19. Januar 2006 - DIE ZEIT
Nein und Amen (über Gotthold Hasenhüttl)
Von Matthias Stolz
Als der Theologe Gotthold Hasenhüttl im Jahr 1966 seinen Kollegen Joseph Ratzinger in seinem alten VW durch Tübingen fuhr, war nicht abzusehen, dass Ratzinger ihm später einmal seinen Beruf verbieten würde. Der junge Professor Ratzinger war aus Münster gekommen, um fortan in Tübingen zu lehren, und Hasenhüttl, damals Assistent des Professors Hans Küng, hatte ihn vom Bahnhof abgeholt. Es war der Beginn einer akademischen Freundschaft zwischen Ratzinger, Küng und Hasenhüttl: Über Jahre luden sie sich gegenseitig in ihre Wohnungen ein, tranken Wein, diskutierten.
Ratzinger ist heute Papst, Hasenhüttl ein suspendierter Priester und Professor ohne kirchliche Lehrerlaubnis. Die hat ihm Anfang Januar sein Trierer Bischof Reinhard Marx entzogen, weil er Protestanten die Kommunion erteilt hatte. Dies ist, vorläufig jedenfalls, der Schlusspunkt eines Streits, in dem Hasenhüttl der Angeklagte ist und Ratzinger der oberste Richter.
Wie es meistens ist: Verstoßene haben Zeit. Er sagt einem Gespräch sofort zu. Und am Abend der Verabredung wartet Hasenhüttl auf der Fußmatte vor seiner Wohnungstür, führt hinein in sein Wohnzimmer und in den Konflikt. Der Brief, aus dem Hasenhüttl von dem Verlust seiner Lehrerlaubnis erfuhr, kam als Einschreiben mit Rückschein am 3. Januar 2006. Jetzt liegt er auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer, das auch sein Arbeitszimmer ist und Ausstellungsraum für eine Konfuzius-Figur, die Totenschädel, ein geschnitztes Affenskelett, allesamt Reisemitbringsel. »Nehmen Sie den Brief ruhig. Sie dürfen ihn auch lesen.« Man liest, und derweil zählt Hasenhüttl, 72 Jahre alt, mit großer Genauigkeit auf, welche Briefe diesem Brief vorhergingen: Suspendierung als Priester am 17. Juli 2003, Widerspruch am 18. Juli 2003, Ratzingers Bestätigung der Suspendierung am 3. Juni 2004, Einspruch am 4. Juni 2004, endgültige Suspendierung am 4. Dezember 2004, bis hin zum Entzug des Nihil obstat, der Lehrerlaubnis, am 2. Januar 2006, Erwiderung am 4. Januar 2006, Begründung des Bischofs am 10. Januar 2006. Der Streit entzündete sich im Mai 2003, als sich Katholiken und Protestanten zum allerersten ökumenischen Kirchentag trafen, in Berlin. Die Laienorganisationen »Wir sind kirche« und »Kirche von unten« hatten Hasenhüttl ein halbes Jahr zuvor angerufen und gefragt, ob er bereit sei, in einem ökumenischen Gottesdienst als katholischer Pfarrer auch den evangelischen Besuchern die Kommunion zu erteilen – eine Handlung, die das katholische Kirchenrecht in aller Regel verbietet, die für Hasenhüttl aber ein Symbol der Verständigung zwischen den Kirchen ist. Hasenhüttl hat nicht gezögert. Noch beim ersten Telefonat sagte er zu. Unter den Kirchentagsbesuchern in Berlin verbreitete sich rasch die Kunde vom katholischen Professor, der die Hostie an Protestanten verteilen werde. Und so war die Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg am 29. Mai 2003 voll bis auf den letzten Platz. Hasenhüttl sagt heute, es sei sein schönster Gottesdienst seit seiner Primiz, seiner Amtseinführung, gewesen. Hasenhüttl verteilte die Hostie, und der Kirchentag hatte seinen Skandal. Seinen gewollten Skandal, auch wenn Hasenhüttl heute sagt, er habe weder mit einem solchen Eklat noch mit einer solchen Strafe gerechnet. Er hatte zuvor versucht, sein Strafmaß auszurechnen: Hasenhüttl kam auf eine Verwarnung.
Der Bischof suspendierte ihn als Priester. So hart war diese Strafe, dass selbst der damalige Bundespräsident Johannes Rau für ihn Partei ergriff, was dieser ein paar Tage später schon bereut haben könnte. Denn Hasenhüttl, womöglich euphorisiert von Solidarität und Sympathie, die ihn umgaben, beging einen Fehler. Er warf in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung der Kirche vor, sie verlange von ihm einen »Eichmann-Gehorsam«. Adolf Eichmann, Obersturmbannführer der SS, hatte seine Verbrechen damit entschuldigt, er habe lediglich Gehorsam geleistet. Hasenhüttl bereute die Rede vom Eichmann-Gehorsam einerseits öffentlich und behauptete andererseits, alles nicht so gemeint zu haben. Der Begriff sei für ihn bloß Synonym für gewissenloses Duckmäusertum gewesen.
Es spricht viel dafür, dass die Hostie in Berlin nicht der Kern allen Streites war. Hat nicht Ratzinger, damals noch Kardinal, gesagt, was Hasenhüttl während des Kirchentages »angestellt« habe, sei »relativ gering im Vergleich zu dem, was er im Ganzen von sich gegeben« habe? Und hat nicht ein paar Monate später Ratzinger selbst, als er noch als Kardinal die Totenmesse für Papst Johannes Paul II. zelebrierte, die Hostie an Frère Roger Schütz, den Gründer der Taizé-Gemeinschaft, verteilt? An einen Mann, von dem man in der Kirche so genau weiß, dass er evangelisch war, wie von Johannes Paul II., dass er katholisch war?
Der wahre Grund der harten Strafe, so sieht das Hasenhüttl, liege in seiner Theologie. 2001 war sein Buch Glaube ohne Mythos erschienen, in dem er behauptet, dass sich Gott ausschließlich in der Liebe zwischen Menschen zeige. Für Hasenhüttl ist es darum zweitrangig, ob Jesus gelebt hat. Und die Eucharistie ist für ihn nur ein »himmlisches Bild«. Das sind Thesen, mit denen die Kirche sich schwer tut – auch sein neuer Dienstherr in Trier, Bischof Marx. Im Januar 2003 bekommt Hasenhüttl Post von ihm. Auch der Brief ist schnell gefunden, »lesen Sie!«. Diesmal liest man laut: Der Bischof fordert ihn auf, darzulegen, wie seine »Thesen vereinbar sein sollen mit der katholischen Glaubenslehre« und verabschiedet sich mit »Oremus pro invicem«. Was heißt das? »Mögen wir füreinander beten. Ich weiß nicht, ob er das wirklich ehrlich gemeint hat.«
1979 schützte Ratzinger seinen Kollegen ein letztes Mal
Gotthold Hasenhüttl, 1933 in Österreich geboren, war im Priesterseminar in Graz, als man ihn 1953 auswählte, die Pontifica Universitas Gregoriana zu besuchen, eine katholische Elite-Hochschule in Rom. Dort wurde er mit drei inzwischen prominenten Theologen unterrichtet: mit Karl Lehmann, heute Kardinal in Mainz, mit Friedrich Wetter, Kardinal in München und mit Hans Küng, mittlerweile der bekannteste deutsche Kirchenkritiker. Sie alle wurden unterrichtet von einem Pater namens Wilhelm Klein, der ihnen einschärfte, bloß keiner formalen Autorität zu folgen. »Die einen haben verstanden, die anderen nicht«, sagt Hasenhüttl.
Küng holte ihn wenige Jahre später als Assistent nach Tübingen. 1966 kam Ratzinger aus Münster hinzu; nun waren sie zu dritt. Hasenhüttl erinnert sich, dass Ratzinger damals als liberal galt. Hasenhüttl misstraute ihm schnell. Er erzählt von einem Abendessen; Ratzinger hatte zu sich nach Hause eingeladen, seine Schwester tischte auf, als Ratzinger in einer Diskussion um Dostojewskijs Die Brüder Karamasow sein wahres Gesicht gezeigt habe. Küng und Hasenhüttl waren der Meinung, dass eine Geschichte in dem Roman – es geht dabei um einen Großinquisitor, der den wiedergekehrten Jesus ins Gefängnis werfen lässt – eine Kritik sei an der Kirche, die sich von Jesu Botschaft entfernt habe. Ratzinger widersprach heftig. Nach diesem Essen hat sich Hasenhüttl gedacht: Vorsicht.
Ihr Ton, sagt Hasenhüttl, sei danach dennoch freundschaftlich geblieben. Ratzinger stärkte ihn sogar in seinem Entschluss, sich zu habilitieren, gab Anregungen und schlug ihm Literatur vor. Heute sagt Hasenhüttl, er wisse nicht, weshalb Ratzinger ihn damals so unterstützt habe. Sogar noch nach der Lektüre seiner kirchenkritischen Habilitationsschrift setzte der sich 1969 beim Bischof dafür ein, dass Hasenhüttl eine Dozentur in Tübingen bekam, eine Stelle auf Lebenszeit. Doch bereits 1974 verließ Hasenhüttl Tübingen. Fortan lehrte Hasenhüttl in Saarbrücken, von der Welt recht unbemerkt, während seine Kollegen Küng und Ratzinger in Tübingen in den siebzigern und achtzigern allmählich berühmt wurden.
1979 fiel Hasenhüttl mit seinem Buch Kritische Dogmatik bei den deutschen Bischöfen in Ungnade: Dort schreibt er, dass der Glaube nie für sich in Anspruch nehmen dürfte, objektive Wahrheit zu sein. Wieder half ihm Ratzinger, inzwischen Erzbischof von München und Freising. In einem Brief an Hasenhüttl äußerte er sich wohlwollend über das Buch: »Auch wenn ich nicht allem zustimme, was da gesagt ist, so glaube ich doch, dass Sie dem Leser eine solide Information und gute Hilfen zum Weiterdenken bieten.« Dank dieses Briefes, sagt Hasenhüttl, hätten ihn die Bischöfe nicht sanktioniert.
1981 wurde Ratzinger Präfekt der Glaubenskonkregation in Rom und war fortan damit beschäftigt, die Kirche vor abweichenden Glaubensvorstellungen zu schützen. Erst 19 Jahre später sieht Hasenhüttl ihn wieder. Ratzinger lädt ihn mit einer Studentengruppe zu sich ein. Hasenhüttl erinnert sich an einen freundlichen Empfang. Als einer der Studenten auf das Priesteramt der Frau zu sprechen kommt, wechselt Hasenhüttl geschickt das Thema.
Im Jahr darauf erscheint Hasenhüttls Buch Glauben ohne Mythos, 2 Bände, 802 und 808 Seiten, sein bisher aufwändigstes Werk, wird nicht gerade ein Bestseller. »Bei mir ist eben alles ein wenig kompliziert«, sagt Hasenhüttl und meint das Buch und nicht sein Leben.
2002 wird er emeritiert, im selben Jahr sagt er zu, die Hostie an Protestanten zu verteilen. Nach dem Kirchentag in Berlin gibt Ratzinger ein Interview zu Hasenhüttl: »Was im Innersten seines Herzens ist, das überlassen wir dem lieben Gott. Aber was er geschrieben hat, ist nicht katholisch.« Zum ersten Mal, seit die beiden sich kennen, verurteilt Ratzinger ihn öffentlich. Hasenhüttl sagt im Jahr darauf, als ihn die tageszeitung zur bevorstehenden Papstwahl befragt: »Auf jeden Fall ist kein deutscher Kardinal geeignet, Papst zu werden.«
Er erlebt die Prozedur im Fernsehen, sieht, wie der neue Papst den Balkon betritt. Und er wusste, dass dieser Mann, der jetzt Benedikt hieß, glücklich war, von Grund auf glücklich, denn er kannte dieses Lächeln aus Tübinger Tagen, wenn Ratzinger ein Glas Wein genoss.
»Ich glaube, dass mir die Geschichte Recht geben wird«
Darf man einen Priester fragen, ob er Neid empfindet? Man darf, die Antwort ist ein entschiedenes Nein. Hat er sich Gnade vom Papst erhofft? Heute nicht mehr, sagt Hasenhüttl und verfällt in eine Beschimpfung Benedikts. »Er ist ja kein guter Theologe, betrachten Sie nur seinen neuen Katechismus. Er kann bloß schöne Sätze sagen, an die er sich aber nicht hält.« Glaubt er nicht mehr an Versöhnung? »Ich kann ja weiterhin nicht bereuen. Vielleicht folgt noch meine Exkommunikation.«
Drei Stunden lang hat Hasenhüttl geredet, seine Stimme ist schwächer geworden, immer öfter unterbrochen durch ein Räuspern. »Ich gebe zu, manchmal Gefallen an dem Gedanken zu finden, dass man zu der Einsicht gelangt, dass ich Recht hatte. Vielleicht in 20 Jahren, vielleicht in 40. Ich glaube, dass mir die Geschichte Recht geben wird.« Dann erzählt er von Hildegard von Bingen, die sich auch gegen den Befehl ihres Bischofs widersetzte und doch eine Heilige wurde.
Einmal noch findet seine Stimme ihre Kraft wieder. Als man ihn fragt, ob er sich nie danach gesehnt habe, in größerer Harmonie zu leben, auch mit seinen Gegnern in der Kirche, da ruft Hasenhüttl: »Nein! Das nicht! Ich hätte sie noch viel, viel mehr kritisieren müssen.«
Gotthold Hasenhüttl hatte sich, als er jünger war, ausgemalt, seinen Ruhestand in Rom zu verbringen. Wegen der Sprache, der Bauten, der Straßen, der Sonne. Und weil er es sich als einen schönen Bogen in seinem Leben vorgestellt hat, dorthin zurückzukehren, wo er einmal als Priester begann. In Rom ist jetzt der andere. Und Hasenhüttl wohnt in Saarbrücken und sitzt in letzter Zeit häufig, da die Mitspieler rar geworden sind, vor Mephisto, seinem Schachcomputer.
Zuletzt geändert am 06.05.2006