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Veröffentlicht am 26­.10.2007

26.10.2007 - Publik-Forum

Mit sanfter Beharrlichkeit

Christian Weisner, der Initiator der Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche« in Deutschland, lässt sich nicht beirren. Ein Porträt

Von Claudia Mende

Christian Weisner fährt gegen den Strom. Während halb Augsburg zum letzten Wiesn-Wochenende aufs Oktoberfest nach München strömt, reist Weisner den umgekehrten Weg. Er ist an diesem Samstag für Wir sind Kirche unterwegs, das Oktoberfest interessiert ihn ohnehin nicht.

In der Evangelischen Diakonissenanstalt finden die Augsburger Theologiegespräche statt. Referent an diesem Nachmittag ist Gotthold Hasenhüttl, jener Priester und Theologe, den die katholische Kirche von seinem Amt suspendierte und dem sie die Lehrerlaubnis entzog, obwohl er bereits emeritiert war. Hasenhüttl hatte es beim Berliner Ökumenischen Kirchentag 2003 gewagt, ein gemeinsames Abendmahl mit katholischen und evangelischen Christen zu feiern. In katholischen Häusern darf der Theologe nun nicht mehr auftreten.

Weisner will mit seinem Kommen auch das Ehepaar Herbert und Maria Tyroller unterstützen. Die beiden haben die »Augsburger Theologiegespräche« ins Leben gerufen. Herbert Tyroller ist gleichzeitig Sprecher von Wir sind Kirche im Bistum Augsburg. Man kennt sich seit dem Kirchenvolksbegehren. Eine geschwisterliche Kirche, die volle Gleichberechtigung der Frauen, die Abschaffung des Pflichtzölibats und eine positive Bewertung der Sexualität forderten damals 1,8 Millionen meist katholische Christen.

Vor ihrer Pfarrkirche in Augsburg hatte das Ehepaar Tyroller damals den Stand mit Unterschriftenlisten aufgebaut, für alle gut sichtbar. Der Pfarrer strafte sie von der Kanzel herab vor allen Gläubigen im Gottesdienst ab. Dreimal, nicht nur einmal. Doch die beiden haben nicht aufgegeben. Seit zehn Jahren organisieren sie die »Theologiegespräche« auf eigene Faust und mit eigenem Geld. »Wir wollen kritischen Katholiken Argumentationshilfen geben«, sagt Elisabeth Tyroller.

Das Kirchenvolksbegehren hat auch Christian Weisners Leben verändert. »Etwas leichtfertig habe ich damals meine Adresse angegeben«, erzählt er, »und wusste nicht, was alles auf mich zu kommt.« In seinem Wohnzimmer in Hannover liefen alle Unterschriften zusammen. Dort versendete er mit anderen Freiwilligen Adressenlisten, sammelte Aktenordner voller Unterschriftenlisten und freute sich über die große Resonanz.

Weisner ist heute 56 Jahre alt. Der graumelierte Bart und die runde Brille unterstreichen seine ruhige Ausstrahlung. Er stammt aus einer liberalen katholischen Familie in Kiel. »Mein Vater war im Akademiker- Verband und im Pfarrgemeinderat«, berichtet er. »Ich habe noch erlebt, wie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Laien in den Altarraum kamen.« Sein Umfeld erlebte er stets als ermutigend, alles Katholisch- Repressive ist ihm fremd. Der Studentenpfarrer ermunterte ihn, sich zu engagieren. »Das hat mich fürs Leben geprägt.« Persönlich ist er nie in Konflikt mit der Institution gekommen, deswegen hatte er nie eine kirchenferne Phase. Ein Leben ohne Kirche ist für Weisner unvorstellbar. »Ich bekam immer sehr positive Impulse. Die ganze Verwandtschaft fand die Unterschriftenaktion gut, auch meine Mutter mit ihren damals 89 Jahren.«

Weisner ist kein Theologe. Nach dem Abitur studierte er Stadtplanung und arbeitete bis 2005 in einem Verkehrsplanungsbüro in Hannover. Städteplanung und ehrenamtliche kirchliche Arbeit, das sind die zwei Standbeine im Leben des Katholiken Weisner. Bei einem Bundestreffen von Wir sind Kirche lernte der Diplomingenieur seine Frau kennen. 2005 kündigte er im Planungsbüro und zog zu ihr und ihrer Tochter nach Dachau; er wollte keine Wochenendbeziehung mehr. Dass er Mitglied im sechsköpfigen Bundesteam der Kirchenvolksbewegung ist, versteht sich von selbst.

»Städteplaner und Kirchenleute denken gar nicht so verschieden«, meint er. Der Dreischritt Analyse – Planung – Umsetzung gelte schließlich in der Kirche genauso. Nur dass es dort mit der Umsetzung eher hapert. Nicht eine Forderung der Kirchenvolksbewegung wurde erfüllt. Zwölf Jahre danach dürfen Frauen immer noch nicht Priesterin werden, der Zölibat gilt weiterhin, Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene werden abgelehnt. »Kirchenrechtlich haben wir nichts erreicht. Eher hat es uns Rom noch schwerer gemacht«, das ist auch Weisner klar. »Gotthold Hasenhüttl wurde abgemahnt, Menschen haben ihren Beruf verloren, weil sie sich zu Wir sind Kirche bekannt haben.« In Regensburg gibt es einen Bischof Gerhard Ludwig Müller, der gegen die Leitlinien der Bischofskonferenz zum sexuellen Missbrauch verstößt und sich dennoch keines Vergehens schuldig weiß. Für Weisner ist »ungeheuerlich, was da passiert«.

Während der Herbstversammlung der Bischöfe in Fulda beteiligte er sich an einer Mahnwache. Zusammen mit der Gruppe Maria von Magdala und einigen Wir-sind-Kirche-Leuten protestierte er mit Transparenten gegen die Haltung der Bischöfe. »Wir prangern an«, stand auf ihrem Banner. Und: »Willkür gegen Theologinnen, Vertuschung sexueller Gewalt, Zwangszölibat, Vernichtung von Gemeinden.« Die Bischöfe konnten die Transparente nicht sehen, da sie in einiger Entfernung zum Tagungsort aufgestellt werden mussten. Sie hätten sich die Bilder aber abends in der Tagesschau anschauen können. Von den Medien werden solche Aktionen durchaus wahrgenommen. Zwei Jahre nach der »Wir-sind-Papst«-Euphorie werden kritische Stimmen wieder lauter. In Rom dagegen werden die Probleme weggelächelt. »Das Lehramt mauert«, ärgert sich Weisner.

Kann er sich vorstellen, die Geduld mit seiner Kirche zu verlieren? Weisner schüttelt den Kopf. »Nein. Wir Menschen brauchen etwas Höheres, das uns verbindet, einen Gesamtgedanken. Das fasziniert mich an der Kirche; sie hat unendliche Potenziale.« Potenziale, die nicht genutzt werden. Weisner neigt nicht zum Radikalen, er ist mehr Reformer denn Rebell. »Wir sollten eine sanfte Strategie verwenden«, sagt er. Argumentieren, Überzeugen, Kontakte mit liberalen Theologen wie Hasenhüttl pflegen. Keine Verweigerung von Kirchensteuern, keine Austrittskampagne.

Wir sind Kirche ist für Weisner so eine Art katholisches Greenpeace – auch die Umweltschützer müssten sehr dicke Bretter bohren, sagt er. »Wir wissen alles über die Umweltverschmutzung, trotzdem werden die schicken Autos gekauft.« Will sagen: Nicht nur die Kirche ist rückständig, darauf legt er Wert. »Es gibt viele engagierte und aufgeschlossene Leute dort.«

Mahnwachen, Diskussionen, aber auch die alltägliche Büroarbeit gehören zu seinem Amt. In der Dachauer Etagenwohnung der Familie hat Christian Weisner sein neun Quadratmeter kleines Büro, vollgestopft mit Büchern und Aktenordnern. Den Schreibtisch teilt er sich mit seiner Frau, die an einem Münchner Gymnasium unterrichtet. Wenn Christian Weisner morgens seinen Computer startet, dann blickt er auf Dachauer Bürgerhäuser, während er E-Mails aus der ganzen Welt sortiert. Weisner hält Kontakt zum Bundesteam und den Bistumsgruppen von Wir sind Kirche, aber auch zu kirchenkritischen Bewegungen in den USA und Westeuropa. Menschen rufen ihn an und wollen wissen: »Kann ich aus der Kirche austreten und trotzdem noch katholisch sein?« Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche brauchen Hilfe; Weisner verweist sie auf das Nottelefon Zypresse. Journalisten wollen kritische Informationen zu Themen wie Zölibat und Frauenpriestertum.

Neulich erwischte die New York Times Weisner am Handy, darüber kann er sich dann richtig freuen. Es wäre ein Vollzeit-Job, wenn er denn bezahlt wäre. Aber der gelernte Stadtplaner arbeitet ehrenamtlich. »Geld gibt es keins«, sagt er, »aber dafür sehr viel Sinn.« Mittags ist er zu Hause, wenn die Tochter aus der Schule kommt. Er betreut sie bei den Hausaufgaben und teilt sich mit seiner Frau die Hausarbeit. Im Grunde ist er zufrieden, weil für ihn die Grundlinie seiner Arbeit stimmt: »Im Bewusstsein der Katholiken hat sich sehr viel verändert. Heute können sich zum Beispiel viele Menschen vorstellen, dass Frauen Priesterinnen werden.« Und das Wichtigste: »Wir sind noch da, und wir bleiben hartnäckig.«

Zuletzt geändert am 26­.10.2007