12.3.2004 - Publik-Forum
Zur Zukunft der Kirchenreformer
Von Hartmut Meesmann
Die Liste ist lang: keine Bischofswahlen durch das Volk; keine Zulassung von Frauen zum Priesteramt, noch nicht einmal zum Diakoninnenamt; keine Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten; Rücknahme der Liturgiereform; keine wirklichen Möglichkeiten der Mitentscheidung für Laien; keine Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften, eher eine Diffamierung dieser Menschen; keine Schwangerenkonfliktberatung mehr im staatlichen Beratungssystem; zunehmende Ausgrenzung von Reformkatholiken, ja selbst von gemäßigten Katholiken, die in einzelnen Sachfragen wie der Schwangerenberatung, der Homosexualität, der Ehescheidung anderer Meinung sind als die Hierarchie; massive Einforderung des Gehorsams unter Missachtung der Gewissensfreiheit der Gläubigen; Diffamierung von Theologinnen und Theologen, denen – oft ohne Angabe von Gründen – die kirchliche Lehrerlaubnis verweigert wird; kirchenamtliche Hofierung konservativer Gruppen (nicht nur des Opus Dei) und Ausgrenzung »linker«, befreiungstheologischer Initiativen (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel) ...
Die katholische Kirche profiliert sich als Hort der Reformverweigerer. Verkauft wird diese Haltung als Treue zu sich selbst. Es ist eine Treue, die den Weg ins selbst gewählte Getto weist, der dann als »Treue zum Herrn« glorifiziert wird.
Initiativen wie die Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche« oder »Kirche von unten« sind – so gesehen – eigentlich wichtiger denn je. Sie halten die Vision einer offeneren und »demokratischen« – oder, wer es lieber hören möchte: synodaleren – Kirche im Bewusstsein der kirchlichen wie der nichtkirchlichen Öffentlichkeit.
Nur: Der Abwärtstrend, der die Kirchen erfasst hat, verschont auch die Reformkreise nicht. Die Zahl ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter schwindet, so wie die Mitgliederzahlen der Kirchen langsam, aber stetig sinken. Den Mitgliedsgruppen der innerkatholischen Opposition droht die »Vergreisung«. Junge Mitglieder sieht man nur vereinzelt. Da hilft auch die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft »Wir sind Kirche Jugend« durch ein paar äußerst aktive junge Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht viel. In den Niederlanden hat sich die 8. Mai-Bewegung – einflussreicher Vorreiter eines kritischen Katholizismus auch hier in Deutschland – mangels Masse und Stoßkraft inzwischen aufgelöst.
Diese Entwicklung hat einen Grund: Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung am Thema Kirchenreform nicht (mehr) interessiert ist. Für die meisten Menschen ist die Institution Kirche inzwischen ohne größere Bedeutung für ihr Leben. Die jungen Leute schnuppern schon mal hier und da in ein kirchliches Projekt hinein, wenn es denn halbwegs interessant erscheint, Eventcharakter bietet und die Gewähr, Gleichaltrige zu treffen oder einen Star. Aber sonst? Null Bock auf Kirche!
Von diesem Desinteresse sind auch katholische Reformgruppen betroffen. Außerdem haben sich viele Ältere, die sich noch vor Jahren für Reformen eingesetzt und die Kirchenvolksbewegung mit viel Sympathie begleitet hatten, innerlich oder äußerlich verabschiedet. Die innerkatholische Opposition, das muss man nüchtern sehen, blutet aus – langsam, aber stetig.
Innerkirchlich haben sich die ehemals verfestigten Fronten zwar inzwischen aufgelöst. In dem Bemühen, die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils gegen den massiv auftretenden Block der Vorkonziliaren zu retten, treffen sich Reformkatholiken mit breiten Kreisen in den Verbänden und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Das ist erfreulich und stärkt die Gemeinsamkeit, aber natürlich nicht in allen Fragen.
Und doch: Angesichts von Spardruck und säkularem Gegenwind sind viele Engagierte – ob haupt- oder ehrenamtlich tätig – froh, wenn sie halbwegs zufrieden überleben. Sie haben oft genug reichlich damit zu tun, das (herkömmliche) kirchliche Leben in den neuen pastoralen Räumen sicherzustellen und ihr berufliches wie familiäres Leben mit all dem gewachsenen Druck und Stress mit dem kirchlichen Engagement einigermaßen zu vereinbaren. Das kostet Nerven genug. Warum sich dann noch mit verbohrten, selbstgefälligen oder hinterhältigen Amtsträgern herumschlagen? Der resignierte Rückzug aufs Refugium des kleinen, familiären Kreises in der Gemeinde ist die – durchaus verständliche – Folge. Man schützt sich selbst. Oder man engagiert sich gezielt und bewusst in seiner sozialen oder politischen Gruppe (zusammen mit anderen Christen) und lässt die eigene Kirche Kirche sein, ohne allerdings aus ihr auszutreten.
So erscheint die Situation paradox: Einerseits ruft die Zeit nach Reformen – andererseits ist das Klima in der katholischen Kirche noch selten so reformabweisend gewesen wie derzeit. Trübe Aussichten für »Wir sind Kirche« & Co. Aushalten werden die Reformerinnen und Reformer diese Situation im Grunde nur mit einer spirituellen Haltung, die sich auf das symbolische Bild von der Wanderung durch die Wüste stützt: Man muss es einfach ertragen, dass der eigene Glaube an Plausibilität in der Gesellschaft verliert und der eigene Einsatz für innerkirchliche Reformen an abweisende Mauern stößt. Die Reformer werden sich auf die Bibel besinnen müssen, in der es oft heißt, dass Gott im Verborgenen wirkt, im Unscheinbaren, im Gescheiterten. Glücklich zu preisen, wer dieses Vertrauen leben kann. Wer es nicht kann, wird die katholische Kirche sich selbst überlassen und seine eigenen religiösen Wege gehen. Oder in eine andere christliche Kirche übertreten – und dort möglicherweise auf ähnliche Probleme stoßen.
Zuletzt geändert am 11.08.2008