9.12.2007 - Sonntagsblatt - Ev. Wochenzeitung für Bayern
Deutlich undeutlich
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus: Mit einem zweitägigen Kongress zur »Christlichen Verantwortung im 21. Jahrhundert« haben die Organisatoren vergangenes Wochenende den Startschuss zum 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 in München gegeben.
Der Anspruch der Tagung war hoch: 150 Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft sollten überlegen, welche die Hauptthemen auf dem Weg zum ökumenischen Großereignis, von Insidern lässig »Ö-KA-TE« oder »Zwanzigzehn« gerufen, sein sollen.
Um es vorwegzunehmen: Ein Leitthema für München gibt es noch nicht. Stattdessen eine Vielzahl von Wunschthemen: der Klimawandel als ethische Herausforderung, die weltweite Verantwortung der Christen im immer schneller sich drehenden Rad der Globalisierung, die Probleme einer auseinanderdriftenden Gesellschaft vor der deutschen Haustür und und und.
Diffus oder deutlich?
Beobachtern von außen wird dabei schwindlig. »Die Themen sind ein Gemischtwarenladen, ein Profil ist noch nicht erkennbar«, sagte Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, am Ende einer zweistündigen Podiumsdiskussion. Seiner Meinung nach müssten Kirchen- und Katholikentage nach Wegen suchen, am jeweiligen Veranstaltungsort Spuren zu hinterlassen. »Bei jeder Bundesgartenschau bleibt etwas in der Stadt - was bleibt vom Kirchentag?« fragte Frey.
Ähnlich äußerte sich Freys Journalistenkollege Christoph Bertram, Präsidiumsmitglied des »Deutschen Evangelischen Kirchentags«. Kirchentage seien zu wenig kontrovers, echte Auseinandersetzung würde von der Themenvielfalt erdrückt. »Wir müssen die Möglichkeit zu einer Kontroverse bieten, die mehr ist als ein Schlagwortabtausch«, so Bertram. Das geht aber nur, wenn einzelne Themen mehr Zeit und Raum bekommen, und das wiederum geht nur, wenn der Kirchentag nicht versucht, alle Probleme der Welt gleichzeitig zu lösen.
Dieser Meinung ist auch der bayerische Ministerpräsident und derzeitige Lieblingsprotestant im Freistaat, Günther Beckstein: »Der Ökumenische Kirchentag braucht ein Leitthema, nicht fünf - sonst wird er diffus.« Die evangelischen Kirchentage der Vergangenheit seien in der politischen Wahrnehmung von unterschiedlicher Qualität gewesen und nicht alle hätten eine starke Botschaft ausgesandt. Doch gerade das wäre für Beckstein reizvoll: »Es ist ein spannender Prozess, wenn zehntausende Menschen bei so einer Veranstaltung zu einer gemeinsamen Botschaft finden.«
Einen ganz konkreten Vorschlag für ein Hauptthema hätte Armin Nassehi, Soziologieprofessor an der LMU München. Der Ökumenische Kirchentag solle sich damit beschäftigen, was eigentlich »das Christliche« sei. »Wer von christlicher Verantwortung spricht, meint oft die kirchliche«, sagte der Wissenschaftler. Er habe den Eindruck, dass Organisationen wie Kirche nur funktionieren, weil ihr eigentlicher Kern im Dunkeln bleibe. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass es in der Institution gewaltig knirschen und krachen könnte, wenn sich Katholiken und Protestanten, Konservative, Liberale, Charismatiker und die Legion Mariens an eine gemeinsame Erhellung ihres christlichen Kerns machten. »Aber über Werte reden kann jeder«, mahnte Nassehi. Wenn Christen nicht klar sei, was ihr Wesen ausmache, »dann bleibt von den Kirchen in der nächsten oder übernächsten Generation nicht mehr übrig als ein Kulturverein.«
Der einfache Kirchgänger wird sich bei so viel Thema-Debatte nun ratlos am Kopf kratzen und fragen: »Und was ist mit der Ökumene?« Beim Ökumenischen Kirchentag ein durchaus naheliegender Gedanke, zumal auch der zeitliche Abstand von Berlin 2003 zu München 2010 biblische Assoziationen weckt: Nach den sieben mageren Ökumenejahren müssten doch ab Zwanzigzehn fette Zeiten anbrechen. Oder?
Die Laienorganisationen des »Deutschen Evangelischen Kirchentags« (DEKT) und des »Zentralkomitees der deutschen Katholiken« (ZdK), die gemeinsam den ÖKT in München organisieren, hätten wahrscheinlich nichts dagegen. Doch solange sich auf Kirchenleitungsebene nichts bewegt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu verkünden, dass es in der Frage des gemeinsamen Abendmahls keine Erwartungen für 2010 gebe.
»Wir kommen nicht durch Hauruck-Aktionen der Basis in theologischen Fragen voran«, sagte Hans Joachim Meyer, ZdK-Präsident und katholischer Präsident des ÖKT 2010. Sein Kollege Eckhard Nagel nannte es »traurig, dass es keine Bewegung beim gemeinsamen Abendmahl gibt«. Er schlug vor, stattdessen praktische Lösungen für Alltagsfragen bezüglich gemischtkonfessioneller Ehen zu suchen. »Das Christentum soll für die Menschen eine Entlastung, keine Belastung im Leben sein«, so der evangelische ÖKT-Präsident.
Zufall oder Absicht?
Am Rande der Ökumene-Frage kann man übrigens spaßeshalber darüber spekulieren, ob es Zufall oder Absicht war, dass der Vatikan den Trierer Bischof Reinhard Marx am Freitagmittag punkt 12 Uhr, also eine Stunde vor Beginn des Ökumene-Kongresses, offiziell zum neuen Erzbischof für München und Freising ernannt hat - und dass Marx, dem katholischen Gastgeber des ÖKT 2010, bislang nicht gerade der Ruf eines ausgesprochenen Ökumenikers vorauseilt.
Am Ende des zweitägigen Auftaktkongresses war der Arbeitsauftrag nur zur Hälfte erfüllt: Es wurden eine Menge Themen diskutiert, doch welche nun die Leitfragen für 2010 sein sollen, ist noch immer offen. Das Resultat wird auch noch eine Weile auf sich warten lassen. In bester Kirchentagsmanier werden nämlich erst die auf Tonband festgehaltenen Redebeiträge niedergeschrieben und ausgewertet. Das Destillat soll im Januar vorliegen. Es könnte ein Hinweis darauf sein, was denn nun inhaltlich aus dem 2. Ökumenischen Kirchentag wird: ein Themen-Discounter der Beliebigkeit? Oder ein gut sortiertes Fachgeschäft für Theologie und Sozialethik?
Susanne Petersen
Zuletzt geändert am 17.12.2007