10.10.2008 - dpa
Die Kirche bald nicht mehr im Dorf?
123 Vertreter aus dem Ordinariat, aus Pfarreien, Gremien und kirchlichen Berufsgruppen sollen über eine "geistliche Neuorientierung" diskutieren, wünscht sich Erzbischof Reinhard Marx. Die nackten Zahlen freilich stehen schon fest: Künftig soll es im Erzbistum nur noch 555 Pfarreien geben, die sich in 200 Pfarreiengemeinschaften organisieren. Momentan sind die rund 1,8 Millionen Katholiken des Erzbistums noch in mehr als 700 Kirchengemeinden organisiert - doch hat nach Ordinariatsangaben nur jede zweite noch einen eigenen Pfarrer.
In anderen bayerischen Bistümern, etwa in Bamberg, sind die Umstrukturierungsprozesse schon in vollem Gange. Aus rund 360 Pfarreien und Kuratien werden seit Pfingsten 2006 knapp 100 Seelsorgebereiche geschmiedet. Einige Pfarreien hätten sich schon eng verbunden, etwa Personal und Gremien einfach zusammengelegt. Aber viele Pfarreien seien "doch noch ein bisschen ängstlich", sagt der zuständige Domkapitular Günther Raab. Eine "gerechtere Verteilung des Personals und der personellen Ressourcen" solle die neue Organisationsform bringen. Vor einigen Jahren steckte das Erzbistum Bamberg in großen finanziellen Schwierigkeiten, 2005 mussten schmerzhafte Einschnitte zur Konsolidierung des Haushalts vorgenommen werden.
Auf Pfarreiengemeinschaften setzt auch das Bistum Würzburg. "Die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft, die abnehmende Zahl der Priester und der Gläubigen sowie eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten machen es notwendig, die Zusammenarbeit der Pfarreien in unserer Diözese in verbindlicher Form zu regeln", betont Bischof Friedhelm Hofmann. Bis 2010 sollen im Bistum flächendeckend Pfarreiengemeinschaften gegründet werden.
Seit Ende 2003 müssen die Pfarreien im Bistum Eichstätt mit Nachbargemeinden kooperieren. "Per Dekret", so heißt es, verfügte der damalige Bischof Walter Mixa - heute Oberhirte in Augsburg - die Einrichtung von 52 Seelsorgeeinheiten. Bis zu 9 Pfarreien - je nach Mitgliederzahl - sollten fortan enger zusammenarbeiten. Walter Hürter von der Reformbewegung "Wir sind Kirche" zieht ein kritisches Fazit: "In den meisten Fällen konnte die "Kirche nicht mehr im Dorf" bleiben und den Gemeindemitgliedern werden weite Wege zum Gottesdienst zugemutet. Die Beziehung zwischen den Christinnen und Christen und den Seelsorgern wird von einer zunehmenden Distanz geprägt."
Die bayerischen Bischöfe bedienen sich einer positiv klingenden Wortwahl, wenn sie den Gläubigen die bevorstehenden Einschnitte - die Gemeinden werden größer, in manchen Kirchen wird es keine regelmäßigen Gottesdienste mehr geben - erklären: "Zu allen Zeiten hat sich die Kirche den äußeren Umständen angepasst um wirkungsvoll das Evangelium zu verkünden und den Glauben zu leben", meint etwa der Würzburger Bischof Hofmann.
Und sein Münchner Kollege Marx hat die bevorstehende Strukturreform unter das Motto "Dem Glauben Zukunft geben" gestellt. Der Priestermangel sei nicht der einzige Grund für die anstehenden Veränderungen: "Wenn wir mehr Priester hätten, würden wir dann die pastoralen Strukturen der fünfziger Jahre unverändert lassen? Nein", betont Marx. Man müsse sich fragen: "Wo stehen wir als Kirche inmitten einer immer vielfältigeren und sich rasant verändernden Gesellschaft?"
"Wir sind Kirche" hält es indessen für falsch, die Zahl der künftigen Seelsorgeeinheiten allein nach der Zahl der vorhandenen Priester zu richten, wie es Marx plant. "Dies würde in absehbarer Zeit zur Einrichtung von Mega-Pfarreien oder zu weit verstreuten Pfarreiengemeinschaften führen. Wie viel Zeit bliebe dann einem Priester noch für die individuelle Sorge um die Familien, die Trauernden, die Kranken und Sterbenden?", fragen Vertreter der Gruppierung in einem Schreiben an die Verantwortlichen im Münchner Erzbistum.
dpa/lby
Zuletzt geändert am 12.10.2008