27.09.2008 - Neue Westfälische Bielefelder Tageblatt
„Wir sollten die Macht des Bösen ernst nehmen“
Paderborn. Am 28. September 2003 wurde Erzbischof Hans-Josef Becker (60) in sein Amt eingeführt. Gut ein Jahr nach dem er als Diözesanadministrator die Aufgaben von Kardinal Degenhardt übernommen hatte, der im Juli 2002 plötzlich verstorben war. In diesen Tagen jährt sich die Amtseinführung zum 5. Mal. Zeit für eine Zwischenbilanz. NW-Redakteur Peter Hasenbein sprach mit dem Erzbischof.
Was hat Sie in den ersten 5 Jahren Ihrer Amtszeit besonders positiv überrascht?
ERZBISCHOF HANS-JOSEF BECKER: Die positive Grundeinstellung der Menschen mir gegenüber und eine bistumsweite große Bereitschaft, gemeinsam in die Zukunft zu gehen.
Hat es auch besonders negative Erfahrungen gegeben?
ERZBISCHOF BECKER: Ein besonders eklatantes Beispiel könnte ich nicht nennen. Aber es ist natürlich immer etwas Negatives, wenn man als Bischof enttäuscht wird, beispielsweise dann, wenn man hintergangen wird. Das kommt schon mal vor im Umgang mit Menschen. . .
Ende August haben Sie ausgespannt: Wo waren Sie im Urlaub und was sind Ihre bevorzugten Urlaubsregionen?
ERZBISCHOF BECKER: Ich war daheim in Belecke in meinem Elternhaus und am Möhnestrand, das sind 20 km oberhalb des Möhnesees. Die Landschaft im Sauerland ist immer wieder Balsam für meine Seele und hat einen hohen Erholungswert. Ansonsten fahre ich auch schon mal gerne ins Gebirge oder ans Meer, aber nicht in die Karibik, sondern an die Nordsee.
Fünf Jahre Erzbischof, da ändert sich auch der Alltag ganz gehörig: Haben Sie noch Zeit für Hobbys?
ERZBISCHOF BECKER: Ich bin oft sehr müde, wenn ich am Ende anstrengender Arbeitstage mal Freizeit habe, das gebe ich gerne zu. Mein Bischofsamt ist schon eine sehr vereinnahmende Aufgabe. Aber es gibt immer noch Zeit zum Lesen und zum Musikhören. Ich bin begeisterter Opern- und Konzertbesucher. Und ich wandere gerne, dann aber ganz alleine.
Welche Oper haben sie zuletzt erlebt?
ERZBISCHOF BECKER: Ich war im vergangenen August bei den Bayreuther Festspielen.
Sie waren bei der Eröffnung der Paragon-Arena dabei: Verfolgen Sie den Saisonverlauf des SC Paderborn?
ERZBISCHOF BECKER: Leider gab es den Klassenwechsel. Es hätte mir besser gefallen, die Paderborner wären in der 2. Bundesliga geblieben, aber natürlich verfolge ich auch den Saisonverlauf in der 3. Liga mit Interesse und Sympathie.
Gibt es eine Profimannschaft in der 1. Fußball-Bundesliga, die Sie favorisieren?
ERZBISCHOF BECKER: Es gibt für mich keinen echten Favoriten, aber mit Interesse verfolge ich die Spiele von Arminia Bielefeld und Borussia Dortmund. Undzwar, weil das die beiden Vereine sind, die in unserer Diözese liegen und sicher viele Fans im Bistum haben.
Kommen wir zu den kirchlichen Themen: Was zählt aus Ihrer Perspektive zu den Hauptaufgaben der Priester?
ERZBISCHOF BECKER: Dass sie im Auftrag des Bischofs und der Kirche das Evangelium glaubwürdig verkünden, dass sie brennen für die Botschaft, die sie vertreten, und dass sie ihre Arbeit nicht im Stile eines Funktionärs erledigen. Es muss also hinter dem priesterlichen Dienst mehr stecken als nur eine Pflichterledigung.
Und was ist Ihnen als Erzbischof im Umgang mit den Gläubigen besonders wichtig?
ERZBISCHOF BECKER: Ich möchte den Menschen authentisch begegnen und ihnen vermitteln, dass es mir sehr wichtig ist, die Botschaft des Herrn als substantiell für unsere Zeit zu verkünden. Das Evangelium glaubwürdig wach halten – das kann man durch Worte vermitteln und vor allem durch sein Verhalten vorleben. Wenn wir uns als Kirche so engagieren, dann werden wir unserem Auftrag gerecht.
Zu den wichtigsten Entwicklungen an der Basis zählt sicher auch die Gründung der Pastoralverbünde. Ist der Prozess abgeschlossen, und haben sich alle Gemeinden in ihren Pastoralverbünden arrangiert?
ERZBISCHOF BECKER: Ich bin erstaunt, dass die Errichtung der Pastoralverbünde bistumsweit schon in einem so hohen Grad verwirklicht ist. Vor Ort sagen die Leute: Ja, wir sehen ein, dass die Verbünde gegründet werden mussten. Ich spüre: Es kommt immer auf die Transparenz an, wie man sein Anliegen vermittelt. Das ist uns offenbar gelungen. Sicher wird das Projekt „Pastoralverbünde“ ein dynamischer Prozess bleiben. Dabei werden wir jedoch die Neuordnung nicht grundsätzlich verändern, sondern Anpassungen an örtliche Gegebenheiten und übrigens auch an demografische Entwicklungen vornehmen. Konkret: Meinen Auftrag in dieser Richtung möchte ich – so Gott will – bis zu meinen 75. Geburtstag im Jahr 2023 erfüllen, das ist meine Zielmarke. Aber dann werden wir wohl in unserem Bistum unter die 1,5-Millionen-Marke gerutscht sein, zurzeit sind es noch knapp 1,7 Millionen Katholiken. Sie merken: Die Frage der Strukturen in unserem Erzbistum wird uns also auf längere Sicht begleiten.
Es kann also nochmals Veränderungen bei den bestehenden Pastoralverbünden geben?
ERZBISCHOF BECKER: Ja, aber da denken wir aufgrund der zu erwartenden Zahlen in erster Linie an die Zusammenlegung von benachbarten Verbünden. Wir werden sicherlich nicht noch einmal die ganze Landkarte neu gestalten! Das wäre Unsinn und würde unnötigerweise Unruhe und Kräfteverschleiß vor Ort mit sich bringen.
Pastoralverbünde sind auch eine Reaktion auf den Priestermangel. Vorausgesetzt die Entwicklung setzt sich fort: Wie will das Erzbistum auf den zunehmenden Priestermangel reagieren?
ERZBISCHOF BECKER: Durch glaubwürdige Persönlichkeiten, die Interesse am Priesterberuf wecken. Das müssen übrigens nicht nur Priester sein.
Also die Gemeindereferenten und Diakone?
ERZBISCHOF BECKER: Selbstverständlich auch diese. Gefragt sind alle Frauen und Männer mit einer positiven Einstellung zur Kirche und zum priesterlichen Dienst. Das gilt insbesondere für alle kirchlichen Berufe, denn den Mangel haben wir genau so in anderen kirchlichen Bereichen. Es kommt darauf an, als Kirche mit Glaubensfreude zu leben.
Vor wenigen Tagen wurde in Erfurt der erste gemeinsame Pastoralkurs gegründet, daran beteiligt sind neben Paderborn fünf weitere Diözesen. Ist das der erste Schritt zu einer Konzentration der Priesterausbildung?
ERZBISCHOF BECKER: Es ist auf jeden Fall erst einmal eine sinnvolle Kooperation. Es werden Kräfte in der Priesterausbildung gebündelt. Es gibt in der Tat konzeptionelle Gründe, damit man nicht für ein oder zwei Studenten 5 Professoren beschäftigt. Ob später weitere Schritte folgen müssen, kann man heute noch nicht sagen. Das wird wohl erst in ein, zwei Jahren feststehen, wenn die ersten Erfahrungen ausgewertet worden sind.
Immer weniger Männer in der Priesterausbildung dürfte zu weiteren Leerständen im Leokonvikt und im Priesterseminar an der Leostraße führen. Was passiert mit den Räumlichkeiten?
ERZBISCHOF BECKER: Da machen wir uns zurzeit Gedanken auf der ganzen Diözesanebene. Ich habe den Auftrag erteilt, ein Nutzungskonzept für den gesamten Komplex an der Leostraße zu entwickeln. Mit den Ressourcen können wir auch aus finanziellen Gründen nicht gedankenlos umgehen und etwa in einem sehr großen Gebäudekomplex ständig Zimmer leer stehen lassen. Wir werden zu einer guten Lösung kommen, aber ich möchte angesichts noch laufender Beratungen jetzt noch nichts vorwegnehmen.
Wann wird es soweit sein?
ERZBISCHOF BECKER: Ich denke, dass wir schon Ende 2008 etwas von den Plänen präsentieren können.
Kann es dabei auch um Verkäufe gehen?
ERZBISCHOF BECKER: Es wäre eine Sünde, wenn wir an der Leostraße leichtfertig Gebäude verkaufen oder vermieten würden. Wir hoffen, dass wir gute kircheneigene Nutzungsmöglichkeiten finden werden.
Die im Erzbistum Paderborn aktive „Wir-sind-Kirche-Gruppe“ macht sich unter anderem für die Abschaffung des Zölibat und die Zulassung von Frauen für das Priesteramt stark. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen? Könnte nicht damit auch dem Priestermangel entgegen gewirkt werden?
ERZBISCHOF BECKER: Die genannten Schlagworte existieren seit Jahrzehnten in der Diskussion. Das man sich um den Priesternachwuchs sorgt, finde ich gut. Aber insgesamt halte ich – auf die genannten Reizthemen bezogen – die Problematik für zu oberflächlich behandelt. Über die Berufung zum Christsein im Allgemeinen, über die Sakramentalität sowohl der Kirche als auch der Berufe in der Kirche wird nicht gesprochen. Auch von persönlicher Nachfolge Christi ist weniger die Rede. Hier scheint es mir fast so zu sein, als gehe es der genannten Gruppe mehr um eine funktionelle Besetzung freier Stellen. Außerdem müssen wir aufpassen, dass wir nicht nur aus der Perspektive Deutschlands bzw. Westeuropas reden. Die von Ihnen genannten Fragen betreffen die gesamte Weltkirche. Da möchte ich meine Position auch nicht gegen das setzen, was in Rom zu dieser Thematik gesagt wird. Wenn ich mich mit dem Pallium kleiden darf (eine weiße Schulterbinde mit 6 schwarzen Kreuzen als persönliches Amtszeichen der in Gemeinschaft mit dem Papst stehenden katholischen Erzbischöfe, die Red.), stehe ich in einer besonderen Zuordnung zum Papst und muss diese Verantwortung auch wahrnehmen. Das tue ich, denn ich stehe in Loyalität zum Papst.
Was ist der offizielle Standpunkt?
ERZBISCHOF BECKER: Die Kirche sieht sich beispielsweise nicht in der Lage, das Priestertum der Frau zuzulassen. Das ist in einem offiziellen Papier auch 1994 noch einmal von Papst Johannes Paul II. deutlich formuliert worden. Die Gruppe „Wir sind Kirche“ wiederholt diese und andere Forderungen zwar ständig, aber es gibt zu wenig Differenzierung in der Sachfrage.
Das könnten Sie ja in einem Gespräch klären: Die „Wir-sind-Kirche-Gruppe“ strebt seit Jahren ein solches Gespräch an.
ERZBISCHOF BECKER: Ich spreche grundsätzlich mit jedem, der in einem persönlichen Anliegen mit mir sprechen möchte. Die genannte Gruppe als solche ist kein offizieller kirchlicher Adressat für mich, da es sich um eine in der Koalitionsfreiheit zusammengesetzte Gruppe von sicherlich engagierten Christen handelt. Außerdem muss es ja auch ein sinnvolles Gespräch mit der genannten Gruppe geben. Und an den Bedingungen für ein Gespräch möchte ich mitwirken.
So gesehen wäre es ja nicht ganz ausgeschlossen. . .
ERZBISCHOF BECKER: Es ist nicht ganz ausgeschlossen, aber ich möchte auch keine Verhörmethoden zulassen. Und schon gar nicht einen freien Umgang mit dem Gesagten, da man immer Gefahr läuft, dass das in der Öffentlichkeit vermarktet wird. Vor diesem Hintergrund bin ich auch zurückhaltend. Ich betone allerdings: Ich habe nichts gegen die Menschen persönlich!
Ausführlich ist vor wenigen Monaten über den Exorzismus berichtet worden, auch im Erzbistum sollen in der Vergangenheit 3 Fälle von Teufelsaustreibungen genehmigt worden sein. Fällt eine der Genehmigungen in Ihre Amtszeit?
ERZBISCHOF BECKER: Nein, das geht in die Amtszeit meines Vorgängers zurück. Ich habe mich wohl mit der Materie schon mal befasst, aber nicht so unmittelbar, dass wir eine Genehmigung hätten aussprechen sollen. Meistens sind die Anfragen im Umfeld eines Exorzismus, wenn sie an uns herangetragen werden, in der Zusammenarbeit von Seelsorgern und Psychiatern behandelt worden. Hinsichtlich der drei Fälle vor meiner Amtszeit, weiß ich heute nicht einmal, ob die Teufelsaustreibung überhaupt angewandt worden ist. Wir haben von dem Priester, der sich aus dem Bistum Eichstätt angeboten hatte, nie gehört, dass er die Bedingungen erfüllt hat, die Kardinal Degenhardt ihm gestellt hatte. .
Wie stehen Sie grundsätzlich zum Thema Exorzismus und Teufelsaustreibungen?
ERZBISCHOF BECKER: Aus der Heiligen Schrift wissen wir, dass Jesus Dämonen ausgetrieben hat. Das Böse in der Welt ist eine ständige Herausforderung. Und es ist auch für mich schon eine geheimnisvolle Kraft, mit der man zu tun hat; ansonsten kann ich mir manche unvorstellbaren Auswüchse der „ewigen Verneinung“ nicht vorstellen. Ich war erschrocken, als ich vor wenigen Monaten in Auschwitz war und mir am Ort des Geschehens die Bilder des Holocaust angeschaut habe. Ich bin erschüttert, was sich unter Deutschen an Bösem alles abgespielt hat und unter anderen Bedingungen zum Teil ja auch jetzt noch abspielt. Vor diesem Hintergrund kann man nicht sagen, das Böse sei alles ein Unsinn von gestern. Kurzum: Man sollte die Macht des Bösen ernst nehmen, wie wir sie übrigens im Gebet des „Vater unser“ auch ernst nehmen. Dort heißt es: „Erlöse uns von dem Bösen.“ Damit meine ich keineswegs primitive Vorstellungen vom Bösen. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir das Böse heutzutage im Griff hätten. Da weiß ich mich übrigens mit Psychologen und Psychiatern einig.
Ein lokales Thema: Mehrere Kirchengemeinden und ihre Priester haben sich sehr deutlich gegen die geplante Müllverbrennungsanlage in Mönkeloh ausgesprochen. Wie stehen Sie zu dem Protest? Unterstützen Sie ihn?
ERZBISCHOF BECKER: Als Bischof halte ich mich aus örtlichen Entwicklungen heraus, weil sich das wie ein Katalysator entwickeln könnte, da bin ich vorsichtig. Die aktuellen Fragen sollten in erster Linie durch das Engagement der Christen vor Ort in Angriff genommen werden. Ihnen steht zu, ihre Meinung zu sagen, gegebenenfalls auch Protest zu äußern. Nicht gut heiße ich, wenn vor Ort gottesdienstliche Formen genutzt werden, um Protest vordergründig zu formulieren. Das passt mir nicht, weil man auch Seelsorger für diejenigen sein sollte, die eine Müllverbrennungsanlage befürworten. Gleichwohl sehe ich die Gefahren, die von einer solchen Anlage ausgehen können und kann nur appellieren, dass sämtliche, heute technisch möglichen Maßnahmen ergriffen werden, damit wir es mit einem Minimum an Gefährdung für unsere Bevölkerung zu tun haben.
Zur 5. Wiederkehr des Tages Ihrer Amtseinführung darf man sicher auch Wünsche haben: Was wünschen Sie sich von den Gläubigen in Paderborn und den Gläubigen in Ihrer Diözese?
ERZBISCHOF BECKER: Zunächst einmal: Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Zeit so gut überstehen würde. Ich bin dankbar, dass ich gesund geblieben bin und unter der großen Verantwortung nicht zusammengebrochen bin. Was ich mir wünsche, ist, dass wir in unserer Diözese einen gemeinsamen, zuversichtlichen Weg in die Zukunft finden und unsere Glaubensfreude ehrlich leben können.
Zuletzt geändert am 13.11.2008