Reformgruppen zum Konzilsjubiläum in Rom
50 Jahre nach Unterzeichnung des Katakomben-Paktes (16. November 1965) und nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils (8. Dezember 1965) gibt es im Herbst 2015 eine Fülle von Veranstaltungen in aller Welt. Die zentralen Versammlungen der internationalen Reformgruppen in Rom, an denen auch Wir sind Kirche sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung intensiv mitgewirkt hat, fanden im großzügigen Gästehaus Casa La Salle (www.casalasalle.com des von Johannes De la Salle gegründeten Ordens der Schulbrüder) statt.
> Artikel über beide Tagungen in KIRCHE IN Heft 1/2016 (PDF 2 Seiten)
Die Tagung „Katakombenpakt erinnern und erneuern!“ vom 11. bis 17. November 2015 in Rom führte die Konziliare Versammlung 2012 „Zeichen der Zeit“ in der Frankfurter Paulskirche fort. Höhepunkt war der Gottesdienst am 16. November in den Domitilla-Katakomben, an dem Ort, wo genau 50 Jahre zuvor kurz vor Abschluss des Konzils der Pakt „Für eine dienende und arme Kirche“ von 42 Bischöfen unterzeichnet worden war.
Neben vielen ExpertInnen aus Lateinamerika nahmen Bischof Luigi Bettazzi (einer der letzten noch überlebenden Unterzeichner), Bischof Erwin Kräutler sowie der salvadorianische Befreiungstheologe Jon Sobrino SJ an dieser Tagung teil. Bemerkenswert: Während dieser Tage war Jon Sobrino von Papst Franziskus mit den Worten „Schreib weiter!“ begrüßt worden (> mehr). Die von vielen der 260 Teilnehmenden – unter ihnen viele junge Studierende – unterzeichnete Selbstverpflichtung im Geiste des Katakombenpaktes macht deutlich, dass die Relevanz des Katakombenpaktes bis heute nicht verblasst ist. Erfreulich, dass seine Anliegen jetzt auch von Papst Franziskus aufgegriffen werden. Die vom Münsteraner Institut für Theologie und Politik (ITP) initiierte Projektgruppe Pro Konzil, der auch Wir sind Kirche angehört, hatte die Tagung organisiert.
> Vorbericht über diese Tagung bei Radio Vatikan 19.7.2015
> Einladungsflyer PDF
Weitere Informationen und Dokumentation: www.pro-konzil.de
Aula der Casa La Salle in Rom, Versammlungsraum beider Tagungen
Wir sind Kirche an zwei Sonntagen hintereinander beim Angelus auf dem Petersplatz
Fotos: Ralf Heinrichs (www.jimmyrheinita.de)
Die zweite Tagung „Council 50: A Church – Inspired by the Gospel – For the World” vom 20. bis 22. November 2015 mit Teilnehmenden aus allen Kontinenten (ausgenommen Australien) war von der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC) und dem Europäischen Netzwerk Kirche im Aufbruch (EN-RE) gemeinsamen mit anderen internationalen Reformgruppen vorbereitet worden. Die Hauptrednerin Dr. Nontando Hadebe, eine Theologin aus Zimbabwe, stellte – angelehnt an das afrikanische Ubuntu-Konzept – die Idee eines Gottes der wechselseitigen Beziehungen vor. Die Erfahrung sowie das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist, müsse auch für die Beziehungen innerhalb von Gemeinschaften gelten.
Francois Becker zusammen mit Dr. Nontando Hadebe
> Foto1 > Foto2
Abschluss von "Council50" am 22. November 2015 beim Angelus auf dem Petersplatz
Die Ergebnisse von acht thematischen Arbeitsgruppen bildeten die Grundlage für eine noch auszuformulierende gemeinsame Erklärung, die Papst Franziskus anlässlich des 50-Jährigen Konzilsjubiläums übergeben werden soll. „Council 50“ erhielt Grußbotschaften u.a. von Leonardo Boff, Altbischof Pedro Casaldaliga, Bischof Jacques Gaillot, Prof. Hermann Häring, Prof. Hans Küng sowie Jon Sobrino SJ. Für 2018 in Lateinamerika (50 Jahre nach Medellín) und 2021 in Afrika sind Folgetreffen dieser weltweiten Vernetzung geplant.
> Einladung
> Programm
> Pressemitteilung 20.11.2015 (PDF)
> Tagungsfolder (PDF multilingual)
> Pressemitteilung 25.11.2015
> Pressemitteilung 7.12.2015 > PDF deutsch > PDF english
Council 50-Erklärung: "Ein Pakt von Jüngern Jesu"
> PDF deutsch (6 Seiten) > PDF english (6 pages)
Weitere Informationen und Dokumentation: www.council50.org
> Artikel über beide Tagungen in KIRCHE IN Heft 1/2016 (PDF 2 Seiten)
Weltweite Reformgruppen in Rom
Weltweite Reformgruppen haben noch vor den offiziellen Konzilsgedenkfeiern die zwei Tagungen „Katakombenpakt erinnern und erneuern! Das geheime ‚Vermächtnis‘ des 2. Vatikanischen Konzils“ sowie „Council 50: Für eine Kirche – inspiriert vom Evangelium – für die Welt“ in Rom organisiert. Auch die Internationale Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC) war an beiden Tagungen in der Casa La Salle aktiv beteiligt. Aus Rom berichten GOTLIND HAMMERER und CHRISTIAN WEISNER.
Einer der Höhepunkte der einwöchigen „Katakombenpakt-Tagung“ war zweifelsohne der Gottesdienst in der Domitilla-Katakombe, wo vor genau 50 Jahren, am 16. November 1965, kurz vor Ende des Konzils 42 großteils lateinamerikanische Bischöfe den Pakt „Für eine dienende und arme Kirche“ unterzeichnet hatten. „Der heutige Tag sei ihm aber noch wichtiger“, so der auch mit 92 Jahren noch sehr agile Bischof Luigi Bettazzi, einer der letzten noch überlebenden Unterzeichner des Paktes, denn: „Der Katakombenpakt ist heute Papst Franziskus“.
Sehr viel nachdenklicher die Predigt des salvadorianischen Befreiungstheologen Jon Sobrino. Heute würden Lampedusa und die effiziente Gleichgültigkeit Europas die Sünde darstellen, der eine Kirche nach dem Katakombenpakt entschieden etwas entgegensetzen müsse. Zuvor hatte er an die vielen Märtyrerinnen und Märtyrer der vergangenen Jahrzehnte erinnert. Denn ebenfalls auf den Tag genau vor 26 Jahren waren seine sechs Mitbrüder und zwei Frauen in El Salvador heimtückisch ermordet worden. Sobrino selber war dem Massaker nur entkommen, weil er sich auf einer Vortragsreise im Ausland befand. Bemerkenswert: Jetzt in Rom ist der Jesuit Jon Sobrino, den Papst Benedikt gemaßregelt hatte, vom Jesuiten-Papst Franziskus mit den Worten „Schreib weiter!“ begrüßt worden.
Sieben Tage gab es ein volles Programm mit Experten aus Lateinamerika wie Bischof Erwin Kräutler, seit 1980 Bischof in der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens, und Alberto Moreira von der Katholischen Universität Goiânia/Brasilien. Mit dabei der italienische Vatikanist Marco Politi sowie Urs Eigenmann aus der Schweiz, der die von ihm herausgegebene deutsche Ausgabe der Briefe Dom Helder Camaras vorstellte. Podien in der Aula des großzügigen Tagungshauses Casa La Salle wechselten sich ab mit Workshops und Exkursionen, z.B. in die Gemeinde Sant‘Egidio, die Basisgemeinde St. Paul vor den Mauern und in verschiedene Brennpunkte der Stadt Rom. Einen ganzen Tag lang war der Katakombenpakt sogar auch Thema an der Päpstlichen Universität Urbaniana.
Obwohl sich dem Katakombenpakt noch 500 weitere der über 2.000 Konzilsbischöfe angeschlossen hatten, geriet er bald in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren wurde er durch engagierte Theologen wie Norbert Arntz wiederentdeckt. So war es auch sehr gut, das fast 100 junge Theologiestudierende verschiedener deutscher Universitäten und eine Firmgruppe aus der Schweiz in Rom dabei waren. Dies führte naturgemäß zu einem durchaus kritischen Meinungsaustausch zwischen den Generationen, wenn es um Fragen wie: „Was heißt eigentlich ‚Kirche der Armen‘ heute?“ oder die Form des Gottesdienstes ging. Am Ende aber war es ein wechselseitiger Lernprozess. Die Jungen waren es dann auch, die aus dem Workshop „Risse in der Festung Europa“ heraus einen Text der Selbstverpflichtung entwickelten, in dem brennende aktuelle Probleme benannt und die Notwendigkeit christlichen Engagements betont wurden. Dem schlossen sich viele der 260 Teilnehmenden sofort an. Wie auch schon andere Konzilstagungen zuvor hatte die vom Münsteraner Institut für Theologie und Politik (ITP) initiierte Projektgruppe Pro Konzil, der auch Wir sind Kirche angehört, diese Tagung organisiert.
Mehr: www.pro-konzil.de
Drei Tage später schloss sich am selben Ort, der Casa La Salle, das ebenfalls schon seit mehreren Jahren vorbereitete dreitägige „Council 50“ an, das die Internationale Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC) und das Europäische Netzwerk Kirche im Aufbruch ins Leben gerufen hatten. Hier war das Neuartige nicht die Brücke zur Jugend, sondern die Globalität der Delegierten: insgesamt etwa 100 Teilnehmende aus 26 Ländern machten deutlich, dass das Drängen auf grundlegende Reformen in der römisch-katholischen Kirche kein ausschließlich europäisches Phänomen, sondern ein Anliegen der gesamten Weltkirche ist. Nur eine strukturell reformierte Kirche kann in den heutigen sozialen und ökologischen Krisen zur Veränderung der Welt beitragen.
In ihrem mitreißenden Einstiegsreferat erinnerte die südafrikanische Theologin Dr. Nontando Hadebe daran, dass das Zweite Vatikanische Konzil erkannt habe, dass die Aufgabe der Kirche in der Welt liege, weil nicht nur die Kirche, sondern die ganze Menschheit ein Abbild Gottes sei. Im Haus der Menschheit gebe es viele Zimmer, daher brauche es eine Theologie für alle Zimmer, nicht nur eine Theologie des Schlafzimmers, die die Sexualität kontrolliere. Die Kirche müsse eine Schützerin des Lebens in all seinen Formen sein und auf eine ausschließende Theologie verzichten. Delegierte von Reforminitiativen aus Asien, Afrika, Südamerika, Nordamerika und Europa stellten ihre Anliegen vor. Trotz aller Unterschiede wurde deutlich, die Kirche der Zukunft muss partizipativer werden. Die Menschenrechte müssen auch innerhalb der Kirche gelten und Frauen die gleiche Anerkennung bekommen wie Männer. Menschen aller sexuellen Identitäten müssten die gleiche Wertschätzung erfahren, Familien auch für andere Formen des familiären Zusammenlebens offen sein.
Die Ergebnisse von acht thematischen Arbeitsgruppen, ebenfalls an den Katakombenpakt angelehnt, bildeten die Grundlage für eine im Nachhinein erarbeitete gemeinsame Erklärung, die Papst Franziskus anlässlich des 50-Jährigen Konzilsjubiläums am 8. Dezember 2015 übermittelt worden ist. Aus dem Pakt der Bischöfe ist damit ein „Pakt der Jünger und Jüngerinnen Jesu” geworden. Für 2018 in Lateinamerika (50 Jahre nach Medellín) und 2021 in Afrika sind Folgetreffen dieser weltweiten Vernetzung geplant.
Mehr: www.council50.org
Gotlind Hammerer, Mitglied der Plattform Wir sind Kirche; Christian Weisner, Mitglied im Bundesteam der deutschen KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche und Sprecher der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC)
Bei den beiden Tagungen der Reformgruppen in Rom begegnete ich Menschen aus allen Ecken der Erde. Für mich ein wichtiger Perspektivenwechsel, etwas über das Leben in deren Land und deren Beweggründe zu erfahren:
Zum Beispiel Rachael aus Indien, als Ernährungsberaterin arbeitet sie dafür, dass Kinder wenigstens einmal am Tag etwas zu essen bekommen. In ihrem Land werden Frauen und Mädchen rechtlos misshandelt und ausgebeutet. Sie selber zieht ihre Cousins und Cousinen auf, deren Eltern verunglückt sind, und fragt zu Recht: „Sind wir nicht auch Familie?“
Oder Georges aus Gabun, der berichtet, dass der Priesterberuf in seinem Land viel zu sehr als Karriereleiter betrachtet wird und nicht als Berufung. Viele Bischöfe Afrikas würden Homosexualität in ihren Ländern verleugnen, was realitätsfern sei, und leider auch die gesetzliche Verfolgung unterstützen. Für mich ungewohnt, wenn Georges Polygamie nicht grundsätzlich als verwerflich abgelehnt sehen möchte, denn auch in ihr seien hohe partnerschaftliche Werte verwirklicht.
Paul Hwang aus Südkorea und Felicia aus Indonesien berichten vom Engagement vor aller junger Menschen in und für die Kirche in den Ländern Asiens, in denen Christen gerade mal 3 Prozent der Bevölkerung ausmachen, oft aber auch unter Unterdrückung, Ausgrenzung und Verfolgung zu leiden haben.
Artur aus Polen versucht, in einer traditionell katholisch und totalitär geprägten Gesellschaft seinen Weg als transsexueller schwuler Mann zu gehen. Er ist zerrissen zwischen seinen Bedürfnissen, der Liebe seines Ehemannes, der damit nicht zurechtkommt, und den Vorurteilen einer Gesellschaft, die keine Sensibilität zeigt.
Lilia, muslimische Französin mit tunesischen Wurzeln, erzählt davon, wie ihr Vater von Johannes Paul II. zum Gebet in Assisi eingeladen war und zwei Segens-Suren aus dem Koran vorlas. Es waren erfüllte Tage der Begegnungen und des Kennenlernens, der Hoffnung und der Überzeugung, dass wir alle gemeinsam es schaffen werden, unserer Kirche ein jesuanisches Antlitz zu geben.
Sigrid Grabmeier, Vorsitzende der Internationalen Bewegung Wir sind Kirche (IMWAC)
> Wir sind Kirche: 50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil
Zuletzt geändert am 10.11.2020