger einer ernst gemeinten Solidarität sein kann und die Menschen glaubwürdig zur Solidarität aufrufen kann. Denn nur eine Kirche, die selber solidarisch ist, kann glaubwürdig Solidarität einfordern. Den dazu notwendigen kritischen Dialog wollten wir mit unseren Veranstaltungen erneut anstoßen. Nach Einschätzung vieler bildete das von WsK und IKvu eigenständig verantwortete Programm, das in besonderem Maße von der Person Bischof Gaillots geprägt war, einen unverzichtbaren Mosaikstein für ein „anderes Gesicht der Kirche“: Eine nicht mehr „von oben“ verordnete, sondern bescheidener „von unten“ gelebte Solidarität.
Auch die große Zahl der TeilnehmerInnen bei allen unseren Veranstaltungen zeigt, daß wir den richtigen Weg beschritten haben. Die Gläubigen werden sich auf Dauer nur unter dem Dach der Kirche für eine solidarische Welt engagieren, wenn Solidarität auch in dieser Kirche erfahrbar ist. Und sehr vielen Menschen brennt offenbar das Thema der innerkirchlichen Reformen auf den Nägeln.
„Ausscheren aus der Solidarität“ oder „Notwendige Eigenständigkeit“?
Häufig wurde in Hildesheim die Frage gestellt, warum WsK und IKvu sich nicht an diesem doch so wichtigen Thema beteiligt hätten. Das ZdK habe doch mehrfach die Einladung zur Mitwirkung ausgesprochen. Daß diese Vorwürfe, die das ZdK sogar in einer eigenen Presseerklärung verbreitete, uns nicht treffen, wird allein schon dadurch deutlich, daß zahlreiche Aktive von WsK und IKvu am Programm des Katholischen Kongresses mitgewirkt haben und beispielsweise Annegret Laakmann und Herbert Brüning sogar im Programmheft auftauchen. Dies wurde in der Presseerklärung leider nicht erwähnt!
Weder die IKvu noch die erst seit vergangenem Sommer bestehende Bewegung „Wir sind Kirche“ haben, wie behauptet, die Zusammenarbeit verweigert, halten jedoch – z.B. im Hinblick auf den „großen“ Katholikentag 1998 in Mainz – eine offenere und dialogischere Form der Zusammenarbeit für notwendig, die nicht die Einbindung in Gremien des ZdK zur Voraussetzung hat. Dies war der Grund, warum die IKvu darauf verzichtet hatte, ihren Geschäftsführer Michael Steiner, der vom ZdK als Person berufen worden war, in die Programmkommission für den Hildesheimer Kongreß zu entsenden. Auf die von der IKvu frühzeitig eingebrachte Anregung, anläßlich des Katholischen Kongresses eine Veranstaltung zur Solidarität mit den von der Kirche ausgegrenzten Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien in gemeinsamer Trägerschaft durchzuführen, ist das ZdK leider nicht eingegangen, sondern hat auf einer „Zusammenarbeit im ZdK und nicht mit dem ZdK“ bestanden. Dies ist um so bedauerlicher, da es etwa 1986 in Aachen oder 1992 in Karlsruhe durchaus Veranstaltungen in gemeinsamer Trägerschaft gegeben hat.
Für unsere voreilige und fehlerhafte Ankündigung, daß VertreterInnen der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees an der Diskussion am KirchenVolksTag teilnehmen würden, ohne daß eine entsprechende Zusage vorlag, hatten wir uns sofort, nachdem wir darauf aufmerksam gemacht wurden, schriftlich entschuldigt. (Wer möchte, kann eine Kopie dieses Briefwechsels anfordern.) Zur Erklärung: Nach den aus unserer Sicht positiven Gesprächen der drei Initiatoren des KirchenVolksBegehrens mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Dr. Lehmann am 2. Dezember 1995 in Bonn, dem Geschäftsführenden Ausschuß des Zentralkomitees am 15. Dezember 1995 in Berlin sowie aufgrund der inzwischen in zahlreichen Diözesen aufgenommenen Gespräche mit den Ortsbischöfen waren wir uns sicher, daß der versprochene Dialog gelingen könnte. Wir bedauern, daß es uns trotz vielfältiger Bemühungen nicht gelungen war, einen deutschen Bischof zur Teilnahme an der Diskussionsveranstaltung zu bewegen. Aber wir wissen, daß Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz diese Veranstaltung sehr aufmerksam verfolgt haben. Nun hoffen wir, daß die auf verschiedenen Ebenen aufgenommenen Dialoge auch nach dem Katholischen Kongreß weitergeführt und vor allem auch konkrete Ergebnisse bringen werden. Mit der Diskussionsrunde am KirchenVolksTag, an der zwar nicht „Vertreter“, aber doch hochrangige „Mitglieder“ des ZdK teilgenommen haben, wurde eine Brücke des Dialogs geschaffen, die für die Zukunft hoffentlich mehr bringt als der Austausch von Briefen oder Presseerklärungen.
Zuletzt geändert am 24.05.2006