11.11.2008 - Würzburger katholisches Sonntagsblatt
„Wir sind Kirche“ tagte in Würzburg – Vortrag von Pater Seibel
WÜRZBURG. Das Zweite Vatikanische Konzil und die sich anschließende Entwicklung standen im Mittelpunkt der 24. öffentlichen Bundesversammlung der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ in Würzburg. Das Einführungsreferat hielt der Jesuit Dr. Wolfgang Seibel, langjähriger Herausgeber der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“.
Mit den Schlagworten „Reform“, „Dialog“ und „Volk Gottes“ fasste Pater Seibel die wichtigsten Ergebnisse des Zweiten Vaticanum zusammen. Unter dem Begriff „Aggiornamento“ habe Johannes XXIII. damals die Kirche auf die „Höhe des Tages“ bringen wollen, damit das Evangelium die Menschen der Zeit wieder erreiche. Die Kirche habe er nicht als starre Institution gesehen, sondern als lebendige Gemeinschaft. Die Wege der anstehenden Reform seien nur in gemeinsamer Überlegung zu finden, nicht durch Weisungen und Dekrete von oben, habe der Papst erklärt. Erstmals habe ein Konzil damit die menschliche Erfahrung und die zeitgenössischen Probleme in den Blick genommen.
Geduld, Toleranz, Offenheit
Grundprinzip des Konzils zur Wahrheits- und Entscheidungsfindung sei der Dialog gewesen, sagte Seibel. In der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ verlange das Konzil ein fruchtbares Gespräch zwischen Amtsträgern und Nichtamtsträgern, Klerikern und Laien. Damit sei erstmals eine Meinungsvielfalt in gegenseitiger Geduld, Toleranz und Offenheit legitimiert worden. „Die Devise heißt nicht mehr Widerstand und Abgrenzung, sondern Öffnung.“ Die wichtigste Entscheidung in diesem Kontext sei die Religionsfreiheit gewesen, die die Erklärung „Dignitas humanae“ festhalte. Sie begründe die Religionsfreiheit in der Menschenwürde. Der ökumenische Dialog werde auf der Ebene der Gleichberechtigung etabliert.
„Volk Gottes“ sei das Stichwort für das vom Konzil entwickelte Kirchenbild. „Das Konzil wollte das Bild der Kirche als einer Zweiklassengesellschaft und damit den darin herrschenden Klerikalismus überwinden.“ Das Laienapostolat habe einen entscheidenden Stellenwert erhalten. Der Gottesdienst solle nicht mehr alleinige Feier des Priesters, sondern des ganzen „Volkes Gottes“ sein, die Bischöfe nicht Beamte des Papstes sein, sondern eine Autorität eigenen Rechts besitzen, die Ortskirchen gegen den römischen Zentralismus gestärkt werden.
Aufbruch und Rückfall
Aufbruchsstimmung, ein Gefühl der Befreiung und des Aufatmens in der Kirche selbst und enormes neues Ansehen in der Welt seien die Resonanz gewesen. Selten habe es eine so große Übereinstimmung zwschen Bischöfen und Kirchenvolk gegeben. Das Konzil habe jedoch auch drängende Fragen ausgeklammert, wie etwa Zölibat, Empfängnisverhütung, Bischofsernennungen sowie Stellung der Frau und der wiederverheirateten Geschiedenen. Der Papst habe seine Position als absoluter Monarch behalten, die Bischöfe seien weisungsgebundene Beamte geblieben.
„Im Grunde genommen hat Rom aber so weitergemacht wie vorher“, konstatierte Seibel. Lediglich die Liturgiereform sei umgesetzt worden. Mit der weiterhin negativen Beurteilung der Moderne, dem durch die Karfreitagsfürbitte neu belasteten Verhältnis zu den Juden oder der Zurückdrängung der Laien sei ein Rückfall in vorkonziliäre Zustände zu beobachten. Die Bischöfe seien heute so machtlos wie nie. Die Wiedererlaubnis des alten Ritus seit 2007 bedeute eine klare Desavouierung des Konzils“.
Die schlimmste Reaktion auf den gegenwärtigen Kurs der Kirchenspitze sei es aber, „in Resignation zu verfallen“, warnte Pater Seibel: „An der Basis ist immer ein neuer Anfang möglich – hier lebt die Kirche und hier wird Zukunft gestaltet!“
Papier zur Sexualethik
In einem bei der Bundesversammlung verabschiedeten Positionspapier zur Sexualethik fordern die delegierten einen neuen „angstfreien, liebevollen und menschenfreundlichen Blick auf Sexualität als lebensspendende Kraft des von Gott geschaffenen und bejahten Menschen“. Die Kirche solle einen an der Botschaft der Nächstenliebe orientierten Handlungsrahmen eröffnen. Das Sexualverhalten dürfe nicht mehr primär zeugungsbezogen betrachtet werden, sondern solle vor allem den hohen Wert partnerschaftlicher Beziehungen berücksichtigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich Sexualität und Homosexualität sollten archaische Denkstrukturen ersetzen. Die Ehe gelte nach wie vor als legitimer Ort von Treue, Liebe und Verantwortung. Eine undifferenzierte Verurteilung vorehelicher sexueller Beziehungen lehnt das Papier ebenso ab wie die Tabuisierung von Verhütung, sexueller Beziehung im Jugendalter oder sexueller Orientierung im kirchlichen Raum. Die Diskriminierung der Homosexuellen verstoße zudem gegen das Gebot der Nächstenliebe. Sexuelle Ausbeutung und Gewalt müssten klar verurteilt und ein realistischerer Umgang mit dem Problem Aids gefunden werden. Das verhelfe den Menschen zu größerer Freiheit und Selbstannahme – und damit zu einem neuen Zugang zu Gott.
An einem Abend las der Schweinfurter Pfarrer Roland Breitenbach aus seinem Buch „Jesus wäre heute ein Palästinenser“.
Veröffentlicht: 11.11.2008 Jerzy Staus
Zuletzt geändert am 16.11.2008